Donnerstag, 29. Januar 2015

Johann Gottlieb Fichte: Die Bestimmung des Menschen

Körperliche Leiden, Schmerz und Krankheit, wenn sie mich treffen sollten, werde ich nicht vermeiden können zu fühlen, denn sie sind Ereignisse meiner Natur, und ich bin und bleibe hienieden Natur; aber sie sollen mich nicht betrüben. Sie treffen auch nur die Natur, mit der ich auf eine wunderbare Weise zusammenhänge, nicht mich selbst, das über alle Natur erhabene Wesen. Das sichere Ende alles Schmerzes, und aller Empfänglichkeit für den Schmerz ist der Tod; und unter Allem, was der natürliche Mensch für ein Uebel zu halten pflegt, ist es mir dieser am wenigsten. Ich werde überhaupt nicht für mich sterben, sondern nur für Andere – für die Zurückbleibenden, aus deren Verbindung ich gerissen werde; für mich selbst ist die Todesstunde Stunde der Geburt zu einem neuen herrlichern Leben.

Nachdem so mein Herz aller Begier nach dem Irdischen verschlossen ist, nachdem ich in der That für das Vergängliche gar kein Herz mehr habe, erscheint meinem Auge das Universum in einer verklärten Gestalt. Die todte lastende Masse, die nur den Raum ausstopfte, ist verschwunden, und an ihrer Stelle fließt, und woget und rauscht der ewige Strom von Leben, und Kraft und That – vom ursprünglichen Leben; von deinem Leben, Unendlicher: denn alles Leben ist dein Leben, und nur das religiöse Auge dringt ein in das Reich der wahren Schönheit.

Ich bin dir verwandt, und was ich rund um mich herum erblicke, ist Mir verwandt; es ist Alles belebt und beseelt, und blickt aus hellen Geister-Augen mich an, und redet mit Geistertönen an mein Herz. Auf das Mannichfaltigste zerteilt und getrennt schaue in allen Gestalten außer mir ich selbst mich wieder, und strahle mir aus ihnen entgegen, wie die Morgensonne in tausend Thautropfen mannichfaltig gebrochen sich selbst entgegen glänzt.

Dein Leben, wie es der Endliche zu fassen vermag, ist sich selbst schlechthin durch sich selbst bildendes, und darstellendes Wollen; dieses Leben fließt, – im Auge des Sterblichen mannichfach versinnlicht, – durch mich hindurch herab in die ganze unermeßliche Natur. Hier strömt es, als sich selbst schaffende und bildende Materie durch meine Adern und Muskeln hindurch, und setzt außer mir seine Fülle ab im Baume, in der Pflanze, im Grase. Ein zusammenhängender Strom, Tropfe an Tropfe, fließt das bildende Leben in allen Gestalten, und allenthalben, wohin ihm mein Auge zu folgen vermag; und blickt mich an, – aus jedem Punkte des Universum anders, – als dieselbe Kraft, durch die es in geheimem Dunkel meinen eignen Körper bildet. Dort woget es frei, und hüpft, und tanzet als sich selbst bildende Bewegung im Thiere, und stellt in jedem neuen Körper sich dar, als eine andere eigne für sich bestehende Welt: dieselbe Kraft, welche, mir unsichtbar, in meinen eignen Gliedmaßen sich reget, und bewegt. Alles was sich regt, folgt diesem allgemeinen Zuge, diesem einigen Princip aller Bewegung, das von einem Ende des Universum zum andern die harmonische Erschütterung fortleitet: das Thier ohne Freiheit; ich, von welchem in der sichtbaren Welt die Bewegung ausgeht, ohne daß sie darum in mir gegründet sei, mit Freiheit.

Aber rein und heilig, und deinem eignen Wesen so nahe, als im Auge des Sterblichen ihm etwas sein kann, fließet dieses dein Leben hin als Band, das Geister mit Geistern in Eins verschlingt, als Luft und Aether der Einen Vernunftwelt; undenkbar und unbegreiflich, und doch offenbar da liegend vor dem geistigen Auge. In diesem Lichtstrome fortgeleitet schwebt der Gedanke, unaufgehalten und derselbe bleibend von Seele zu Seele, und kommt reiner und verklärt zurück aus der verwandten Brust. Durch dieses Geheimniß findet der Einzelne sich selbst, und versteht, und liebt sich selbst nur in einem Andern; und jeder Geist wickelt sich los nur von andern Geistern, und es giebt keinen Menschen, sondern nur eine Menschheit, kein einzelnes Denken, und Lieben, und Hassen, sondern nur ein Denken, und Lieben, und Hassen, in und durch einander. Durch dieses Geheimniß strömt die Verwandtschaft der Geister in der unsichtbaren Welt fort bis in ihre körperliche Natur, und stellt sich dar in zwei Geschlechtern, die, wenn auch jedes geistige Band zerreißen könnte, schon als Naturwesen genöthigt sind, sich zu lieben; fließt aus in die Zärtlichkeit der Eltern und Kinder, und Geschwister, gleich als ob die Seelen eben so aus Einem Blute entsprossen wären, wie die Leiber, und die Gemüther Zweige und Blüten desselben Stammes wären; und umfasset von da aus in engern oder weitern Kreisen die ganze empfindende Welt. Selbst ihrem Hasse liegt der Durst nach Liebe zum Grunde, und es entsteht keine Feindschaft, außer aus versagter Freundschaft.

Dieses ewige Leben und Regen in allen Adern der sinnlichen, und geistigen Natur erblickt mein Auge, durch das, was Andern todte Masse scheint, hindurch; und siehet dieses Leben stets steigen und wachsen, und zum geistigern Ausdrucke seiner selbst sich verklären. Das Universum ist mir nicht mehr jener in sich selbst zurücklaufende Zirkel, jenes unaufhörlich sich wiederholende Spiel, jenes Ungeheuer, das sich selbst verschlingt, um sich wieder zu gebären, wie es schon war: es ist vor meinem Blicke vergeistiget, und trägt das eigne Gepräge des Geistes; stetes Fortschreiten zum Vollkommnern in einer geraden Linie, die in die Unendlichkeit geht.

Die Sonne gehet auf, und gehet unter, und die Sterne versinken, und kommen wieder und alle Sphären halten ihren Zirkeltanz; aber sie kommen nie so wieder, wie sie verschwanden, und in den leuchtenden Quellen des Lebens ist selbst Leben und Fortbilden. Jede Stunde, von ihnen herbeigeführt, jeder Morgen und jeder Abend sinkt mit neuem Gedeihen herab auf die Welt; neues Leben, und neue Liebe entträufelt den Sphären, wie die Thautropfen der Wolke, und umfängt die Natur, wie die kühle Nacht die Erde.

Aller Tod in der Natur ist Geburt, und gerade im Sterben erscheint sichtbar die Erhöhung des Lebens. Es ist kein tödtendes Princip in der Natur, denn die Natur ist durchaus lauter Leben; nicht der Tod tödtet, sondern das lebendigere Leben, welches, hinter dem alten verborgen, beginnt, und sich entwickelt. Tod und Geburt ist bloß das Ringen des Lebens mit sich selbst, um sich stets verklärter und ihm selbst ähnlicher darzustellen. Und mein Tod könnte etwas anders sein – meiner, der ich überhaupt nicht eine bloße Darstellung und Abbildung des Lebens bin, sondern das ursprüngliche, allem wahre, und wesentliche Leben in mir selbst trage? – Es ist gar kein möglicher Gedanke, daß die Natur ein Leben vernichten solle, das aus ihr nicht stammt; die Natur, um deren willen nicht ich, sondern die selbst nur um meinetwillen lebt.

Aber selbst mein natürliches Leben, selbst diese bloße Darstellung des innern unsichtbaren Lebens vor dem Blicke des Endlichen, kann sie nicht vernichten, weil sie sonst sich selbst müßte vernichten können; sie, die bloß für mich, und um meinetwillen da ist, und nicht ist, wenn ich nicht bin. Gerade darum, weil sie mich tödtet, muß sie mich neu beleben; es kann nur mein in ihr sich entwickelndes höheres Leben sein, vor welchem mein gegenwärtiges verschwindet; und das, was der Sterbliche Tod nennt, ist die sichtbare Erscheinung einer zweiten Belebung. Stürbe kein vernünftiges Wesen auf der Erde, das da nun einmal ihr Licht erblickt hätte, so wäre kein Grund da, eines neuen Himmels und einer neuen Erde zu harren: die einzig mögliche Absicht dieser Natur, Vernunft darzustellen und zu erhalten, wäre schon hienieden erfüllt, und ihr Umkreis wäre geschlossen. Aber der Act, durch den sie ein freies selbstständiges Wesen tödtet, ist ihr feierliches aller Vernunft kundbares Hinüberschreiten über diesen Act, und über die ganze Sphäre, die sie dadurch beschließt; die Erscheinung des Todes ist der Leiter, an welchem mein geistiges Auge zu dem neuen Leben meiner selbst, und einer Natur für mich hinübergleitet.

Jeder meines Gleichen, der aus der irdischen Verbindung heraustritt, und der meinem Geiste nicht für vernichtet gelten kann – denn er ist meines Gleichen – zieht meinen Gedanken mit sich hinüber; er ist noch, und ihm gebührt eine Stätte. Indeß wir hienieden um ihn trauern, so wie Trauer sein würde, wenn sie könnte im dumpfen Reiche der Bewußtlosigkeit, wenn sich ihm ein Mensch zum Lichte der Erdensonne entreißt, ist drüben Freude, daß der Mensch zu ihrer Welt geboren wurde, so wie wir Erdenbürger die Unsrigen mit Freude empfangen. Wenn ich einst ihnen folgen werde, wird für mich nur Freude sein; denn die Trauer bleibt in der Sphäre zurück, die ich verlasse.

Es verschwindet vor meinem Blicke, und versinkt die Welt, die ich noch so eben bewunderte. In aller Fülle des Lebens, der Ordnung, und des Gedeihens, welche ich in ihr schaue, ist sie doch nur der Vorhang, durch die eine unendlich vollkommnere mir verdeckt wird, und der Keim, aus dem diese sich entwickeln soll. Mein Glaube tritt hinter diesen Vorhang, und erwärmt, und belebt diesen Keim. Er sieht nichts Bestimmtes, aber er erwartet mehr, als er hienieden fassen kann, und je in der Zeit wird fassen können.

So lebe, und so bin ich, und so bin ich unveränderlich, fest, und vollendet für alle Ewigkeit; denn dieses Sein ist kein von außen angenommenes, es ist mein eignes, einiges wahres Sein, und Wesen.

(Schluss der erstmals im Jahre 1800 erschienenen populären Schrift)

ZUM TODESTAG DES PHILOSOPHEN

Über den Autor (1761-1814)

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