Dienstag, 5. Mai 2015

Christian Friedrich Scherenberg: Entschuldigung

An dem Tisch des reichen Vetters, 
        Der vom Witwenheller praßte, 
Saß mit ihrem Kind die Witwe, 
        Auch geladen mal zu Gaste. 
Faltend hebt das Kind die Hände
        Doch die Mutter legt geschwinde 
Ihre Hand auf seinen Mund ihm – 
        »Frau was gibt's da mit dem Kinde?« 
Lächelt gnädig her der Vetter, 
        Und sie lächelt ihm zurücke: 
»Nichts, das Kind, es wollt' nur beten, 
        Wußt' nicht, daß sich's hier nicht schicke.«


ZUM GEBURTSTAG DES DICHTERS



Montag, 4. Mai 2015

Johann Friedrich Herbart: Allgemeine Pädagogik

Den Menschen der Natur überlassen oder gar derselben zuführen und anbilden zu wollen, ist töricht; denn was ist die Natur des Menschen? Sie war den Stoikern wie den Epikuräern der gleich bequeme Anhängepunkt ihres Systems. Die menschliche Anlage, welche auf die verschiedensten Zustände berechnet scheint, schwebt in solcher Allgemeinheit, dass die nähere Bestimmung, die Ausarbeitung, durchaus der Gattung überlassen bleibt. Das Schiff, dessen Bau mit höchster Kunst darauf eingerichtet ist, dass es durch alle Schwebungen den Wellen und Winden nachgeben könne, erwartet nun den Steuermann, der ihm sein Ziel anweisen und seine Fahrt nach den Umständen lenken wird.


ZUM GEBURTSTAG DES PÄDAGOGEN

Sonntag, 3. Mai 2015

Bernhard von Bülow: Reden

Meine Herren, ich habe irgendwo ein höhnisches Wort gelesen über unsere Vasallenschaft gegenüber Österreich-Ungarn. Das Wort ist einfältig! Es gibt hier keinen Streit um den Vortritt, wie zwischen den beiden Königinnen im Nibelungenlied; aber die Nibelungentreue wollen wir aus unserem Verhältnis zu Österreich-Ungarn nicht ausschalten, die wollen wir uns gegenseitig wahren...


ZUM GEBURTSTAG DES POLITIKERS

Samstag, 2. Mai 2015

Friedrich von Gentz: An Adam Heinrich Müller

Ihr erster Brief – o möchte er doch der erste von einer unabsehlichen Reihe von Briefen seyn! – hat mich über allen Ausdruck entzückt. Ich habe nicht Zeit mehr, Ihnen heute zu schreiben, aber immer weniger und weniger begreife ich, wie ich Sie von mir lassen konnte! Solche Einsichten in das Innere eines Menschen, eines Gegenstandes überhaupt, hat noch kein Sterblicher gehabt; das nenne ich mir einen Gelehrten. Aber Ihr Licht muß leuchten vor der Welt: die Welt muß Sie erkennen, und Ihnen huldigen. Ich zittere recht eigentlich vor der Antwort auf meinen zweiten Brief; denn gut oder ungut, sie wird mich gewiß so erschüttern, daß ich alles zu besorgen habe. Ihr Schmeicheln selbst ist immer auf solche tiefe Wahrheiten gegründet, daß man (besonders Einer wie ich) vor sich selbst erschrocken zurückbebt, daß es solche Dinge – so göttliche und rührende – in Einem gibt. Nein! Sie mußten geboren werden, wenn mein Leben vollständig seyn sollte. Sie sind zu tausend, tausend höheren Zwecken geboren; aber diesen erfüllen Sie nebenher mit wahrhaft wunderthätiger Kraft. Adieu. Bald ein Mehreres.

ZUM GEBURTSTAG DES POLITIKERS

Freitag, 1. Mai 2015

Ludwig Büchner: Kraft und Stoff

»Die Kraft ist kein stoßender Gott, kein von der stofflichen Grundlage getrenntes Wesen der Dinge. Sie ist des Stoffes unzertrennliche, ihm von Ewigkeit innewohnende Eigenschaft.« – »Eine Kraft, die nicht an den Stoff gebunden wäre, die frei über dem Stoffe schwebte, ist eine ganz leere Vorstellung. Dem Stickstoff, Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, dem Schwefel und Phosphor wohnen ihre Eigenschaften von Ewigkeit bei.« (Moleschott.)
»Geht man auf den Grund, so erkennt man bald, daß es weder Kräfte noch Materie gibt. Beides sind von verschiedenen Standpunkten aus aufgenommene Abstraktionen der Dinge, wie sie sind. Sie ergänzen einander und sie setzen einander voraus. Vereinzelt haben sie keinen Bestand usw.« »Die Materie ist nicht wie ein Fuhrwerk, davor die Kräfte, als Pferde, nun angespannt, dann abgeschirrt werden können. Ein Eisenteilchen ist und bleibt zuverlässig dasselbe Ding, gleichviel ob es im Meteorsteine den Weltkreis durchzieht, im Dampfwagenrade auf den Schienen dahinschmettert oder in der Blutzelle durch die Schläfe eines Dichters rinnt. – Diese Eigenschaften sind von Ewigkeit, sie sind unveräußerlich, unübertragbar.« (Dubois-Reymomd.)
»Aus Nichts kann keine Kraft entstehen.« (Liebig.)
»Nichts in der Welt berechtigt uns, die Existenz von Kräften an und für sich, ohne Körper, von denen sie ausgehen und auf die sie wirken, vorauszusetzen.« (Cotta.)
Mit diesen Worten anerkannter Naturforscher leiten wir ein Kapitel ein, welches an eine der einfachsten und folgewichtigsten, aber vielleicht gerade darum noch am wenigsten bekannten und anerkannten Wahrheiten erinnern soll. Keine Kraft ohne Stoff – kein Stoff ohne Kraft! Eines für sich ist so wenig denkbar als das andere für sich; auseinander genommen zerfallen beide in leere Abstraktionen. Man denke sich eine Materie ohne Kraft, die kleinsten Teilchen, aus denen ein Körper besteht, ohne jenes System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung, welches sie zusammenhält und dem Körper Form und Gestaltung verleiht, man denke die sogenannte Kohäsionskraft hinweggenommen, was würde und müßte die Folge sein? Die Materie müßte augenblicklich in ein formloses Nichts zerfallen. In der sinnlichen Welt kennen wir kein Beispiel irgendeines Stoffteilchens, das nicht mit Kräften begabt wäre, und vermittels dieser Kräfte spielt es die ihm zugewiesene Rolle bald in dieser, bald in jener Gestaltung, bald in Verbindung mit gleichartigen, bald in Verbindung mit ungleichartigen Stoffteilchen. Aber auch ideell sind wir in keiner Weise imstande, uns eine Vorstellung einer kraftlosen Materie zu machen. Denken wir uns einen Urstoff, wie wir wollen, immer müßte ein System gegenseitiger Anziehung und Abstoßung zwischen seinen kleinsten Teilchen stattfinden; ohne dasselbe müßten sie sich selbst aufheben und spurlos im Weltenraume verschwimmen. »Ein Ding ohne Eigenschaften ist ein Unding, weder vernunftgemäß denkbar noch erfahrungsgemäß in der Natur vorhanden.« (Droßbach.) – Ebenso leer und haltlos ist der Begriff einer Kraft ohne Stoff. Indem es ein ausnahmsloses Gesetz ist, daß eine Kraft nur an einem Stoff in die Erscheinung treten kann, folgt daraus, daß Kraft nichts weiter sein kann und nicht anders definiert werden darf, denn als eine Eigenschaft der Materie, als eine »unzertrennliche, ihr von Ewigkeit innewohnenede Eigenschaft.« Deswegen lassen sich auch, wie Mulder richtig auseinandersetzt, Kräfte nicht mitteilen, sondern nur wecken. Magnetismus kann nicht, wie es wohl scheinen möchte, übertragen, sondern nur hervorgerufen, aufgeschlossen werden dadurch, daß wir die Aggregatzustände seines Mediums ändern. Die magnetischen Kräfte haften an den Molekülen des Eisens, und sie sind z.B. an einem Magnetstabe gerade da am stärksten, wo sie nach außen am wenigsten oder gar nicht bemerkbar werden, d.h. in der Mitte. Man denke sich eine Elektrizität, einen Magnetismus ohne das Eisen oder ohne jene Körper, an denen wir die Erscheinungsweisen dieser Kräfte beobachtet haben, ohne jene Stoffteilchen, deren gegenseitiges molekuläres Verhalten eben die Ursache dieser Erscheinungen abgibt; es würde uns nichts bleiben als ein formloser Begriff, eine leere Abstraktion, der wir nur darum einen eigenen Namen gegeben haben, um uns besser über diesen Begriff verständigen zu können. Hätte es nie Stoffteilchen gegeben, die in einen elektrischen Zustand versetzt werden können, so würde es auch nie Elektrizität gegeben haben, und wir würden mit alleiniger Hilfe der Abstraktion niemals imstande gewesen sein, die geringste Kenntnis oder Ahnung von Elektrizität zu erlangen. Ja, man muß sagen, sie würde ohne diese Teilchen nie existiert haben! Darum definieren die genannten Forscher mit Recht die Kraft als eine bloße Eigenschaft des Stoffs. Es kann eine Kraft so wenig ohne einen Stoff existieren, als ein Sehen ohne einen Sehapparat, als ein Denken ohne einen Denkapparat. »Es ist nie jemanden eingefallen, sagt Vogt, zu behaupten, daß die Absonderungsfähigkeit getrennt von der Drüse, die Zusammenziehungsfähigkeit getrennt von der Muskelfaser existieren könne. Die Absurdität einer solchen Idee ist so auffallend, daß man nicht einmal den Mut hatte, bei den genannten Organen an dieselbe zu denken.« Von je konnte uns nichts anderes über die Existenz einer Kraft Aufschluß geben als die Veränderungen, die wir an der Materie sinnlich wahrnahmen und die wir, indem wir sie nach ihren Ähnlichkeiten unter bestimmten Namen subsumierten, mit dem Worte »Kräfte« bezeichneten; jede Kenntnis von ihnen auf anderem Wege ist eine Unmöglichkeit.
Welche allgemeine Konsequenz läßt sich aus dieser Erkenntnis ziehen?
Daß diejenigen, welche von einer Schöpferkraft reden, welche die Welt aus sich selbst oder aus dem Nichts hervorgebracht haben soll, mit dem ersten und einfachsten Grundsatze philosophischer und auf Empirie gegründeter Naturbetrachtung unbekannt sind. Wie hätte eine Kraft existieren können, welche nicht an dem Stoffe selbst in die Erscheinung tritt, sondern denselben willkürlich und nach individuellen Rücksichten beherrscht? – Ebensowenig konnten sich gesondert vorhandene Kräfte in die form- und gesetzlose Materie übertragen und auf diese Weise die Welt erzeugen. Denn wir haben gesehen, daß eine getrennte Existenz dieser beiden zu den Unmöglichkeiten gehört. Daß die Welt nicht aus dem Nichts entstehen konnte, wird uns eine spätere Betrachtung lehren, welche von der Unsterblichkeit des Stoffs handelt. Ein Nichts ist nicht bloß ein logisches, sondern auch ein empirisches Unding. Die Welt oder der Stoff mit seinen Eigenschaften, die wir Kräfte nennen, mußten von Ewigkeit sein und werden in Ewigkeit sein müssen – mit einem Worte: die Welt kann nicht geschaffen sein. Freilich ist der Begriff »Ewig« ein solcher, der sich schwer mit unsern endlichen Verstandeskräften zu vertragen scheint; nichtsdestoweniger können wir diese Vorstellung nicht abweisen. In wie vielen anderen Beziehungen noch die Vorstellung einer individuellen Schöpferkraft an Absurditäten leidet, werden wir im Verlaufe unserer späteren Betrachtungen einigemal gewahr werden. Daß die Welt nicht regiert wird, wie man sich hin und wieder auszudrücken pflegt, sondern daß sie Bewegungen des Stoffs einer vollkommenen und in ihm selbst begründeten Naturnotwendigkeit gehorchen, von der es keine Ausnahme gibt – welcher Gebildete, namentlich aber welcher mit den Erwerbungen der Naturwissenschaften auch nur oberflächlich Vertraute wollte an dieser Wahrheit zweifeln? Daß aber eine Kraft – um einmal diesen Ausdruck in abstracto zu gebrauchen – nur dann eine Kraft sein, nur dann existieren kann, wenn und solange sie sich in Tätigkeit befindet – dürfte nicht minder klar sein. Wollte man sich also eine Schöpferkraft, eine absolute Potenz – einerlei, welchen Namen man ihr gibt – als die Ursache der Welt denken, so müßte man, den Begriff der Zeit auf sie anwendend, von ihr sagen, daß sie weder vor noch nach der Schöpfung sein konnte. Vorher konnte sie nicht sein, da sich der Begriff einer solchen Kraft mit der Idee des Nichts oder des Untätigseins nicht vertragen kann. Eine Schöpferkraft konnte nicht sein, ohne zu schaffen; man müßte sich denn vorstellen, sie habe sich in vollkommener Ruhe und Trägheit dem form- und bewegungslosen Stoff gegenüber eine Zeitlang untätig verhalten – eine Vorstellung, deren Unmöglichkeit wir bereits oben nachgewiesen zu haben glauben. Eine ruhende, untätige Schöpferkraft würde eine ebenso leere und haltlose Abstraktion sein, als die einer Kraft ohne Stoff überhaupt. Nachher konnte oder kann sie nicht sein, da wiederum Ruhe und Tatenlosigkeit mit dem Begriffe einer solchen Kraft unverträglich sind und sie selber negieren würden. Die Bewegung des Stoffs folgt allein den Gesetzen, welche in ihm selber tätig sind, und die Erscheinungsweisen der Dinge sind nichts weiter als Produkte der verschiedenen und mannigfaltigen, zufälligen oder notwendigen Kombinationen stofflicher Bewegungen untereinander. Nie und nirgends, in keiner Zeit, und nicht bis in die entferntesten Räume hinein, zu denen unser Fernrohr dringt, konnte eine Tatsache konstatiert werden, welche eine Ausnahme von dieser Regel bedingen, welche die Annahme einer unmittelbar und außer den Dingen wirkenden selbständigen Kraft notwendig machen würde. Eine Kraft aber, die sich nicht äußert, kann nicht existieren.Dieselbe in ewiger, in sich selbstzufriedener Ruhe oder innerer Selbstanschauung versunken vorzustellen – läuft eben wiederum auf eine leere und willkürliche Abstraktion ohne empirische Basis hinaus. So bliebe nur eine dritte Möglichkeit übrig, d.h. die ebenso sonderbare als unnötige Vorstellung, es sei die Schöpferkraft plötzlich und ohne bekannte Veranlassung aus dem Nichts emporgetaucht, habe die Welt geschaffen (woraus?) und sei mit dem Moment der Vollendung wieder in sich selbst versunken, habe sich gewissermaßen an die Welt dahingegeben, sich selbst in dem All aufgelöst. Philosophen und Nichtphilosophen haben von je diese Vorstellung, namentlich den letzteren Teil derselben, mit Vorliebe behandelt, weil sie auf diese Weise die allzu unbestreitbare Tatsache einer einmal festgesetzten und unabänderlichen Weltordnung mit dem Glauben an ein individuelles, schaffendes Prinzip vereinigen zu können glaubten. Auch alle religiösen Vorstellungen lehnen mehr oder weniger an diese Idee an, nur mit dem Unterschiede, daß sie den Weltgeist nach der Schöpfung zwar ruhend, aber doch als Individuum, das seine gegebenen Gesetze jederzeit wieder aufheben kann, denken. Es können uns diese Vorstellungen nicht weiter beschäftigen, da sie keine philosophische Denkweise befolgen, sondern individuell-menschliche Eigenschaften und Unvollkommenheiten auf absolute Begriffe übertragen. Was demnach die letztgenannte Vorstellungsweise in ihrer philosophischen Bedeutung anlangt, so hieße es Eulen nach Athen tragen, wollten wir uns bemühen, ihre Halt- und Nutzlosigkeit darzutun. Schon die Anwendung des endlichen Zeitbegriffs auf die Schöpferkraft enthält eine Ungereimtheit; eine noch größere ihre Entstehung aus dem Nichts. »Aus Nichts kann keine Kraft entstehen«, sagt Liebig. Wenn aber die Schöpferkraft nicht vor Entstehung der Dinge da sein konnte, wenn sie nicht nach derselben sein kann, wenn es endlich nicht denkbar ist, daß sie nur eine momentane Existenz besaß; wenn der Stoff unsterblich ist, wenn es keinen Stoff ohne Kraft, keine Kraft ohne Stoff gibt – dann mag uns wohl kein Zweifel darüber bleiben dürfen, daß die Welt nicht erschaffen sein kann, daß sie ewig ist. Was nicht getrennt werden kann, konnte auch niemals getrennt bestehen! Was nicht vernichtet werden kann, konnte auch nicht geschaffen werden! »Die Materie ist unerschaffbar, wie sie unzerstörbar ist« (Vogt).


ZUM TODESTAG DES PHILOSOPHEN

Donnerstag, 30. April 2015

Gustav Freytag: Soll und Haben

Ostrau ist eine kleine Kreisstadt unweit der Oder, bis nach Polen hinein berühmt durch ihr Gymnasium und süße Pfefferkuchen, welche dort noch mit einer Fülle von unverfälschtem Honig gebacken werden. In diesem altväterischen Orte lebte vor einer Reihe von Jahren der königliche Kalkulator Wohlfart, der für seinen König schwärmte, seine Mitmenschen – mit Ausnahme von zwei Ostrauer Spitzbuben und einem groben Strumpfwirker – herzlich liebte und in seiner sauren Amtstätigkeit viele Veranlassung zu heimlicher Freude und zu demütigem Stolze fand. Er hatte spät geheiratet, bewohnte mit seiner Frau ein kleines Haus und hielt den kleinen Garten eigenhändig in Ordnung. Leider blieb diese glückliche Ehe durch mehrere Jahre kinderlos. Endlich begab es sich, daß die Frau Kalkulatorin ihre weißbaumwollene Bettgardine mit einer breiten Krause und zwei großen Quasten verzierte und unter der höchsten Billigung aller Freundinnen auf einige Wochen dahinter verschwand, gerade nachdem sie die letzte Falte zurechtgestrichen und sich überzeugt hatte, daß die Gardine von untadelhafter Wäsche war. Hinter der weißen Gardine wurde der Held dieser Erzählung geboren.
Anton war ein gutes Kind, das nach der Ansicht seiner Mutter vom ersten Tage seines Lebens die staunenswertesten Eigenschaften zeigte. Abgesehen davon, daß er sich lange Zeit nicht entschließen konnte, die Speisen mit der Höhlung des Löffels zu fassen, sondern hartnäckig die Ansicht festhielt, daß der Griff dazu geeigneter sei, und abgesehen davon, daß er eine unerklärliche Vorliebe für die Troddel auf dem schwarzen Käppchen seines Vaters zeigte und das Käppchen mit Hilfe des Kindermädchens alle Tage heimlich vom Kopf des Vaters abhob und ihm lachend wieder aufsetzte, erwies er sich auch bei wichtigerer Gelegenheit als ein einziges Kind, das noch nie dagewesen. Er war am Abend sehr schwierig ins Bett zu bringen und bat, wenn die Abendglocke läutete, manchmal mit gefalteten Händen, ihn noch herumlaufen zu lassen; er konnte stundenlang vor seinem Bilderbuch kauern und mit dem roten Gockelhahn auf der letzten Seite eine Unterhaltung führen, worin er diesen wiederholt seiner Liebe versicherte und dringend aufforderte, sich nicht dadurch seiner kleinen Familie zu entziehen, daß er sich vom Dienstmädchen braten ließe. Er lief zuweilen mitten im Kinderspiel aus dem Kreise und setzte sich ernsthaft in eine Stubenecke, um nachzudenken. In der Regel war das Resultat seines Denkens, daß er für Eltern oder Gespielen etwas hervorsuchte, wovon er annahm, daß es ihnen lieb sein würde. Seine größte Freude aber war, dem Vater gegenüberzusitzen, die Beinchen übereinanderzulegen, wie der Vater tat, und aus einem Holunderrohr zu rauchen, wie sein Herr Vater aus einer wirklichen Pfeife zu tun pflegte. Dann ließ er sich allerlei vom Vater erzählen, oder er selbst erzählte seine Geschichten. Und das tat er, wie die Frauenwelt von Ostrau einstimmig versicherte, mit so viel Gravität und Anstand, daß er bis auf die blauen Augen und sein blühendes Kindergesicht vollkommen aussah wie ein kleiner Herr im Staatsdienst. Unartig war er so selten, daß der Teil des weiblichen Ostrau, welcher einer düsteren Auffassung des Erdenlebens geneigt war, lange zweifelte, ob ein solches Kind heranwachsen könne; bis Anton endlich einmal den Sohn des Landrats auf offener Straße durchprügelte und durch diese Untat seine Aussichten auf das Himmelreich in eine behagliche Ferne zurückhämmerte. Kurz, er war ein so ungewöhnlicher Knabe, wie nur je das einzige Kind warmherziger Eltern gewesen ist. Auch in der Bürgerschule und später im Gymnasium wurde er ein Muster für andere und ein Stolz seiner Familie. Und da der Zeichenlehrer behauptete, Anton müsse Maler werden, und der Ordinarius von Tertia dem Vater riet, ihn Philologie studieren zu lassen, so wäre der Knabe seiner zahlreichen Anlagen wegen wahrscheinlich in die gewöhnliche Gefahr ausgezeichneter Kinder gekommen, für keine einzige Tätigkeit den rechten Ernst zu finden, wenn nicht ein Zufall seinen Beruf bestimmt hätte.
An jedem Weihnachtsfest wurde durch die Post eine Kiste in das Haus des Kalkulators befördert, worin ein Hut des feinsten Zuckers und ein großes Paket Kaffee standen. Gewöhnlichen Zucker ließ der Hausherr durch seine Frau klein schlagen, diesen Zuckerhut zerbrach er selbst mit vielem Kraftaufwand in einer feierlichen Handlung und freute sich über die viereckigen Würfel, welche seine Kunst hervorzubringen vermochte. Der Kaffee dagegen wurde von der Frau Kalkulatorin eigenhändig gebrannt, und sehr angenehm war das Selbstgefühl, mit welchem der würdige Hausherr die erste Tasse dieses Kaffees trank. Das waren Stunden, wo ein poetischer Duft, der so oft durch die Seelen der Kinder zieht, das ganze Haus erfüllte. Der Vater erzählte dann gern seinem Sohne die Geschichte dieser Sendungen. Vor vielen Jahren hatte der Kalkulator in einem bestäubten Aktenbündel, das von den Gerichten und der Menschheit bereits aufgegeben war, ein Dokument gefunden, worin ein großer Gutsbesitzer aus Posen erklärte, einem bekannten Handelshause der Hauptstadt mehrere tausend Taler zu schulden. Offenbar war der Schuldschein in kriegerischer und ungesetzmäßiger Zeit in ein falsches Aktenheft verlegt worden. Er hatte den Fund am gehörigen Orte angezeigt, und das Handelshaus war dadurch in den Stand gesetzt worden, einen verzweifelten Rechtsstreit gegen die Erben des Schuldners zu gewinnen. Darauf hatte der junge Chef der Handlung sich angelegentlich nach dem Finder des Dokuments erkundigt und demselben einen artigen Brief geschrieben, der Kalkulator hatte, wie seine Art war, sehr bestimmt allen Dank abgelehnt, weil er nur seine Amtspflicht erfüllt habe. Von da ab erschien an jeder Weihnacht die erwähnte Sendung mit einem kurzen herzlichen Begleitschreiben und wurde jedesmal umgehend durch ein kalligraphisches Kunstwerk des Kalkulators erwidert, worin dieser unermüdlich seine Überraschung über die unerwartete Sendung ausdrückte und der Firma zum neuen Jahr aus voller Seele Gutes wünschte. Selbst seiner Frau gegenüber behandelte der Herr die Weihnachtssendung als einen Zufall, eine Kleinigkeit, ein Nichts, welches von der Laune eines Kommis der Firma T. O. Schröter abhänge, und jedes Jahr protestierte er eifrig, wenn die Frau Kalkulatorin die zu erwartende Kiste bei ihren Wirtschaftsplänen in Rechnung brachte. Aber im stillen hing seine Seele an diesen Sendungen. Es waren nicht die Pfunde Raffinade und Kuba, es war die Poesie dieser gemütlichen Beziehung zu einem ganz fremden Menschenleben, was ihn so glücklich machte. Er hob alle Briefe der Firma sorgfältig auf, wie die drei Liebesbriefe seiner Frau, ja er heftete sie mit dem Ehrwürdigsten, was er kannte, mit schwarz und weißem Seidenfaden, in ein kleines Aktenbündel; er wurde ein Kenner von Kolonialwaren, ein Kritiker, dessen Geschmack von den Kaufleuten in Ostrau höchlich respektiert wurde; er konnte sich nicht enthalten, den billigen Meliszucker und den Brasilkaffee als untergeordnete Erzeugnisse der Schöpfung mit einer entschiedenen Verachtung zu behandeln; er fing an, sich für die Geschäfte der großen Handlung zu interessieren, und studierte in den Zeitungen regelmäßig die Marktpreise von Zucker und Kaffee, welche mit merkwürdigen und für Nichteingeweihte ganz unverständlichen Bemerkungen hinter den politischen Nachrichten standen; ja er spekulierte in seiner Seele mit als Associé seines Freundes, des großen Kaufmanns, er ärgerte sich, wenn der Kaffee in den Zeitungen flaute, und war vergnügt, wenn der Zucker als angenehm notiert war.
Das war ein unscheinbares, leichtes Band, welches den Haushalt des Kalkulators mit dem geschäftlichen Treiben der großen Welt verknüpfte; und doch wurde es für Anton ein Leitseil, wodurch sein ganzes Leben Richtung erhielt. Denn wenn der alte Herr am Abend in seinem Garten saß, das Samtkäppchen in dem grauen Haar und seine Pfeife im Munde, dann verbreitete er sich gern mit leiser Sehnsucht über die Vorzüge eines Geschäftes und fragte dann scherzend seinen Sohn, ob er auch Kaufmann werden wolle. Und in der Seele des Kleinen schoß augenblicklich ein hübsches Bild zusammen, wie die Strahlen bunter Glasperlen im Kaleidoskop, zusammengesetzt aus großen Zuckerhüten, Rosinen und Mandeln und goldenen Apfelsinen, aus dem freundlichen Lächeln seiner Eltern und all dem geheimnisvollen Entzücken, welches ihm selbst die ankommende Kiste je bereitet; bis er begeistert ausrief: «Ja, Vater, ich will!» – Man sage nicht, daß unser Leben arm sei an poetischen Stimmungen; noch beherrscht die Zauberin Poesie überall das Treiben der Erdgeborenen. Aber ein jeder achte wohl darauf, welche Träume er im heimlichsten Winkel seiner Seele hegt, denn wenn sie erst groß gewachsen sind, werden sie leicht seine Herren, strenge Herren!
So lebte die Familie still fort durch manches Jahr. Anton wuchs heran und lief mit seiner Büchermappe durch alle Klassen des Gymnasiums bis in die stolze Prima. Wenn die Frau Kalkulatorin ihren Mann bat, über Antons Zukunft einen festen Entschluß zu fassen, erwiderte der Hausherr mit einem siegesfrohen Lächeln: «Der Entschluß ist gefaßt, er will ja Kaufmann werden. Erst muß er mit dem Gymnasium fertig sein, dann steht ihm die ganze Welt offen.» Und dann tat der Kalkulator, als ob das Abiturientenzeugnis ein Schlüssel zu allen Ehren der Welt sei. Im geheimen aber bangte ihm ein wenig davor, den Familientraum der Ausführung näherzubringen.
Unterdes kam ein schwarzer[*] Tag, wo die Fensterladen des Hauses lange geschlossen blieben, das Dienstmädchen mit roten Augen die Treppe auf und ab lief, der Arzt kam und den Kopf schüttelte und der alte Herr am Lager seiner Frau das Samtkäppchen in den gefalteten Händen hielt, während der Sohn schluchzend vor dem Bette kniete und seinen Lockenkopf darauf legte, welchen die Hand der sterbenden Mutter noch zu streicheln versuchte. Drei Tage nach diesem Morgen wurde die Frau Kalkulatorin begraben, und der alte Herr und Anton saßen am Abend nach dem Begräbnis bleich und einsam einander gegenüber. Anton schlich von Zeit zu Zeit hinter die Stachelbeeren, sich dort in der Stille auszuweinen, und der alte Herr stand häufig von seinem Stuhle auf und ging in die Schlafstube, wo die weiße Gardine mit den beiden Quasten hing, und weinte ebenfalls. Der Jüngling erhielt nach langem Weinen die roten Backen wieder, der alte Herr kam nicht wieder zu Kräften. Er klagte über nichts, er rauchte seine Pfeife wie immer, er ärgerte sich noch immer, wenn der Kaffee flaute; aber es war kein rechtes Rauchen und auch kein rechter Ärger mehr. Oft sah er seinen Sohn nachdenklich und traurig an, und der junge Gesell konnte nicht erraten, was den Vater so besorgt mache. Als der Vater aber an einem Sonnabend den Sohn wieder gefragt hatte, ob er noch Kaufmann werden wollte, und Anton zum hundertsten Male versichert hatte, daß er gerade dies gern wolle und nichts anderes, da stand der alte Herr entschlossen auf, rief das Dienstmädchen und bestellte zum nächsten Morgen eine Fuhre nach der Hauptstadt. Er gestand dem fragenden Sohn nicht, weshalb er die unerhörte Expedition vornahm. Und er hatte wohl Grund zum Schweigen, der arme alte Herr! Denn wenn er auch seit zwanzig Jahren stolz gewesen war auf seinen großen Handelsfreund, so hatte ihm doch immer der Mut gefehlt, selbst vor den Kaufmann zu treten und für seinen Sohn einen Platz im Kontor zu erbitten. Sein Wunsch kam ihm sehr verwegen vor und seine Ansprüche unermeßlich gering. Oft hatte er sich's vorgenommen, und stets hatte er's wieder aufgeschoben, bis die Sorge um seinen Sohn größer wurde als seine Scheu.
Als er den Tag darauf sehr spät aus der Hauptstadt zurückkehrte, war er in ganz anderer Stimmung, glücklicher als je nach dem Tode der Frau Kalkulatorin. Er begeisterte seinen Sohn, der ihn in ahnungsvoller Spannung erwartete, durch seinen Bericht von der unglaublichen Annehmlichkeit des großen Geschäftes und der Freundlichkeit des großen Kaufmanns gegen ihn. Er war zu Mittag geladen worden, er hatte Kiebitzeier gegessen, er hatte griechischen Wein aus den Kellern seines Freundes getrunken, einen Wein, gegen welchen der beste Wein im Gasthof zu Ostrau nichtswürdiger Essig war; er hatte das Versprechen erhalten, daß sein Sohn nach Jahresfrist in das Kontor eintreten könne, und einige Wünsche über die Vorbildung, die dafür wünschenswert sei. Schon am nächsten Tage saß Anton vor einem großen Rechenbuch und disponierte mit unbeschränkter Vollmacht über Hunderttausende von Pfunden Sterling, welche er bald in rheinische Gulden verwandelte, bald in Hamburger Mark Banko umsetzte, als brasilianische Milreis in die Welt flattern ließ und zuletzt ruhig in mexikanischen Staatspapieren anlegte, an denen er mit größter Sicherheit alle möglichen Interessen bis zu zehn vom Hundert abzog. Hatte er auf diese Weise ein kolossales Vermögen zusammengescharrt, so ging er in den Garten, ein kleines dünnleibiges Buch in der Hand, welches auf dem Titel versprach, ihn in vier Wochen zu einem fertigen Engländer zu machen. Dort bemühte er sich zum Entsetzen der deutschen Sperlinge und Finken, das A und andere ehrliche Buchstaben auf jede Weise auszusprechen, welche dem Menschen möglich ist, wenn er einen Buchstaben anders ausspricht, als sich mit der Natur und dessen Charakter verträgt.
So ging wieder ein Jahr hin, Anton war gerade achtzehn Jahre alt und hatte seine Abiturientenprüfung bestanden; da wurden wieder einmal an einem Morgen die Fensterladen des Kalkulators nicht zu gehöriger Zeit geöffnet, wieder rannte das Dienstmädchen mit verweinten Augen durch das Haus, und wieder schüttelte die Nachtlampe unzufrieden und kummervoll ihre feurige Mütze. Diesmal lag der alte Herr selbst im Bett, und Anton saß vor ihm, beide Hände des Vaters haltend. Der alte Herr aber ließ sich nicht festhalten, sondern starb so eilig als möglich, nachdem er seinen Sohn vielmal gesegnet hatte. Nach einigen Tagen lauten Schmerzes stand Anton allein in der stillen Wohnung, eine Waise, im Anfang eines neuen Lebens.
Der alte Herr war nicht umsonst Kalkulator gewesen: sein Haushalt war in musterhafter Ordnung, seine sehr geringe Hinterlassenschaft in der geheimen Schublade des Schreibtisches war auf dem gehörigen Blatt Papier zu Heller und Pfennig aufgezeichnet; alles, was im letzten Jahre durch das Dienstmädchen zerschlagen oder verwüstet worden war, fand sich an der betreffenden Stelle bemerkt und abgerechnet, über jedes war Disposition getroffen. Auch ein Brief an den Kaufherrn fand sich vor, den der Verstorbene noch in den letzten Tagen mit zitternder Hand geschrieben hatte: ein treuer Hausfreund war zum Vormund Antons bestellt und mit dem Verkauf des Hauses und Gartens und seines ganzen Inhalts beauftragt, und Anton trat, vier Wochen nach dem Tode des Vaters, an einem frühen Sommermorgen über die Schwelle des väterlichen Hauses, legte den Schlüssel desselben in die Hand des Vormundes, übergab sein Gepäck einem Fuhrmann und fuhr durch das Tor des Städtchens auf die Hauptstadt zu, den Brief seines Vaters an den Kaufmann in der Tasche.

(Beginn des 1855 erschienenen Romans)

ZUM TODESTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1816-1895)

Mittwoch, 29. April 2015

Isaac von Sinclair: An Hegel

Siegfried Schmidt, den du als meinen und Hölderlins Freund kennen wirst, und den ich wirklich für eines der ersten poetischen Talente halte, lebt jetzt dort in großer Dürftigkeit ...

Von Hölderlin weiß ich auch nichts, als dass ihn Dr. Autenried zu Tübingen in der Kur hat. Mit welchem Erfolg weiß ich nicht. In Seckendorfs Taschenbuch stehen aber einige Sachen von ihm, in seinem jetzigen Zustand verfertigt, die ich aber für unvergleichlich ansehe, und die Fr. Schlegel und Tieck, die ich voriges Jahr darüber sprach, für das höchste in ihrer Art in der ganzen modernen Poesie erklärten. Wollte Gott, alle diese abscheulichen Schicksale wären einmal vorüber.

(Brief vom 23. Mai 1807, zitiert aus: Knaupp [Hg.], Hölderlin. Sämtliche Werke und Briefe)

ZUM TODESTAG DES POLITIKERS

Dienstag, 28. April 2015

Daniel Casper von Lohenstein: Höhe des menschlichen Geistes

Wohin hat sich der Geist der Menschen nicht geschwungen?
Die kleine Welt reicht hin, wie weit die große gränzt;
Denn ist der spröde Leib gleich nur von Thon entsprungen,
So sieht man doch, daß Gott aus diesen Schlacken glänzt,
Daß etwas Himmlisches beseele das Gehirne,
Der Ursprung sei von Gott, das Wesen vom Gestirne.

Die Sonne der Vernunft, das Auge des Gemüthes
Macht uns zu Herrn der Welt, zu Meistern der Natur.
Der Panther dämpft vor ihr das Schäumen des Geblütes;
Sie nimmt der Schlang' ihr Gift durch einen kräft'gen Schwur;
Sie lehrt uns Drachen kirr'n und auf den Löwen reiten,
Die Adler übereil'n, das Krokodil bestreiten.

Die Elemente selbst sind Mägde des Verstandes.
Durch Leinwand und ein Bret zwingt man das große Meer;
Wir machen aus der See ein fruchtbar Stücke Landes,
Und wo erst Klippe war, kommt jetzt ein Segel her.
Sie raubt Korall' und Perl' aus Amphitrite's Grunde,
Gräbt Gold und andres Mark aus der Gebirge Schlunde.

Wir spielen mit der Gluth und kurzweil'n mit den Flammen,
Daß sie uns minder Weh, als Salamandern, thun;
Wir theilen Wind und Luft auf tausend Art vonsammen
Und machen, daß ihr Flug sich hemmen muß und ruh'n;
Wir kehr'n die Berg' in Thal; im Abgrund bau'n wir Klüfte
Und große Städt' in's Meer, Thürm' über Wolk- und Lüfte.

Ja, eines Menschen Geist kann tausend Wun'der stiften,
Wenn Fleiß die Sinne schärft und Weisheit den Verstand.
Die Welt, das große Buch, steckt in gelehrten Schriften,
Daraus uns der Natur Geheimniß wird bekannt;
Ja, ein scharfsinn'ger Geist ist fähig, das zu lernen,
Was über die Natur, was außer Welt und Sternen.[140]

In dem Gehirne steckt's Register der Geschichte,
Und sein Gedächtniß ist die Mappe ganzer Welt;
Er zeucht Wald, Stein und Wild durch Harfen und Gedichte,
Schafft durch Beredtsamkeit, daß Grimm und Pöbel fällt,
Zwingt durch Gesetzes Zaum der rauhen Völker Sitten,
Daß tausend Ländern kann ein einig Haupt gebieten;

Ergründet ohne Blei die Tiefen tiefer Flüsse,
Mißt ohne Messen ab See, Berge, Thürme, Land;
Wenn er legt Städt' in Grund, von Feldern machet Risse,
Ist Schatten seine Schnur, der Meßstab seine Hand;
Schafft, daß ein einz'ger Arm ein Schiff stößt vom Gestade,
Die Obelisken hebt, Colosse setzt gerade.

Wie kein Planete nicht ein andres Licht sonst habe,
Denndies, womit die Sonn' ihr halbes Theil begabe,
Ja, er schifft höher an; sein Meer ist's Feld der Sternen,
Das Fernglas ist sein Schiff, die Segel der Verstand.
Durch diese Leitung kann jetzt Witz und Auge lernen,
Wie wunderseltsam es im Himmel sei bewandt,
Ja, er schifft höher an; sein Meer ist's Feld der Sternen,
Das Fernglas ist sein Schiff, die Segel der Verstand.

Durch diese Leitung kann jetzt Witz und Auge lernen,
Wie wunderseltsam es im Himmel sei bewandt,
Wie um den Jupiter vier Sterntrabanten rennen,
Wie Mars, trotz Hekla, Gluth und Feuer von sich speit,
Wie in dem Monde Berg' und Thäler ungleich brennen,
Wie auch die Sonne nicht von Makeln sei befreit,
Ihr Licht als Wolk' und Rauch und Fackeln von sich säme,
Wie Venus, Mars, Merkur, sowie der Mond, abnehme;

Wie länglich der Saturn sei wegen zwei Gefährten,
Die, als zwei halbe Mond', ihm an der Seite stehn;
Wie grause Haargestirn' und mit entflammten Gerten,
Trotz ihres fremden Laufs ihm keinen Irrgang gehn.
Kurz, unsre Nachwelt ist so hoch und weit gestiegen,
Daß Tiphys und sein Schiff veracht't und mastlos liegen;

Daß Galilei mit Fug des Himmels Tiphys heißet,
Ein neu' Endymion, den Phoebe nackend sah. –
Und da der Geist sich dort so hoch vom Körper reißet,
So kommt er der Natur hier auch nicht minder nah;
Ja, diese Göttinn steigt zu ihm in Höhl' und Erde,
Daß ihr Geheimniß ihm vollkommen kundbar werde.

Er preßt aus Erzen Salz, aus edeln Steinen Säfte,
Bereitet trinkbar Gold, macht Wasser aus Metall,
Giebt in drei Tropfen ein wohl hundert Kräuterkräfte,
Macht Lebensöl aus Gift und Zuckertränk' aus Gall',
Kehrt Spießglas in Arznei, bringt Geister aus Granaten,
Um wider Gift und Tod schon Sterbenden zu rathen.

Jedoch sind alles dies ihn noch zu enge Schranken;
Weil er von Gott herkommt, so schwingt er sich zu Gott,
Vergeistert andachtsvoll die himmlischen Gedanken,
Umarmt die Ewigkeit, umschränkt mit Angst und Tod,
Durchforscht die hohe Schrift, in der uns Gott heißt lesen;
Ja, Glaub' und Liebe faßt der Gottheit tiefstes Wesen.


ZUM TODESTAG DES DICHTERS

Montag, 27. April 2015

Alois Riehl: Zur Einführung in die Philosophie der Gegenwart

Umsonst, dass der Mensch sich gleichgültig verhalten wollte zu den Problemen der Philosophie; sind es doch die wahren und wesentlichen Probleme seines Wissens und seines Lebens. Stetig muss die Menschheit fortschreiten in der Selbsterkenntnis der Vernunft und der Erkenntnis der Welt, im Streben nach einer auf dieser doppelten Erkenntnis beruhenden Weisheit, Fortschreiten in philosophischer Wissenschaft und philosophischer Gesinnung. Neben der Forschung, welche die Gesetze der Erscheinungen ermittelt, neben der Kunst, welche den Wert der Erscheinungen erhöht und zu anschauender Empfindung bringt, ist die Philosophie eine der geistigen Lebensmächte der Menschheit, eine der kulturschaffenden Mächte.


ZUM GEBURTSTAG DES PHILOSOPHEN

Sonntag, 26. April 2015

Ludwig Uhland: Auf einen verhungerten Dichter

So war es dir bescheret,
Du lebtest kummervoll,
Du hast dich aufgezehret,
Recht wie ein Dichter soll.

Das gab die Pieride
An deiner Wiege kund,
Sie weihte dir zum Liede,
Zu andrem nicht, den Mund.

Die Mutter starb dir frühe,
Man sah an dem Verlust,
Daß dir kein Heil erblühe
Von einer ird'schen Brust.

Die Welt mit ihren Schätzen,
Mit allem Überfluß,
Soll nur dein Auge letzen;
Für andre der Genuß!

Der Frühling war dein Leben,
Die Blüte war dein Traum;
Ein andrer preßt die Reben,
Ein andrer leert den Baum.

Du hast an manchem Tage
Den Wasserkrug gestürzt,
Indes man Festgelage
Mit deinem Lied gewürzt.

Du warst schon hier verkläret
Und wenig mehr als Geist,
Nun bist du heim gekehret,
Wo man Ambrosia speist.

Zu Grab getragen werde,
Was einem Leichnam gleicht!
Du drückest nicht die Erde,
Sei dir die Erde leicht!


ZUM GEBURTSTAG DES DICHTERS

Samstag, 25. April 2015

Felix Klein: Elementarmathematik vom höheren Standpunkt aus

Ich habe in der Vorlesung allerlei vorgetragen, was gewöhnlich nicht in den Lehrbüchern über die behandelten Gegenstände zu finden ist, was aber die Voraussetzung und stillschweigende Annahme der gewöhnlichen Entwicklungen bildet. Ich wollte Sie damit veranlassen, mit freiem Blick und unabhängigem Urteil die Dinge selbst zu erfassen. [...]

Mit der Mathematik ist es wie mit der bildenden Kunst. Es ist nicht nur nützlich, sondern durchaus notwendig, dass man von seinen Vorgängern lernt. Wenn man sich aber ausschließlich auf das Studium des Überkommenen beschränkt, also nur auf dem weiterbaut, was man in den Büchern liest, so entsteht das, was ich als scholastisches System bezeichne. Hiergegen ergeht dann die Mahnung:

Zurück zur eigenen lebendigen Auffassung, zurück zur Natur, welche die erste Lehrmeisterin bleibt!


ZUM GEBURTSTAG DES MATHEMATIKERS

Freitag, 24. April 2015

Carl Spitteler: Datumsjubiläen

Der hundertjährige, der fünfzigjährige, vielleicht auch der fünfundzwanzigste Todestag. Warum nicht der achtundneunzigste oder der neunundvierzigste? Ich begreife, es geht nach dem Dezimalsystem. Wenn die Erde sich so und so vielmal um die Sonne geschwungen hat, dann geschieht plötzlich ein allgemeines Hallo über einen Verschollenen.

Nun ist es ja unstreitig ein erhebendes Schauspiel, diese Popularität der Astronomie und des Dezimalsystems. Nur sage mir doch einer, was hat das Null Komma Null, was hat die Ekliptik mit dem Wert eines toten Schriftstellers oder mit der Freude über seinen Wert zu schaffen?

Wäre das bloß ein harmloses Spiel, wie etwa das Lotto, so hätte ich nichts dagegen einzuwenden. Allein diese Prämienziehung gehört in die Klasse der schlimmen Lose, welche den Abnehmern unfehlbar Schaden bringen. Ich meine Schaden am Wahrheitsgefühl. Denn was da gelogen wird, an den hundertjährigen Weißwaschereien! gelogen! gelogen!

Wenn morgen Wieland, übermorgen Paracelsus, am Dienstag Abälard gefeiert wird, oder wen sonst der Wendekreis des Krebses zufällig aus dem Staub der Geschichte emporwirbelt, so wird das andächtige Europa drei Tage lang staunend vernehmen, wie und was maßen Wieland ein Homer von Gottes Gnaden, Paracelsus der Begründer der Naturwissenschaft, Abälard der geniale Vorläufer der Reformation gewesen. Im Grunde, das andächtige Europa vernimmt es durchaus nicht staunend, denn es glaubt ja kein Wort davon. Und die es sagen, glauben's auch nicht, oder, was noch schlimmer ist, sie wissen nicht einmal, ob sie's glauben oder nicht. Aber jedermann hält es für richtig, daß man's sage. Das nun, sehen Sie, nenne ich lügen. Oder was heißt denn sonst lügen?

Übertreibe ich etwa? Nehmen wir doch den ersten besten der jüngst Jubilierten. Zum Beispiel Bürger. Haben sie ihn uns da in unverantwortliche Klassikerhöhen emporgeschroben, den armen Bürger, dem anderthalb Balladen passierten, von jenen, die keinen Sommer machen!

Hernach, wenn das Jubiläum vorbei ist, kräht kein Hahn mehr nach dem geräuschvoll Gefeierten. Nämlich es geht wiederum nach dem Dezimalsystem. Man zieht zunächst eilends 100 Prozent von dem Gesagten wieder ab, läßt die Erde sich ruhig weiter drehen, begräbt das geduldige Opfer wieder in die stille Truhe der Vergessenheit und wartet geduldig ab, bis eine neue Null heranwackelt, die dann eine vierstellige Dezimalzahl ergibt. Jetzt wird der Leichnam abermals abgestäubt und noch viel unverschämter aufgeblasen, und so geht es weiter durch die Zeiten der Zeiten in Ewigkeit, Amen.

(Aus dem 1898 erstmals erschienenen Essayband 'Lachende Wahrheiten')

ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1845-1924)

Donnerstag, 23. April 2015

Maler Müller: Rat

Störe keinen in seiner Meinung, doch laß dich beherrschen
Niemals durch Anderer Sinn. Traue dem eignen Gefühl.
Sicher leitet es dich zum Wahren, Guten und Rechten;
Aber des Freundes Wink ehre und achte stets hoch.

(Aus der Nachlese zu den zwischen 1774 und 1783 erschienenen Gedichten)

ZUM TODESTAG DES KÜNSTLERS

Über den Autor (1749-1825)

Mittwoch, 22. April 2015

Immanuel Kant: Beantwortung der Frage "Was ist Aufklärung?"

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen, nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung frei gesprochen (naturaliter maiorennes), dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben; und warum es anderen so leicht wird, sich zu deren Vormündern aufzuwerfen. Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger, der für mich Gewissen hat, einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt, u.s.w.: so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann; andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen. Daß der bei weitem größte Teil der Menschen (darunter das ganze schöne Geschlecht) den Schritt zur Mündigkeit, außer dem daß er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte: dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über sie gütigst auf sich genommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben, und sorgfältig verhüteten, daß diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften: so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen. Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einigemal Fallen wohl endlich gehen lernen; allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern, und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer, sich aus der ihm beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar lieb gewonnen, und ist vor der Hand wirklich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Versuch davon machen ließ. Satzungen und Formeln, diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Mißbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Unmündigkeit. Wer sie auch abwürfe, würde dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur unsicheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigene Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Unmündigkeit her aus zu wickeln, und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

Daß aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich; ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit läßt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens, finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schätzung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbreiten werden. Besonders ist hiebei: daß das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch gebracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von einigen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden; so schädlich ist es, Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die, oder deren Vorgänger, ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Aufklärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall von persönlichem Despotism und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung, aber niemals wahre Reform der Denkungsart zu Stande kommen; sondern neue Vorurteile werden, eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit; und zwar die unschädlichste unter allem, was nur Freiheit heißen mag, nämlich die: von seiner Vernunft in allen Stücken öffentlichen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen: räsonniert nicht! Der Offizier sagt: räsonniert nicht, sondern exerziert! Der Finanzrat: räsonniert nicht, sondern bezahlt! Der Geistliche: räsonniert nicht, sondern glaubt! (Nur ein einziger Herr in der Welt sagt: räsonniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; aber gehorcht!) Hier ist überall Einschränkung der Freiheit. Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich? welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich? – Ich antworte: der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanism notwendig, vermittelst dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet, oder wenigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden. Hier ist es nun freilich nicht erlaubt, zu räsonnieren; sondern man muß gehorchen. So fern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja sogar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet: kann er allerdings räsonnieren, ohne daß dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Teile als passives Glied angesetzt ist. So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbefohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit dieses Befehls laut vernünfteln wollte; er muß gehorchen. Es kann ihm aber billigermaßen nicht verwehrt werden, als Gelehrter, über die Fehler im Kriegesdienste Anmerkungen zu machen, und diese seinem Publikum zur Beurteilung vorzulegen. Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten; sogar kann ein vorwitziger Tadel solcher Auflagen, wenn sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skandal (das allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte) bestraft werden. Eben derselbe handelt demohngeachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er, als Gelehrter, wider die Unschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibungen öffentlich seine Gedanken äußert. Eben so ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeine nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu tun; denn er ist auf diese Bedingung angenommen worden. Aber als Gelehrter hat er volle Freiheit, ja sogar den Beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol, und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwesens, dem Publikum mitzuteilen. Es ist hiebei auch nichts, was dem Gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn, was er zu Folge seines Amts, als Geschäftträger der Kirche, lehrt, das stellt er als etwas vor, in Ansehung dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenem Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines andern vorzutragen angestellt ist. Er wird sagen: unsere Kirche lehrt dieses oder jenes; das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, daß darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der innern Religion Widersprechendes darin angetroffen wird. Denn glaubte er das letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Gewissen nicht verwalten können; er müßte es niederlegen. Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß ein Privatgebrauch; weil diese immer nur eine häusliche, obzwar noch so große, Versammlung ist; und in Ansehung dessen ist er, als Priester, nicht frei, und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt, spricht, mithin der Geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit, sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen. Denn daß die Vormünder des Volks (in geistlichen Dingen) selbst wieder unmündig sein sollen, ist eine Ungereimtheit, die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft.

Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchenversammlung, oder eine ehrwürdige Classis (wie sie sich unter den Holländern selbst nennt) berechtigt ein, sich eidlich unter einander auf ein gewisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unaufhörliche Obervormundschaft über jedes ihrer Glieder und vermittelst ihrer über das Volk zu führen, und diese so gar zu verewigen? Ich sage: das ist ganz unmöglich. Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte abzuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig; und sollte er auch durch die oberste Gewalt, durch Reichstäge und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein. Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zustand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muß, seine (vornehmlich so sehr angelegentliche) Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen, und überhaupt in der Aufklärung weiter zu schreiten. Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht; und die Nachkommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frevelhafter Weise genommen, zu verwerfen. Der Probierstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte? Nun wäre dieses wohl, gleichsam in der Erwartung eines bessern, auf eine bestimmte kurze Zeit möglich, um eine gewisse Ordnung einzuführen; indem man es zugleich jedem der Bürger, vornehmlich dem Geistlichen, frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d.i. durch Schriften, über das Fehlerhafte der dermaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu machen, indessen die eingeführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einsicht in die Beschaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewähret worden, daß sie durch Vereinigung ihrer Stimmen (wenn gleich nicht aller) einen Vorschlag vor den Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der besseren Einsicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim Alten wollten bewenden lassen. Aber auf eine beharrliche, von niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfassung, auch nur binnen der Lebensdauer eines Menschen, sich zu einigen, und dadurch einen Zeitraum in dem Fortgange der Menschheit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten, und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig, zu machen, ist schlechterdings unerlaubt. Ein Mensch kann zwar für seine Person, und auch alsdann nur auf einige Zeit, in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben; aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person, mehr aber noch für die Nachkommenschaft, heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen; denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, daß er den gesamten Volkswillen in dem seinigen vereinigt. Wenn er nur darauf sieht, daß alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung zusammen bestehe: so kann er seine Untertanen übrigens nur selbst machen lassen, was sie um ihres Seelenheils willen zu tun nötig finden; das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, daß nicht einer den andern gewalttätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinen Vermögen zu arbeiten. Es tut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt, indem er die Schriften, wodurch seine Untertanen ihre Einsichten ins reine zu bringen suchen, seiner Regierungsaufsicht würdigt, sowohl wenn er dieses aus eigener höchsten Einsicht tut, wo er sich dem Vorwurfe aussetzt: Caesar non est supra grammaticos, als auch und noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt so weit erniedrigt, den geistlichen Despotism einiger Tyrannen in seinem Staate gegen seine übrigen Untertanen zu unterstützen.

Wenn denn nun gefragt wird: Leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? so ist die Antwort: Nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Daß die Menschen, wie die Sachen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon im Stande wären, oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines andern sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel. Allein, daß jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten, und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung, oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen. In diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung, oder das Jahrhundert Friederichs.

Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet, zu sagen: daß er es für Pflicht halte, in Religionsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu lassen, der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt: ist selbst aufgeklärt, und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten der Regierung, entschlug, und jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen. Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche, unbeschadet ihrer Amtspflicht, ihre vom angenommenen Symbol hier oder da abweichenden Urteile und Einsichten, in der Qualität der Gelehrten, frei und öffentlich der Welt zur Prüfung darlegen; noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen einer sich selbst mißverstehenden Regierung zu ringen hat. Denn es leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, daß bei Freiheit, für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen Wesens nicht das mindeste zu besorgen sei. Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohigkeit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu erhalten.

Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, die des Ausganges der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt: weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Untertanen zu spielen; überdem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist. Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter, und sieht ein: daß selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr sei, seinen Untertanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen öffentlichen Gebrauch zu machen, und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben, sogar mit einer freimütigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen; davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.

Aber auch nur derjenige, der, selbst aufgeklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohldiszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat, – kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: räsonniert, so viel ihr wollt, und worüber ihr wollt; nur gehorcht! So zeigt sich hier ein befremdlicher nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge; so wie auch sonst, wenn man ihn im großen betrachtet, darin fast alles paradox ist. Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft, und setzt ihr doch unübersteigliche Schranken; ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten. Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken, ausgewickelt hat: so wirkt dieser allmählich zurück auf die Sinnesart des Volks (wodurch dieses der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird), und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung, die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der nun mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu behandeln.

(In der Berlinischen Monatsschrift erschienener Aufsatz vom 30. September 1784)

Textlesung bei Salm Philosophie

ZUM GEBURTSTAG DES PHILOSOPHEN

Über den Autor (1724-1804)

Dienstag, 21. April 2015

Ulrich von Hutten: Gesprächsbüchlein

Die warheit ist von newem gborn,
Vnd hatt der btrugk sein schein verlorn,
Des sag Gott yeder lob vnd eer,
Vnd acht nit fürter lugen meer.
Ja sag ich, Wahrheit was vertruckt,
ist wider nun härfür geruckt.
Des solt man billich gnyessen lon
Die darzů haben arbeit gthon.
Dann vilen es zů nutz erscheüßt,
wiewol es manchen auch verdreüßt.
Die faulen pfaffen lobents nit.
Darumb ich yeden frommen bitt,
das er gemeynen nutz bedenck,
vnd ker sich nit an loße schwenck.
Es ist doch ye ein Bapst nit gott,
dann auch jm ist gewisß der todt.
Ach fromme Teütschen halt ein rat,
das nun so weyt gegangen hat
dasß nit geeh wider hindersich.
Mit trewen habs gefordert ich,
vnd bger des anders keinen gnyesß.
Dann wo mir gschäh des halb verdryesß,
das man mit hilff mich nit verlasß,
So will ich auch geloben, das
von warheit ich wil nyemer lan,
das sol mir bitten ab kein man.
Auch schafft zůstillen mich kein wer,
kein bann, kein acht, wie vast vnd seer
man mich darmit zůschrecken meynt.
Wiewol mein fromme můtter weynt
do ich die sach hett gfangen an.
Gott wöll sye trösten, es můsß gan,
vnd solt es brechen auch vorm end,
wils Gott, so mags nit werden gwend,
darumb wil brauchen füß vnd hend.

(Vorwort an den Leser des 1521 erschienenen Büchleins)

ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1488-1523)

Montag, 20. April 2015

Ferdinand Braun: Drahtlose Telegraphie durch Wasser und Luft

Fragt man nach den Aussichten, dem praktischen Werthe und der voraussichtlichen Entwickelung der drahtlosen Telegraphie, so wird man nach dem heute möglichen Ueberblick ungefähr Folgendes sagen:

Der Werth als ein verbesserter Signaldienst, der unabhängig ist von jedem Wetter, von Tageszeit, von Nebel, Regen und Schnee ist bereits anerkannt. Dieser wird für viele Fälle bleiben, selbst wenn die Hoffnung, die Stationen von einander unabhängig zu machen, sich nicht in dem Maasse, wie man es wünschen möchte, erfüllen sollte.

Starke Geberwirkung – abgestimmte Empfängerwirkung werden zunächst die Ziele sein. Werden sie auch nur innerhalb mässiger Grenzen erreicht, so ist ausreichende Gelegenheit zu praktischer Verwendung vorhanden. Es giebt Küsten genug, gegenüber gelegene Inseln, wenig bevölkerte Gegenden, wo eine Kabelverbindung nicht lohnt, einer Telegraphenleitung von Stürmen, wilden Thieren oder (unverständigen) Menschen Gefahr droht. An der Verwerthung für militärische Zwecke besteht in allen Staaten grosses Interesse.

Als Illusion wird man es aber – voraussichtlich für alle Zeiten – bezeichnen müssen, wenn man hofft, damit die Drahttelegraphie beseitigen zu können. Wie die sicherste schriftliche Verbindung ein geschlossener Brief ist, so giebt der Draht da, wo er anwendbar ist, die sicherste discrete Verbindung zweier Punkte. Das Ziel, dass eine Depesche nicht von einem Unbefugten mit aufgenommen werden kann – ein Schicksal, welchem bekanntlich auch die Drahttelegraphie unterliegen kann – ist nicht aussichtslos, bis jetzt aber nicht erreicht.

Man legt einem Kinde die besten Wünsche in die Wiege, man freut sich, wenn es sich denselben entsprechend entwickelt – wer aber vermag nach fünf Jahren schon mit Sicherheit zu sagen, wie es als Mann sich bewähren wird? Es wird sich auswachsen und etwas leisten, wenn es auch keinen Herkules giebt.

(Schlussbetrachtungen in der 1901 erschienenen Schrift)

ZUM TODESTAG DES PHYSIKERS

Über den Autor (1850-1918)

Sonntag, 19. April 2015

Franz Anton von Gerstner: Die inneren Kommunikationen der Vereinigten Staaten von Nordamerika

Die Wichtigkeit, welche verbesserte innere Communikationen im Allgemeinen und Eisenbahnen – als die vollkommensten derselben – insbesondere in der neuesten Zeit erlangt haben, ihr Einfluss auf die geistigen und materiellen Fortschritte der Nationen, auf den Aufschwung ihrer Agricultur, ihrer Industrie und ihres Handels, so wie ihre vielen anderweitigen Vortheile sind bereits so vielfach und gründlich erörtert worden, dass es überflüssig erscheint, jetzt noch darauf aufmerksam zu machen.

In England, der Wiege der Industrie und so vieler nützlicher Erfindungen, zuerst in einem grössern Masstabe eingeführt und vervollkommnet, haben die Eisenbahnen sehr bald in den Vereinigten Staaten von Nordamerica die beste Aufnahme und ausgedehnteste Anwendung gefunden. Auf dem europäischen Continente wurden dieselben zwar ebenfalls sehr früh – ja viel früher als in den Vereinigten Staaten – eingeführt; doch machten sie auf demselben nur langsame Fortschritte, und erst in der gegenwärtigen Zeit, wo man ihren Werth allgemeiner kennen und würdigen lernte, wird denselben der ihnen gebührende Rang angewiesen. Dafür sucht man aber, vornehmlich in Deutschland, mit um so grösserem Eifer das Versäumte nachzuholen; allenthalben werden jetzt die grossartigsten Projecte für mächtige, weit verzweigte Eisenbahnlinien entworfen und fast eben so schnell als sie gefasst werden, zur Ausführung gebracht; und nicht mehr ferne ist der Zeitpunct, in welchem ganz Europa der Wohlthaten eines vollständigen Eisenbahnnetzes sich erfreuen wird.

Je wichtiger aber die Rolle ist, welche den Eisenbahnen bei uns angewiesen wird, je grösser der Aufwand an Capitalien und Kräften, welchen ihre Herstellung in Anspruch nimmt, desto nothwendiger erscheint es, dass wir uns aller jener Erfahrungen bedienen, welche die Länder, in denen diese Communicationen am meisten vorgeschritten und gediehen sind, darbieten. Und wohin könnten wir uns in dieser Beziehung mit besserem Erfolge wenden, als nach Nordamerica?

(Beginn der Vorrede der postum [1842] erschienenen Schrift)

ZUM GEBURTSTAG DES INGENIEURS

Über den Autor (1796-1840)

Samstag, 18. April 2015

Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau: Der Himmel pflanzt mein Glück

DEr himmel pflantzet mein gelücke /
Er lacht mich freundlich an durch tausend holde blicke /
    Er macht aus winter frühlings-zeit /
Er wirckt mir selber zeug zu einem feyer-kleide /
    Ich bin von boy und flohr befreyt /
Und meine wolle wird zur seide.

Ich kan den port itzt recht erreichen /
Und darff nicht um das haupt der leeren hoffnung streichen /
    Mein ancker sinckt in süsse ruh /
Dein auge hat mir selbst ein leit-stern werden müssen /
    Ja / mein gelobtes land bist du /
Laß mich das vorgebürge küssen.

Schlag doch nicht mehr die augen nieder /
Ist denn mein reiner schertz / Rosette / dir zuwider?
    Ich bin dir ja nicht unbekannt /
Du kennest mein gesicht / und auch mein treues hertze /
    Drum glaube / daß der liebe brand
Sich stärcket zwischen freud und schertze.

Wilst du dich der natur entreissen?
Diß kan die tugend selbst nicht eine tugend heissen /
    Das schöne blumwerck deiner brust
Ist nicht vor dich allein auff diese welt gebohren /
    Es hat es auch zu meiner lust
Des himmels ausspruch außerkohren.

Du must in dir nicht selbst verwesen /
Laß mich um deinen mund die zucker-rosen lesen
    Durch einen unverwehrten kuß /
Laß doch den süssen thau auff meine lippen rinnen /
    Daß durch verliebten überfluß
Die geister selbst sich küssen können.

(Aus der 1697 erschienenen Sammlung 'Herrn Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Theil')

ZUM TODESTAG DES DICHTERS

Über den Autor (1616-1679)