Hochansehnliche Versammlung!
Nur noch 1½
Tage trennen uns von der Entscheidung. Der Wahlkampf hat seinen
Höhepunkt erreicht. Man sollte meinen, daß es den kämpfenden Parteien
kaum mehr möglich wäre, noch weiter Boden zu gewinnen. Hat nicht jeder
Wähler, so fragt man sich, seine Entscheidung bereits für sich
getroffen? Außer den Unentwegten, die es ja wohl bei jeder Partei gibt,
die von vornherein, noch bevor der Reichstag aufgelöst war, wußten, wie
sie bei der nächsten Wahl stimmen würden, die gegen alles, was nicht von
der eigenen Partei kommt, die Ohren verstopfen und die Herzen
verschließen, die nicht nachdenken, sondern mit dem Urteil fertig sind,
bevor sie nur die Gründe und Tatsachen recht erfahren haben – außer
diesen Unentwegten, dem besonderen Stolz des Zentrums, haben nicht auch
diejenigen unserer Mitbürger, die anderer Erwägung zugänglich sind,
bereits alle Stellung genommen? Läßt sich überhaupt noch etwas Neues
sagen, Entscheidendes noch vorbringen?
Meine Herren! Diese Fragen
drängen sich am Schlusse eines jeden Wahlkampfes auf, und die
Heftigkeit, mit der er bis zuletzt fortgesetzt wird, die noch immer
wachsende Teilnahme der Wähler zeigt, daß keine Partei die Hoffnung sinken
läßt, einen oder den anderen zu bekehren. Und wenn jemals, so ist
gerade bei diesem Wahlkampfe die Hoffnung auf unserer Seite berechtigt.
Denn, meine Herren, in den sechs
Wochen, die seit der Reichstagsauflösung vergangen sind, hat sich etwas
Merkwürdiges, etwas Neues, etwas Großes zugetragen, das, wie mir scheint
sogar über die augenblickliche Bedeutung dieses Wahlkampfes weit
hinausragt. Keinem, der mit offenen Augen die Vorgänge der letzten
Wochen beobachtet hat, kann es entgangen sein, wie sich in dieser kurzen
Zeit im ganzen deutschen Volke die Erkenntnis Bahn gebrochen hat von
der ungeheuren Bedeutung der Kolonialfrage für unser gesamtes
wirtschaftliches und politisches Leben.
Obwohl 14.000 unserer Soldaten
seit Jahren in dem südwestafrikanischen Schutzgebiete kämpfen, wer hat
sich vor dem 13. Dezember so recht für unsere Kolonien interessiert?
Unsere armen Soldaten haben diese Interessenlosigkeit der Heimat, die mit
der allgemeinen Gleichgültigkeit den kolonialen Dingen gegenüber
zusammenhing, auf das schmerzlichste empfunden.
Und wie steht es nun, meine
Herren? Seit dem 13. Dezember ist das Interesse für unsere Kolonien
ausgebreitet worden über ganz Deutschland, vom Fels bis zum Meer,
hineingetragen in jede Hütte, in den entlegensten Hof unserer
Schwarzwaldtäler, in alle Schichten unserer Bevölkerung. Alle haben
dabei mitgeholfen, freiwillig oder unfreiwillig, die Presse aller
Parteien, die Stimmen der Freunde unserer Kolonialpolitik und ihrer
Gegner. Ja die Gegner haben, meinte ich, mit ihrer leidenschaftlichen
Heruntersetzung des Wertes unserer Kolonien und ihren übertriebenen
Anklagen gegen unsere Kolonialverwaltung und ihre Beamten am
allermeisten dazu beigetragen, unserem Volke zum Bewußtsein zu bringen,
daß die Kolonialfrage für die Zukunft Deutschlands von ganz erheblicher
Bedeutung ist.
Schon dies ist ein großer
Gewinn, ein bleibender Erfolg dieses Wahlkampfes! Diese Kolonien, die
uns soweit ablagen, durch wochen- und monatelange Reisewege von uns
getrennt, auf der anderen Seite unseres Erdballs unter einem anderen
Sternenhimmel, die sind mit einem Male uns mächtig nahe gerückt, in
unheimliche Nähe gerückt, sie stehen vor uns; vor einem Jeden unter uns,
vor der Gesamtheit des Volkes und fragen: „Wollt Ihr uns anerkennen
oder wollt Ihr uns verleugnen?“ „Wollt Ihr uns ehrlich auferziehen oder
wollt Ihr uns verkümmern lassen?“ „Gehören wir Euch oder gehören wir
Euch nicht?“
Und, meine Herren, wie hat sich
nun die Gesamtheit der Nation zu diesen Fragen gestellt? Glauben Sie
doch nicht, daß sich das erst übermorgen, erst am Wahltage oder durch
diese Wahlen überhaupt herausstellen werde. Wenn nicht alle Anzeichen
trügen, so ist in diesen Fragen die Entscheidung bereits so gut wie
gefallen.
Denn es hat sich noch etwas
weiteres in diesen Wochen zugetragen, das jeder von uns, der nicht in
den Vorurteilen befangen war, an sich selbst erfahren und erlebt hat.
Bis zum 13. Dezember waren wir alle, der eine mehr, der andere weniger,
von der Vorstellung beherrscht, daß der Wert unserer Kolonien im
Vergleich mit dem Länderbesitz anderer Nationen arg gering sei; daß es
vielleicht kein so großes Unglück für Deutschland wäre, sie wenigstens
zum Teil wieder los zu sein; daß sie im besten Falle erst in ferner
Zukunft, erst unseren Enkeln und Enkelkindern, wirklichen Gewinn bringen
würde. Auch in der Haltung der Reichsregierung den kolonialen Dingen
gegenüber war diese Ungewißheit, diese Unsicherheit über den realen Wert
der Kolonien bis zu einem gewissen Grade fühlbar. Von ganz wenigen
Leuten abgesehen, hat niemand sich so recht getraut, für die Kolonien
mit aller Entschiedenheit einzutreten. „Wären wir nur erst wieder heraus
aus dem Kolonialsumpf!“ Das war so ziemlich die allgemeine Meinung.
Und heute? Nach diesen wenigen
Wochen? Welche merkwürdige Wandlung hat sich vollzogen! Fast jeder Tag
brachte uns eine neue Erkenntnis, die zu jener Geringschätzung nicht
stimmen wollte, fast jeden Tag erfuhren wir neue Tatsachen, die unsere
früheren Anschauungen über den Haufen warfen, die Kolonialfragen wuchsen
vor unseren Augen und zwangen uns nachzudenken, zwangen uns ganz von
neuem dazu Stellung zu nehmen. Noch niemals haben, wie mich dünkt, in so
kurzer Zeit die Anschauungen in so wichtigen Dingen eine solche
Umgestaltung erfahren.
Dieser Wandel der Anschauungen begann schon am 13. Dezember selbst. In der allerletzten Sitzung der
Budgetmission des Reichstags erklärte der Abg. Dr. Spahn, der bekannte
Zentrumsführer, nach den Mitteilungen der Sachverständigen, über
Südwestafrika, die Sitzung habe dahin klärend gewirkt, daß ein
tatsächlich höherer Wert der Kolonie konstatiert worden sei.
Dann kehrten die Reichsboten
nach der Auflösung zurück in ihre Heimatbezirke und berichteten hier von
den Einzelheiten, die sie in der Budgetmission und im Reichstage vernommen hatten. Da klang noch vieles anders, als man es sich
gedacht hatte. Aus der ungeheuren Sandwüste in Südwestafrika wurde ein
Land, das nicht bloß reiche Erzschätze birgt, sondern in den 70er und
80er Jahren, ohne daß damals für seine Kultur etwas geschehen war, 2
Millionen Stück Großvieh ernährt hatte, große Erzschätze birgt und zu
Schaf- und Straußenzucht in besonderer Weise geeignet sei.
Die Sachverständigen, die
jahrelang in der Kolonie gewesen waren, hatten wohl Bücher darüber
geschrieben, aber wer hatte diese Bände und Berichte bei der allgemeinen
Interessenlosigkeit gelesen? Jetzt in der Weihnachtszeit rief man sie
in die Öffentlichkeit, bat sie zum Vortrage und Berichte? Und was
erfahren wir? Daß unser Südwestafrika um nichts besser, aber auch um
nichts schlechter sei, als der allergrößte Teil der Kapkolonie, als der
Oranjestaat, als Transvaal und der Süden Afrikas überhaupt. „Ja wohnen
dort“, so fragten wir, „in der Kapkolonie nicht Hunderttausende von
Weißen? Treiben sie nicht einen gewinnbringenden Handel? Wachsen die
Städte dort nicht in wunderbarer Schnelligkeit aus dem Boden? Haben die
Engländer nicht um den Besitz des Transvaal den erbitterten Krieg
mit den Buren geführt, den sie sich 3 Milliarden Mark haben kosten
lassen? Und unser Schutzgebiet, sagt Ihr, sei um nichts schlechter?“
„Ja gewiß, so lautet die
Antwort, die Engländer haben aber auch bereits 4000 Kilometer
Eisenbahnen dort gebaut, breitspurige leistungsfähige Bahnen, und wir
besaßen bis vor kurzem nur die elende Schmalspurbahn von Swakopmund nach
Windhuk, noch nicht 400 Km. weit. Wie kann da etwas rentieren, wenn
die Erzeugnisse sich nicht an die Küste befördern lassen!“ „Und in
Ostafrika“, so hörten wir von den Leuten, „da hat man es noch viel
törichter gemacht: Kaum der Küstensaum unseres weiten, reichen Gebietes
ist erschlossen, und während wir hier zögernd die ersten kurzen
Bahnlinien projektierten, haben uns die Engländer auf ihrer
Nachbarkolonie hart an der deutschen Grenze entlang die Ugandabahn 1000
Km. weit bis an den Victoria-Niassa getrieben und leiten die Erzeugnisse
aus dem Innern des deutschen Schutzgebietes nach englischen Häfen!“
„So hatte also der
Kolonialdirektor Dernburg doch ganz recht, als er vor kurzem im
Reichstag erklärte, daß wir in unseren Kolonien hätten Eisenbahnen
bauen, die ungeheuren Gebiete erst hätten erschließen sollen?“ „Und ob
er Recht hatte! Das ist ja eben der große Fehler unserer ganzen
Kolonialpolitik, daß wir die Länder in Besitz genommen, aber so gut wie
gar nicht entwickelt haben. Kein Acker trägt Früchte, der nicht bestellt
wird, kein Grundstück kann sich rentieren, solange es nicht nutzbar
gemacht ist, keine Kolonie, die nicht erschlossen wird.“
Wie man es in solchen Dingen
machen und wie man es nicht machen soll, das können Sie, meine Herren,
hier in Freiburg an einem Beispiel sehen mit erwünschter Deutlichkeit:
an den beiden großen Bauplätzen an der Werderstraße. Dort sind die
Fundamente gelegt, die Gerüste aufgerichtet, die Krahnen in Betrieb
gesetzt, die Bauhütten erstellt, ein Bild energischen Schaffens, und
hier noch nicht einmal der Bauzaun hergestellt, um die Blöße zu decken
um den feierlich gelegten Grundstein. Welches Grundstück glauben Sie
wird sich, wenn das so weiter geht, früher rentieren?
Die Erkenntnis also, meine
Herren, hat sich uns nun doch wohl aufgedrängt, wir hätten entweder die
Kolonialpolitik gar nicht anfangen sollen, oder sie ordentlich
betreiben, zielbewußt, kraftvoll, ausdauernd, wie es eines großen Volkes
würdig ist.
Da sagt dann wohl mancher unter
uns: „Gewiß, wir hätten die Finger davon lassen sollen. Wozu auch diese
Kolonien, die soviel Geld kosten! Hat man denn überhaupt ein Recht dazu,
den Bewohnern dieser Länder, selbst wenn es Schwarze sind, ihren
ererbten Besitz wegzunehmen?“ Und wir fragen uns selbst: War es nicht
vielleicht ein Vorzug von uns Deutschen, daß wir bis vor kurzem uns
fremder Länder nicht bemächtigt haben, daß wir friedlich daheim
geblieben sind und unseren Kohl gebaut haben?
Die Weltgeschichte gibt auf
viele Fragen Antwort. Alle gesitteten Nationen haben seit den Zeiten der
alten Griechen und Römer Kolonien gegründet, in moderner Zeit die
Engländer, die Spanier, die Franzosen, die Niederländer, die Russen, die
ganz Sibirien kolonisiert, und die Dänen, die Skandinavien und Island
besiedelt haben. Nur wir Deutschen und die Italiener nicht von den
Völkern Europas. Und warum nicht? Nur weil Deutschland und Italien
politisch zerrissen waren, weil uns die Kraft dazu gefehlt hat, weil wir
Deutsche ein Volk waren der „Dichter und Denker“, aber nicht der
praktischen Betätigung. Die ganze koloniale Arbeit der deutschen Hansa
ist an unserer Ohnmacht wieder zu Grunde gegangen. Und was haben jene
anderen Nationen erreicht? Sehen Sie sich doch die Vereinigten Staaten
von Nordamerika an, dies ungeheure Land, einstmals von Wäldern und
Steppen bedeckt, in denen die Indianerstämme dem Wild nachjagten, in den
ungeheuren, unbewohnten Jagdgründen, einander unablässig bekämpften,
dem besiegten Gegner die Kopfhaut herunterschnitten, oder ihn
abschlachteten unter scheußlichen Qualen.
Und heute? 80 Millionen
gesittete Menschen, ungeheure Städte, ein reich zivilisiertes Land mit
hochentwickeltem Ackerbau und einer blühenden Industrie, vor allem
Naturkräfte erschlossen, die der ganzen Welt zustatten kommen, die wie
das Petroleum heute in keinem Hause mehr fehlen!
Möchte irgend jemand die Wiederherstellung des früheren Zustandes auch
nur wünschen? Und sah es nicht in unseren afrikanischen Schutzgebieten
vor kurzem ebenso aus wie ehedem in Amerika? Auch dort wurde nichts von
dem nutzbar gemacht, was das Land bietet, ungeheure Steppen, im
Durchschnitt auf 4 Quadratkilometer ein Bewohner, während in Deutschland
die 420fache Zahl auf der gleichen Fläche lebt, und die Bewohner in
gegenseitiger Fehde, in unaufhörlichem Kampf unter sich und mit den
Feinden der Kultur, den Raubtieren und Krankheiten und verheerenden
Tierseuchen.
Die europäischen Völker müssen
diesen Ländern die Errungenschaften ihrer Technik, ihrer Wissenschaft,
ihrer Gesittung, auch dort wo das Klima dem Europäer den dauernden
Aufenthalt unmöglich macht, durch den Missionar, den Arzt, den
Ackerbauer, den Ingenieur, müssen die Naturkräfte erschließen zum
eigenen Vorteil der Eingeborenen und zum Nutzen der gesamten Menschheit.
Wenn wir Deutsche es nicht tun, so tun es die anderen Nationen. Sollen
wir mit ansehen, daß die ganze Welt schließlich von den Engländern in
Besitz genommen wird, daß sie allein die Vorteile daraus ziehen, daß die
englische Rasse schließlich zur allein herrschenden wird auf der Erde?
Sind wir denn wirklich nicht
reich genug zu dieser Kulturaufgabe? Drücken die Aufwendungen uns so
sehr, daß wir sie nicht zu tragen und leisten vermöchten? Unser
Nationalvermögen wächst gegenwärtig alljährlich um beträchtlich mehr als
eine Milliarde Mark. Allein die Ersparnisse, die in den öffentlichen
Sparkassen in jedem Jahre von den Minderbemittelten angelegt werden,
betragen zurzeit etwa 700 Millionen Mark, ebensoviel als uns die ganze
Kolonialpolitik in 22 Jahren gekostet hat. Und das ist doch nur ein Teil
der Zunahme unseres Nationalvermögens. Ueberlegen Sie einmal, was
alljährlich für die unnützesten Dinge, wie für Ansichtspostkarten, in
Deutschland ausgegeben wird. Ich habe dieser Tage in einem Berichte der
Verwaltung gelesen, daß auf der Saalburg, dem alten Römerkastell im
Taunus, im verflossenen Jahr 78200 Ansichtspostkarten verkauft worden
sind: an einem einzigen Vergnügungsort. Es wäre ein Rechenexempel für
den Herrn Erzberger, einmal festzustellen, wie viel Millionen Mark
alljährlich in Deutschland für Ansichtspostkarten ausgegeben werden. Für
diesen gedankenlosen Unfug wirft das deutsche Volk das Geld zum Fenster
hinaus, aber die Aufwendungen für unsere Schutzgebiete können wir nicht
erschwingen!
Allerdings lebt von den
Ansichtskarten eine große Industrie mit Tausenden von Arbeitern, denen
wir den Verdienst herzlich gönnen. Aber ist es etwa bei den
Schutzgebieten anders? Wird unsere industrielle Ausfuhr nach den
Kolonien nicht gleichfalls im Inlande hergestellt, kommen die
Aufwendungen des Reiches für die Schutzgebiete nicht gleichfalls unserer
Industrie, unseren Arbeitern zugute? Schon jetzt leben ja viele
Tausende von ihnen bereits ausschließlich von der Herstellung der
Fabrikate aller Art für deutsches Kolonialland.
Die Einwohnerzahl Deutschlands
wächst gegenwärtig Jahr ein, Jahr aus um beinahe 1 Million Menschen.
Das ist ein erfreuliches Zeichen unserer Kraft, der Gesundheit unseres
sozialen Körpers. Aber möglich ist diese Zunahme nur durch unseren
Handel und unsere Industrie. Schon längst ist die Industrie über die
Versorgung des inländischen, heimatlichen Marktes hinausgewachsen, für
ihre eigene Erhaltung angewiesen auf das Ausland, auf den Weltmarkt. Vom
Ausland kommt die überwiegende Masse der Rohstoffe, die unsere
Industrie verarbeitet, ein großer Teil der Nahrungsmittel, von denen sie
lebt, nach überseeischen Ländern gehen die Erzeugnisse, deren Herstellung die ungeheure Zahl unserer Industriearbeit ernährt.
Unsere Wirtschaftspolitik ist
Weltpolitik geworden, sie muß es sein und muß es bleiben. Diese
Entwicklung aufhalten, hieße unserem sozialen Körper die Lebensluft
rauben, ihm die notwendige Nahrung entziehen, hieße unser gesundes
Wachstum hemmen, Tausende und Abertausende brotlos machen, die
Eheschließungen erschweren und verzögern, ein namenloses Unglück bringen
über unser ganzes Volk.
Die Not, die augenblicklich
eintreten würde, wenn der Absatz unserer Erzeugnisse einen erheblichen
Rückgang erfahren sollte, würde in den großen Industriezentren beginnen
und sich fortsetzen durch alle Volksschichten und alle Landschaften bis
in jedes Dorf hinein und bis in den stillsten Winkel unserer Berge. Denn
auch die Existenz unserer Bauern hängt auf das innigste mit der
Kaufkraft der übrigen Bevölkerung zusammen.
Steht uns nun der Weltmarkt für
alle Zukunft so offen, sind unsere Absatzgebiete nirgends bedroht,
besteht nirgends Gefahr, ganz abgesehen von einem Kriege, daß diese
notwendige Entwicklung aufgehalten und unterbunden werden könnte, ist die Not,
von der ich sprach, für alle Zeit ausgeschlossen? Niemand, der die
Vorgänge auf dem Weltmarkt beobachtet, kann diese Frage bejahen. Im
Gegenteil, die Gefahren zeigen sich an allen Ecken und Enden, sie
wachsen an wie drohendes Unwetter, sie ziehen sich um uns herum zusammen
und beginnen bereits sich zu entladen.
Auf der anderen Seite des
Erdballes suchen die Japaner den europäischen Nationen die Absatzgebiete
im fernen Osten zu entreißen. Nordamerika, bis jetzt noch ein
Hauptabnehmer unserer Erzeugnisse und der Hauptlieferant der uns
unentbehrlichen Rohprodukte, steigert seine Industrie mit den
Arbeitskräften, die wir selbst durch unsere Auswanderung dahin immer
noch abgaben, mit jedem Jahr, mit Riesenschritten geht es dem Ziel
entgegen, sich unabhängig zu machen vom Auslande, selber das Ausland zu
überschwemmen mit seinen Erzeugnissen, uns auch den südamerikanischen
Markt wegzunehmen. England ist darauf und daran, sein ungeheures
Kolonialgebiet durch eine gemeinsame Zollschranke abzuschließen, um alle
fremde Konkurrenz davon auszuschließen. Die Großkapitalisten in London,
New York und Chicago gehen mehr und mehr darauf aus, die uns
unentbehrlichen Rohprodukte aufzukaufen, Ringe zu bilden zur
Zurückhaltung der Produktion und damit zur Steigerung der Preise, zu
einer Verteuerung des Materials, die bei uns die Verarbeitung nicht mehr
lohnend macht.
Im Inlande können und müssen wir
solche Ringbildungen, wie sie von den Kohlebaronen versucht werden, die
uns die allernotwendigsten Bedürfnisse verteuern, durch gesetzliche
Mittel verhindern, wenn es nicht anders geht durch Verstaatlichung oder
Expropriation. Aber die Wirkung unserer Gesetzgebung, der Arm unserer
Gerichte reicht nicht über das Weltmeer, reicht nicht einmal bis nach
Basel. Gegen die Preistreiberei des Petroleumringes, der uns mit jedem
Liter Petroleum einen Tribut abfordert, sind wir machtlos, weil wir
selbst diesen noch unentbehrlichen Brennstoff nur in verschwindender
Menge produzieren können. Mit dem Kupfer, mit der Baumwolle, die nun
einmal bei uns nicht gezogen werden kann, mit Kaffee und Kautschuk
versucht man dasselbe. Die künstliche Steigerung der Baumwollenpreise
durch die Ringbildung im Ausland kostet uns Deutsche jetzt schon
alljährlich 150 Millionen Mark, 5 mal soviel als der durchschnittliche
Jahresaufwand für unsere Kolonien. Auch mit diplomatischen Mitteln ist
dagegen gar nichts zu machen. Sie erinnern sich, daß der berechtigte
Versuch, unserem Handel in Marokko die Gleichberechtigung gegen die
Monopolgelüste anderer Staaten zu sichern, fast einen Weltkrieg entfacht
haben würde.
Gegen alle diese unseren
Fortschritt, unsere Existenz, die Existenz von Millionen unserer
Mitbürger bedrohende Gefahren gibt es nur ein einziges Mittel der Abwehr, einen einzigen Schutz: eine zielbewußte energische Kolonialpolitik.
Nur in unseren eigenen Kolonien
können wir uns Ersatz schaffen für den sicheren Verlust der
Absatzgebiete in anderen Ländern, dauernden Ersatz, der zudem einer
ungemessenen Steigerung fähig ist. Wir müssen nur unsere Schutzgebiete,
die ein Vielfaches der Größe Deutschlands darstellen, entwickeln, wie es
England mit seinen Kolonien tut.
Nur wenn wir die Zulassung oder
den Ausschluß fremder Konkurrenz in einem eigenen, ausgedehnten
Kolonialgebiet in der Hand behalten, können wir uns gegen die
Ausschließung unseres Handels aus dem überseeischen Besitz anderer
Nationen erfolgreich wehren.
Nur wenn wir in Ländern, die
unter unserer Herrschaft stehen, die uns notwendigen Rohprodukte selbst
erzeugen, können wir die Ringbildungen, die gewaltsame Verteuerung
dieser Rohstoffe durch das Ausland, erfolgreich bekämpfen.
Nur auf unserem eigenen,
neudeutschen Boden sind wir imstande, die Tausende unserer
Volksgenossen, die in der Heimat keine sichere und sie befriedigende
Existenz finden, die alljährlich der Wagemut in die weite Welt treibt,
davor zu bewahren, daß sie und ihre Nachkommen ihr deutsches Volkstum,
ihre Sprache, ihre Sitte und ihre Region, die Gemeinschaft mit dem
Vaterlande verlieren, und der Heimat durch ihre Arbeit statt zu nützen
eine nachteilige Konkurrenz bereiten.
Das alles können unsere Kolonien
uns leisten. Wir brauchen keine andere Nation um ihren kolonialen
Besitz zu beneiden. Es ist gar nicht wahr, daß wir zu kurz gekommen
seien, weil wir erst in zwölfter Stunde gekommen sind, als die übrige
Welt schon verteilt war. In unseren Schutzgebieten besitzen wir
nutzbares Land, nutzbar zu Plantagenbetrieb oder zu Ansiedlung, das
zusammen fünf mal so groß als das Deutsche Reich ist. Dort lassen sich
mit der Zeit fast alle Rohprodukte im Ueberschuss herstellen, die unsere
heimische Arbeit nötig hat. Auf unabsehbare Zeit reichen die
Naturschätze unserer Schutzgebiete wenn wir sie richtig ohne Raubbau zu
treiben, heben, wenn wir ihre Nutzbarmachung organisieren, aus, um uns
in der Heimat die Möglichkeit der Arbeit zu sichern, auch wenn unser
Volkstum noch immer weiter zunimmt. Darüber sind alle Sachverständigen
einig, zu denen ich freilich nur die Fachmänner nehme, die in den
Kolonien gewesen sind, die Botaniker, die Aerzte, die Ingenieure, die
Farmer und Kaufleute, nicht den Herrn Erzberger und seines Gleichen.
* * *
Das sind doch, dächte ich, so
einfache, so überzeugende, so schlechthin zwingende Erwägungen, daß es
schier unbegreiflich ist, wie es überhaupt noch Gegner einer
zielbewußten Kolonialpolitik bei uns geben kann, am unbegreiflichsten,
daß gerade die Sozialdemokratie, die so gern die Vertretung unseres
Arbeiterstandes für sich allein in Anspruch nehmen möchte, nicht mit
aller Gewalt im Interesse des Arbeiterstandes darauf hinarbeitet.
Ich meine, wenn man diese
Verhältnisse sich klar macht, so müsse es Einem wie Schuppen von den
Augen fallen. Und nur den einen Vorwurf könnten wir erheben: Warum hat
man uns das nicht längst gesagt, warum hat man uns das nicht längst klar
gemacht?
Meine Herren! Diesen Vorwurf
sollten wir nicht so unbedingt gelten lassen. Sind nicht gerade die
Männer die Aufklärung über unsere kolonialen Verhältnisse zu verbreiten
suchten, als Kolonialschwärmer verspottet, durch diesen Spott mundtot
gemacht, haben die Spötter nicht selber sich die Ohren verschlossen
gegen alles, was sie uns sagen wollten?
Und wie haben die berufenen
Vertreter des deutschen Volkes, die Mitglieder des Reichstages, die
kolonialen Fragen behandelt? Sie, die doch vor allem die Aufgabe gehabt
hätten, statt unfruchtbare, mißliebige Kritik zu üben, die Ziele unserer
nationalen Wirtschaft klar zu erkennen und im Interesse der
Allgemeinheit zu vertreten? Wie ein Korrektor, der einen Druckbogen
durchliest, nur auf die Fehler des Setzers achtet, auf den oder jenen
falschen Buchstaben, aber um Inhalt und Sinn des Textes sich nicht
kümmert, so haben sie immer nur die Fehler herausgesucht, und wo sie
eine Verfehlung fanden, ein ungeheures Geschrei erhoben.
Seit Jahr und Tag tischt man uns
diese Greuelgeschichten auf, als ob bei uns daheim nicht Widerwärtiges
gerade genug passierte, endlos werden die Verfehlungen der paar Leute,
die sich schlecht benommen haben, breit getreten. Immer sind es
dieselben Namen, die dadurch, daß sie ewig wiederholt werden, zu einer
traurigen Berühmtheit gelangt sind. Sie haben durch ihre Verfehlungen
eine schwere Schuld auf sich geladen und Deutschland einen kolossalen
Schaden gegeben. Aber unter dem Schutz der Immunität der Abgeordneten
werden auch andere tüchtige, pflichttreue Beamte auf verlogene Berichte
hin beschuldigt und verurteilt. Von den Hunderten, die im Dienste des
Vaterlands und der Kultur da draußen in den Kolonien ihre Pflicht getan,
die ihr Leben und ihre Gesundheit geopfert haben, die zum Teil
ausgeharrt haben bis in den Tod, von denen ist nicht die Rede. Kein Wort
der Anerkennung, kein Wort des Dankes! Nein, dadurch, daß der Anschein
erweckt worden ist, als ob so ziemlich jeder, der in die Kolonien geht,
ein Schurke sei, ist die Ehre aller mit in den Kot gezogen worden.
Uns nun ziehen diese Leute noch
gar im Lande herum, bringen immer wieder den alten Klatsch vor, rühmen
sich sogar noch ihrer Verdienste. Schöne Verdienste!
In schwieriger Zeit, wo in dem
Kolonialamt alle Hände mit der Sorge für unsere draußen kämpfenden
Truppen, mit der Wiederaufrichtung unseres schwer heimgesuchten
Schutzgebietes zu tun hatten, in solcher Zeit der höchsten Anspannung
haben sie unsere Kolonialbeamten durch unaufhörliche sogenannte
Enthüllungen in Aufregungen versetzt, durch verkehrte Anklagen und
Beschuldigungen in Verzweiflung gebracht, die Arbeit, dort wo sie so
nötig war, lahm gelegt. Und ihr zweites Verdienst ist, daß sie uns vor
dem Auslande bloßgestellt haben, als ob unsere Herrschaft nur in Willkür
und Grausamkeit bestände. Mit ihren gewissenlosen, unsinnigen Anklagen
haben sie den deutschen Namen und die deutsche Ehre besudelt! Und das
Hauptverdienst dabei war, daß sie dem deutschen Volke selbst einen
solchen Dunst vor die Augen gemacht haben, daß wir die wahren
Verhältnisse und Aufgaben nicht zu erkennen vermochten.
Aber Gott sei Dank! Der Hauch,
der sich am 13. Dezember erhoben hat, der ist zum Sturm geworden, und
über die schneebedeckten Gaue unseres Vaterlandes hat er den Nebel und
den Gestank weggefegt und er hat die Herzen frei gemacht, daß wir wieder
mit freudigem Mut in die Zukunft blicken. Mag diese Wahl jetzt
ausfallen wie sie will; mögen sie noch weiter reden, was sie wollen. Das
wissen wir schon heute: Das Zentrum und seine Leute haben mit ihrer
Kolonialstänkerei abgewirtschaftet.
Und diesen Sieg verdanken wir in
erster Linie dem jungen Mann, der seit langer Zeit zum ersten Mal
wieder von dem Regierungstisch im Reichstag ein freies Wort gewagt hat,
der die Fesseln gesprengt hat, in die uns die Herrschsucht des Zentrums
geschlagen hatte, der das deutsche Volk aufgeklärt hat über den wahren
Wert seines kolonialen Besitzes und über seine nationalen Aufgaben, den
Sieg verdanken wir Bernhard Dernburg.
Wie David den Riesen Goliath, so
hat der kleine Bernhard den Stumpfsinn hingestreckt und die
Unwissenheit und Anmaßung. Wie heißt es doch in dem Studentenlied:
„Er hatte Knochen wie ein Gaul,
Und ein entsetzlich großes Maul,
Doch nur ein kleines Hirn!“
Von diesem Riesen lassen wir uns
nicht mehr einschüchtern! Lieber wollen wir auf die Mahnung hören, die
Dernburg von München aus dem deutschen Volke zuruft:
„Die Gleichgültigkeit der
deutschen Nation gegenüber den Kolonien hat es zuwege gebracht, daß
einige eifrige Männer mit Motiven besonderer Art und einseitigen und zum
Teil kleinlichen Gesichtspunkten um unser koloniales Wesen große
Scheiterhaufen angezündet haben, in denen sie versuchen, unsere
Bestrebungen, unsere Beamten, unsere Einrichtungen und unser Wollen in
Bausch und Bogen zu verbrennen. Neben diese Scheiterhaufen haben sie die
eigenen kleinen selbstsüchtigen Suppentöpfchen gestellt, um
dort ein Gebräu gar zu machen, das sie als die Essenz des deutschen
kolonialen Wesens und Strebens ausgegeben haben und mit dem sie unsere
Nation und, wie ich hoffe, nicht zuletzt sich selbst vor In- und Ausland
heruntergesetzt haben. Meine Herren, diesen Scheiterhaufen werfen wir
zusammen.“
ZUM TODESTAG DES HISTORIKERS