Sonntag, 1. März 2015

Hermann Samuel Reimarus: Über die Auferstehungsgeschichte

Die vornehmste und erste Frage, worauf das ganze neue Systema der Apostel ankömmt, ist demnach diese: ob Jesus, nachdem er getötet worden, wahrhaftig auferstanden sei? Da beruft sich nun Matthäus anfangs auf das fremde Zeugnis der Wächter Pilati, welche er auf Begehren des jüdischen Rats bei dem Grabe gestellet, und welche mit ihrem großen Schrecken Jesum aus dem Grabe hervorbrechen gesehen, auch diese Geschichte den Hohenpriestern und Ältesten verkündiget hätten. Die Erzählung lautet umständlicher also: "Des anderen Tages nach der Kreuzigung Jesu, das ist, am ersten Oster-Tage, als den funfzehnten des Monats Nisan, kamen die Obersten der Priester und die Pharisäer, welche den hohen Rat ausmachten, sämtlich zu dem Römischen Landpfleger Pilato, und sprachen: Herr, wir sind eingedenk worden, daß dieser Verführer Jesus, den du gestern hast kreuzigen lassen, gesagt hat, wie er noch lebte: er wolle drei Tage hernach, wenn er getötet wäre, wiederum lebendig auferstehen. Demnach bitten wir inständig, befiel doch, daß man das Grab, wohin er gelegt ist, verwahre bis an den dritten Tag, auf daß nicht irgend seine Jünger inzwischen des Nachts kommen, ihn aus dem Grabe heimlich wegstehlen, und hernach zum Voke sagen: Er ist auferstanden von den Toten. Denn auf solche Art würde der letzte Betrug ärger sein, als der erste. Pilatus sprach darauf zu ihnen: Siehe, da habt ihr die verlangten Hüter, gehet damit hin, und verwahret das Grab, wie ihrs am besten zu bewerkstelligen wisset. Sie, die obersten Priester und Pharisäer, gingen demnach alsobald hin, und verwahrten das Grab mit denen zugeordneten Hütern, und versiegelten noch zu mehrerer Gewißheit den Stein, der vor die Türe des Grabes gewälzet war. Am Sonntage aber frühe, den 16ten Nisan, kamen Maria Magdalena und die andere Maria zum Tore heraus, das Grab zu besehen; und siehe, da geschah ein groß Erdbeben; der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, und wälzte den Stein von der Türe des Grabes und setzte sich darauf: seine Gestalt des Angesichts war wie der Blitz, und sein Kleid weiß wie der Schnee. Darüber erschraken die Hüter vor Furcht dergestalt, daß sie bebten und als tot waren. Den Weibern aber sagte der Engel, ihr habt euch nicht zu fürchten: ich weiß, ihr suchet Jesum den gekreuzigten: der ist aber nicht mehr hier, sondern er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Wie nun die Weiber die ledige Stätte im Grabe und im Zurückeilen Jesum selbst auf dem Wege gesehen und gesprochen hatten, und dieses den übrigen Jüngern in der Stadt verkündigen wollten, so kamen auch etliche von den Hütern nach der Stadt, und berichteten den Obersten der Priester alles, was geschehen war. Die kamen also mit den Ältesten, und den übrigen Mitgliedern des hohen Rats, darüber zusammen, erzählten ihnen der Wächter Aussage von dem Geschehenen. Darauf ward nach Überlegung der Sache diese Entschließung gefasset: Sie gaben den Kriegs-Knechten Pilati, die das Grab gehütet hatten, Geld genug, daß sie sagen sollten, Jesus Jünger wären des Nachts gekommen und hätten den Leichnam gestohlen, als sie geschlafen. Wenn dieses ja, sagten die Priester, bei dem Landpfleger Pilato auskommen sollte, daß ihr geschlafen, so wollten wir Juden ihn schon befriedigen, daß euch deswegen keine Strafe widerfahren soll. Also nahmen die Hüter das Geld, und taten, wie sie gelehret waren. Daher ist die Rede, daß Jesus Jünger seinen Leichnam des Nachts gestohlen, bei den Juden angekommen, und währet bis auf den heutigen Tag."

So weit gehet die Erzählung Matthaei, die gewiß eine Sache von der größten Wichtigkeit enthält. Denn, wenn das in der Tat geschehen wäre, so würde es eine innere Überführung von der Wahrheit der Auferstehung Jesu, sowohl bei den Juden als Heiden damaliger Zeit, haben wirken können: und die Apostel hätten, zum Beweise ihres Zeugnisses fast nichts anders gebraucht, als sich auf diese Stadtkündige Begebenheit allenthalben zu berufen, oder sich wohl gar von Pilato Brief und Siegel über die durch Hüter bis in den dritten Tag geschehene Bewahrung des Grabes auszubitten, hienächst aber bei demselben auf eine schärfere und peinliche Befragung der Hüter über das, was ihnen begegnet sei, äußerst zu dringen: damit sie sich sowohl selbst von dem aufgebürdeten Betruge retten, als auch die Wahrheit bei allen und jeden überzeuglich darlegen, und das Hindernis, so die Verleumdung ihnen in den Weg geworfen, wegräumen mögten. Wie ist denn nun mit der Wahrheit dieser Geschichte zusammen zu reimen, daß außer dem Matthäus kein einziger Evangelist in seinen Berichten, kein einziger Apostel in seinen Briefen, derselben irgend die geringste Erwähnung tut; sondern Matthäus mit seiner so wichtigen Erzählung, von aller andern Zeugnisse verlassen, ganz allein bleibet? Wie kann es mit der Wahrheit dieser Geschichte bestehen, daß sie kein einziger Apostel oder Jünger, vor Jüdischen oder Römischen Gerichten, oder vor dem Volke in Synagogen und Häusern, zur Überführung der Menschen, und zu ihrer eigenen Verantwortung jemals gebrauchet? Nach Matthäi Erzählung hatten ja die obersten Priester den Bericht der Hüter, und folglich die wunderbare Eröffnung des nunmehro ledigen Grabes Jesu, allen Ältesten des ganzen hohen Rats mitgeteilt, und mit ihnen sich besprochen, wie das geschehene zu unterdrücken und zu vermänteln sein mögte. Demnach wußten und glaubten alle siebenzig Mitglieder des hohen Rats, daß es sich in der Tat so verhielte, wie die Apostel predigten: und es war kein anderweitiger Beweisgrund zu erdenken, der in den Beisitzern des Synedrii mehr innere Überführung und Beschämung hätte wirken können, als dieser, wenn sich die Apostel auf des Synedrii eigene sorgfältige Bewachung des Grabes, und das was ihnen die Wächter selbst von dem Geschehenen ausgesagt, und was also einem jeden sein Gewissen zeugen würde, bezogen hätten. Wenn also Petrus, wenn Paulus, wenn andere, über das Bekenntnis von der Auferstehung Jesu zu Rede gestellet wurden, was hatte es weiter Zeugnis bedurft als dieses: "Es ist vor der ganzen Stadt Jerusalem, und vor aller Welt kund und offenbar, daß der ganze hohe Rat, mit Römischer Soldaten-Wache versehen, die Vorsicht gebraucht hat, das Grab zu besichtigen, zu versiegeln und bis auf den dritten Tag bewachen zu lassen. Nun hat die Wache am dritten Tage in aller Frühe das Grab mit Schrecken verlassen. Sie hätte es aber so lange bewachen müssen, bis der dritte Tag vorbei gewesen, und bis die Ober-Priester und der ganze Rat wieder hinausgekommen wäre, um das Grab abermals zu besehen, ob der Körper noch drinnen, und in seine Verwesung gegangen sei, um alsdann die Wache zu entlassen. Der ganze Rat weiß hergegen in seinem Gewissen, was diese Hüter ausgesagt, was ihnen begegnet sei, wie und warum sie vor der Zeit mit Schrecken davon gelaufen. Demnach ist ein jeder innerlich überführt, daß Jesus müsse auferstanden sein, und daß wir nichts, als die Wahrheit, verkündigen." Aber in der ganzen Apostel-Geschichte, bei den öfteren Verteidigungen vor dem Rate, da sie die Auferstehung Jesu bezeugen, tun sie nicht die geringste Erwähnung von dieser so merkwürdigen Begebenheit. Sie sprechen etwa bloß: wir können es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und gehöret haben. Wir sind seine Zeugen über diesem Worte, und der heilige Geist. Konnte denn ihr dürres Bejahen wohl den geringsten Eindruck machen? Wenn man die Herren des Rats nur als vernünftige Menschen ansiehet, so konnten sie solch Vorgeben der Apostel auf ihr Wort nicht glauben: denn es war eine ganz außerordentliche übernatürliche Sache, daß einer vom Tode sollte auferstanden sein, welche sich so schlechthin nicht annehmen ließe, vornehmlich da es die Anhänger Jesu allein sagten, und sonst niemand, der es gesehn hätte, genannt wurde: zu geschweigen, daß viele der Rats-Herren Sadducäer waren, welche die Auferstehung der Toten an sich für unmöglich und in der Schrift nicht gegründet hielten. Betrachtet man aber die Rats-Herren als Richter, so mußten sie auch nach ihrem Amte dem bloßen Vorgeben der Apostel nicht trauen, weil diese in ihrer eigenen Sache zeugeten, und zwar zur Einführung einer neuen Religion, und zur Umstürzung der bisher eingeführten, über welche diese Richter nach Amts-Pflicht wachen sollten. Sie konnten und mußten den Aposteln auf ihr eigenes Zeugnis nicht Recht geben, weil die Pharisäer, so das etwa am ersten für glaublich erkläret hätten, sogleich von ihren Beisitzern, den Sadducäern, für parteiische Richter wären gehalten, und dadurch eine Spaltung im Gerichte selbst wäre erregt worden. Der heilige Geist, auf dessen Zeugnis sich die Apostel weiter beriefen, war bloß in ihrem Munde, und zeugete ja nicht außer den Aposteln: konnte daher auch von den Richtern für nichts, als ein leeres Vorgeben der Apostel selbst, und für ihr eigenes Wort angesehen werden. Warum lassen denn die Apostel solche schlechte und eitele petitiones principii nicht lieber ganz weg, und bedienen sich dagegen dieser so vorteilhaften Begebenheit, welche der Richter eigenes Gewissen ihnen glaublich machte, und welche nur allein dieselben rühren, überzeugen und beschämen konnte? Was lässet sich hieraus anders urteilen, als: entweder die Geschichte muß nicht wahr sein, oder die Apostel würden sie da, wo sie als der einzige kräftige Beweis-Grund überblieb, alle anderen aber nichts verfangen konnten, notwendig gebrauchet haben.

Dieses Urteil wird noch mehr bestärket, wenn man betrachtet, wie oft die Apostel und übrigen Jünger Jesu vor Römischen Gerichten gestanden, und zu stehen entschlossen waren, und sich doch diese Begebenheit weder wirklich zu Nutze gemacht, noch solches zu tun jemals gedacht haben. Man hat ja wohl in spätern Zeiten Briefe des Pilati an den Kaiser Tiberium getichtet, worin diese Erzählung nebst andern enthalten ist; aber in der Tat haben sich die Apostel bei den Römern nimmer auf des Pilati oder seiner Kriegs-Knechte Zeugnis berufen, noch sich jemals darum bekümmert, ein solches mündlich oder schriftlich von Pilato zu erhalten. Wäre wohl was besseres zu der Apostel Zweck, in so fern sie auch Heiden bekehren wollten, zu erdenken gewesen, als daß sie fürs erste nach dem Namen der Wächter geforschet hätten, um dieselben bei allen Römern namhaft zu machen, welche man um die Wahrheit dieser Geschichte befragen könnte. Denn wenn gleich diese Wächter von den Juden Geld bekommen, um die Sache zu verschweigen, oder anders zu erzählen; so würden sie doch bei ihren Landesleuten kein Hehl daraus gemacht haben, die Wahrheit auf ernstliches Befragen zu gestehen; wo sie nicht gar von selbst die wunderbare Geschichte bei ihren Freunden und Kameraden ausgebreitet hätten, wie es bei solchen Gelegenheiten zu gehen pflegt, daß die Menschen diese Begebenheit, je wunderbarer sie ist, desto weniger verschweigen können. Würden also die Apostel nicht ein vorläufiges Gerücht bei den Römern zum Vorteil gehabt haben, das sie allemal durch Nennung dieser Soldaten glaubwürdig machen und auf schärfere Nachfrage bewähren könnten? Warum gedenken sie denn der Sache bei den Heiden, denen sonst die Auferstehung der Toten gar nicht in den Sinn wollte, nimmer? Warum sprechen sie nicht: fragt nur eure Landsleute, den Gajus und Proculus und Lateranus und Lätus, welche dieses Jesu Grab bewachet und dasselbe mit seiner Auferstehung zu ihrem Erstaunen aufspringen gesehen? Ja, die Apostel würden noch ein mehreres getan haben. Sie wären zu Pilato selbst gleich auf frischer Tat hingegangen, und hätten sich von demselben eine förmliche schriftliche Acte über die Bewachung des Grabes, und eine peinliche Untersuchung der Wahrheit ausgebeten. Hätte denn gleich Pilatus von selbst nicht daran gewollt: so hätte er dennoch, oder wenigstens die Soldaten, welche das Grab bewachet, wider ihren Dank und Willen daran müssen, wenn sich die Apostel vor den Römischen Gerichten darauf berufen hätten. Aber sie gedenken der Sache so wenig vor Felix und vor Festus, als vor dem Agrippas und Berenice, noch sonst irgend bei den Römern und Griechen: sie lassen sich lieber mit ihrer Auferstehung auslachen und für rasend erklären. Daher wir nicht anders schließen können, als daß die Sache nicht geschehen sei: denn sonst müßte sie notwendig, als der einzige Beweisgrund, der bei Heiden etwas ausrichten mögte, angeführet sein; da gewiß alle andere Gründe bei ihnen vergeblich und lächerlich waren. Denn aus der Vernunft lässet sich die Auferstehung nicht beweisen, und die Schriften der Propheten galten bei den Heiden nichts: die Sache aber an sich schiene ihnen umgereimt und fabelhaft sein.

Bei denen Juden, in ihren Synagogen, oder Privat-Versammlungen, wäre gleichfalls die triftigste Ursache gewesen, diese Stadt- und Landkündige Bewachung des Grabes Jesu nebst dem, was darauf erfolget war, allenthalben namhaft zu machen. Denn die müßte notwendig zu aller Wissenschaft gekommen sein, wenn der ganze hohe Rat in Procession am ersten Oster-Tage zu Pilato; und so von ihm, mit einer Soldaten-Wache durch die Stadt begleitet zum Tore hinaus gegangen wäre, das Grab zu versiegeln und zu hüten. Es hätten selbst Joseph von Arimathia und Nicodemus, und ein ehrlicher Gamaliel, als Mitglieder des Rats, nicht verschwiegen, was bei ihnen in dem hohen Rate erzählet, und zur Verdrehung der Sache von der boshaften Partei beschlossen wäre; daß demnach die ganze Judenschaft zur Annehmung dieser Erzählung und dieses Beweises schon würde vorbereitet gewesen, wenn es die Apostel hätten wollen auf die Bahn bringen, und in ihren Predigten oder Verantwortungen rege machen. Sie hatten ja dazu bei den Juden noch eine besondere dringende Ursache. Denn es ist würklich an dem, was Matthäus schreibt, daß es eine gemeine Rede bei den Juden geworden: die Jünger Jesu wären heimlich des Nachts gekommen und hätten den Leichnam Jesu gestohlen, und nun gingen sie herum und sagten, er sei auferstanden. Die allgemeine Nachrede mußten die Apostel leiden, weil selbst der hohe Rat zu Jerusalem angesehene Männer bei allen Jüdischen Gemeinen in Judäa und andern Ländern herumschickte, und diesen nächtlichen Diebstahl des Körpers Jesu bekannt machte, um alle und jede vor der Betrügerei zu warnen. Das wissen wir aus der Justini Martyris Unterredung mit dem Juden Trypho, wie es imgleichen Eusebius in seiner Kirchen-Geschichte und über Esaias erwähnet. Wenn es demnach in der Tat eine allgemeine Rede geworden, was die Juden zum Nachteil der Apostel ausgebreitet: woher kömmt es denn doch, daß des Matthäi Geschichte mit den Wächtern nicht auch eine allgemeine Rede bei den Jüngern Jesu geworden ist? Wo die Apostel nur hinkamen, da war der böse Ruf von ihrer Betrügerei vorangegangen, und die Gemüter davon eingenommen: wäre es aber mit der Auferstehung Jesu Betrug, so war ja ihre ganze Predigt eitel. Warum retten sie ihre Ehrlichkeit denn nimmer und nirgend, wider eine solche allgemeine und glaubliche Beschuldigung, mit der Geschichte, welche uns Matthäus erzählet? warum nehmen sie darauf nicht vor allen andern die beste Bewährung ihres vorgebenen Facti? Nein, sie schweigen davon durchgängig, und es ist daher handgreiflich, daß dergleichen nimmer wirklich vorgegangen sei, und daß es Matthäus nur zur Ablehnung der erwähnten Beschuldigung ertichtet, die übrigen aber selbst geurteilet haben müssen, daß sie mit solcher Verteidigung nicht fortkommen würden, und es daher besser sei, diesen schlimmen Punkt unberührt zu lassen, als wider eine sehr wahrscheinliche und beglaubte Nachrede eine schlechte und sich selbst widersprechende Verantwortung vorzubringen.

Ich sage nicht unbillig, die Beschuldigung sei wahrscheinlich und glaublich, die Ablehnung Matthäi hergegen schlecht und voller Widerspruch. Denn, wenn wir die Umstände ansehen, so reimet sich alles mit der Beschuldigung. Er war ganz möglich, daß der Körper Jesu des Nachts heimlich aus dem Grabe gestohlen, und anderwärts verscharret werden konnte. Das Grab war in einem Fels, gehörte dem Joseph von Arimathia, einem heimlichen Jünger Jesu, und der Zugang zum Grabe war in dem Gehege seines Gartens. Eben dieser Joseph hatte sich den Leichnam Jesu ausgebeten, und denselben aus eigener Bewegung in sein Grab gelegt, die Maria Magdalena und andere Weiber waren dabei gewesen, und alle Apostel wußten den Ort. Sie hatten ungehinderte Freiheit zum Grabe zu kommen: keine Besorgnis von einer Soldaten-Wache, keine Furcht, daß sie der Gärtner nicht zum Grabe lassen möge: die Schwierigkeit, welche sich die Weiber bei den Evangelisten machen, ist nicht: wie sie den Gärtner und die Wächter überreden oder nötigen wollten, ihnen die Öffnung des Grabes zu verstatten, sondern nur der Stein vor dem Grabe: wer wälzet uns den Stein von des Grabes Tür? Es mußten also keine Wächter da sein, und der Gärtner mußte Befehl von seinem Herrn haben, den Jüngern Jesu die Tür offen zu halten. Ja dieser konnte auch selbst bei Tage und bei Nachte ins Grab gehen und mit dem Körper machen, was er wollte; oder einem andern solches zu tun erlauben. Die Maria Magdalena sagt es uns ganz deutlich: Sie haben meinen Herrn weggenommen, spricht sie, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und da sie den Gärtner vor sich zu haben meint, spricht sie zu ihm: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Sie setzet also zum voraus, daß der Körper in der verwichenen Nacht könnte von dem Gärtner oder einigen andern weggeschleppet sein. Demnach ist es nach dem eigenen Berichte des Evangelisten ganz wohl möglich gewesen, daß die Jünger Jesu dessen Leichnam in der Nacht heimlich aus dem Grabe anderswo hinbrächten. Und es konnte den Juden nicht anders, als höchst wahrscheinlich vorkommen, daß eben diese Jünger solches wirklich getan. Denn, würden sie sagen, wollte Gott Jesum zum Wunder aller Welt erwecken, warum sollte er es nicht bei Tage, vor aller Welt Augen, tun? warum sollte er die Sache so veranstalten, daß, wenn einer auch noch so frühe zum Grabe käme, derselbe schon das Grab offen und ledig fände, und nicht den geringsten Unterschied merkte, als wenn der Körper heimlich aus dem Grabe weggestohlen sei? Die Zeit war auch noch lange nicht vorbei, welche Jesu im Grabe zubringen sollte. Es war gesagt, drei Tage und drei Nächte sollte er in der Erden liegen: nun war nur erst ein Tag und zwo Nächte verstrichen: warum würde denn mit der Erweckung so geeilet, und dieselbe wider die Verheißung zu einer Zeit verrichtet, da sie niemand vermuten war, noch Zeuge davon sein konnte? Wenn die Jünger Jesu hätten Glauben finden wollen, und als aufrichtige ehrliche Leute mit Wahrheit umgegangen wären: so müßten sie uns die Erweckung Jesu, und deren genaue Zeit öffentlich vorher gesagt haben: so wären wir hinausgegangen, und hätten sie mit angesehen. Ja die Apostel hätten Ursache gehabt, an einem bestimmten Tage und Stunde, nicht nur Pilatum und seine Wache, sondern alle Hohe-Priester und Schriftgelehrten als Zuschauer zum Grabe einzuladen: so hätten sie sich nachher den Verdacht eines Betruges und die Verfolgung ersparet, und hätten ohne Predigen und Mühe eine allgemeine Überführung geschaffet. Nun aber schweigen sie vorher von seiner Auferstehung ganz stille, und tun, als wenn sie selbst nicht einmal davon gewußt oder daran gedacht hätten. Was aber noch mehr ist: in aller der Zeit von vierzig Tagen, da Jesus soll auferstanden sein, und unter ihnen gewandelt haben, sagen sie keinem unter uns ein Wort, daß er wieder lebe, damit wir auch zu ihnen kommen und Jesum sehen und sprechen könnten; sondern nach vierzig Tagen, da er schon soll gen Himmel gefahren sein, gehen sie erst aus und sprechen, er sei da und dort gewesen. Frägt man sie, wo war er denn? wer hat ihn denn gesehen? so ist er bei ihnen im verschlossenen Zimmer gewesen, ohne daß eine Tür aufgegangen, ohne daß ihn jemand hat können kommen oder weggehen sehen: so war es auf dem Felde, in Galilea am Meere, auf dem Berge. Mein! warum nicht im Tempel? vor dem Volke? vor den Hohen-Priestern? oder doch nur vor irgend eines jüdischen Menschen Augen? Die Wahrheit darf sich ja nicht verstecken oder verkriechen: und zwar eine solche Wahrheit, welche unter uns bekannt und geglaubet werden sollte. Es heißet ja, er sei nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen vom Hause Israel: wie könnte er denn so neidisch gegen uns sein, sich keinem unter uns zu zeigen? Oder sollten wir ihn nur in seiner armseligen Gestalt, und zuletzt am Kreuze hängen und sterben sehen, um uns an ihm zu ärgern? auferweckt aber, lebendig, und in seiner Herrlichkeit nimmer zu sehen bekommen, damit wir ja von unserm Messias keine eigene zuverlässige Überführung erlangten; und uns nichts übrigbliebe, als seinen wenigen Anhängern darin zu trauen, die doch den toten Körper nächtlicher Weile haben stehlen können, und sich so dabei aufgeführet haben, daß eine solche Vermutung billig auf sie fallen muß, und daß alle vernünftige Menschen, selbst der ganze Rat und alle Hohe-Priester und Schriftgelehrten so von ihnen urteilen, und uns vor ihrem Betruge warnen?

Je unglaublicher nun die Auferstehung Jesu denen Juden sein: und je mehr ihnen die nächtliche Entwendung des Körpers möglich, wahrscheinlich und glaublich scheinen mußte, wenn keine Bewachung des Grabes geschehen war: desto größere Ursache hätten die Evangelisten und Apostel gehabt, den Verdacht eines Betruges, welcher ihnen von der höchsten Obrigkeit selbst bei allen Juden angehänget war, durch fleißige Vorhaltung dieser bekannten Bewachung des Grabes von sich zu entfernen. Dieses war das einzige, womit sie ihre Wahrheit und Ehrlichkeit noch einiger maßen hätten retten mögen: alles andere waren petitiones principii. Da aber, außer dem einzigen Matthäus, keiner dieser Geschichte, an keinem Orte, bei so öfterer Gelegenheit, weder in Schriften noch Reden, weder vor Gericht, noch bei Privat-Personen, weder zum Beweise, noch zur Verteidigung, mit einem Worte gedenket: so kann sie unmöglich wahr, und würklich geschehen sein. Es ist ein offenbarer Widerspruch: nur einen festen Beweisgrund haben, der sich von selbst anbietet, denselben wissen, und so oft zu brauchen genötiget sein und dennoch nimmer gebrauchen, sondern sich mit nichtigen behelfen. Daher denn schon klar genug ist, daß Matthäus diese Geschichte allein aus seinem Gehirne ersonnen hat, weil er auf die Beschuldigung etwas hat antworten wollen, und nichts besseres erfinden können. Allein wie übel die Erfindung geraten sei, zeiget der öftere Widerspruch, darin sich Matthäus in der Geschichte selbst mit sich und andern Evangelisten verwickelt.

Es ist erstlich widersprechend, daß die Hohenpriester von der Auferstehung Jesu vorher etwas wissen sollten, davon die Apostel selbst, denen doch die Geheimnisse des Reichs Gottes offenbaret hießen, nichts wußten. Von diesen heißet es ausdrücklich: sie wußten die Schrift noch nicht, daß er von den Toten auferstehen müßte. Und daß dieses wahr sei, zeiget ihr ganzes Betragen. Sie klagen, daß ihre Hoffnung von der Erlösung Israels mit seinem Tode ganz aus sei. Sie kommen mit Specereien zum Grabe, in Meinung, daß er, gleich andern Verstorbenen, auch tot bleiben und in die Verwesung treten werde. Ja, als sie den Körper nicht im Grabe finden, fällt ihnen noch nichts von seiner Auferstehung ein, sondern sie schließen bloß daraus, er müsse weggenommen, und anderswo hingetragen sein. Ein Teil will sogar seine Auferstehung durchaus nicht glauben, nachdem sie ihnen schon berichtet worden. Mit einem Worte, bis an Jesus Tod, und kurz nachher, haben seine Jünger von keiner Auferstehung etwas gewußt, gehöret, oder daran gedacht. Wie ist es denn möglich, daß den Hohenpriestern und Schriftgelehrten etwas davon bekannt gewesen sein sollte? Und daß sie daher auf die Vorsicht gefallen wären, das Grab mit einer Wache zu besetzen. 2) Ist es sehr unglaublich, daß Hohepriester und der ganze Rat am ersten Oster-Tage öffentlich zu Pilato gehen, und hernach mit der Römischen Wache in Procession zum Tore hinausgehen und das Grab versiegeln sollten. Denn, anderer Umstände nicht zu erwähnen, so lief es wider der Juden Gesetze und Gebräuche, sich am Feste, da sie insonderheit still und rein sein mußten, mit solchem Gewerbe abzugeben, sich unter die Heiden zu mengen, oder ein Grab anzurühren. Waren doch die Jünger Jesu, wie es heißet, den Fest-Tag über stille nach dem Gesetze: wie sollten denn die Hohen-Priester sich öffentlich vor dem Volke so vergehen, und insonderheit ein Grab berühren, da sie sonst die Gräber gegen die Fest-Tage mit weißem Kalk zu übertünchen pflegten, damit sie auch von ferne schon mögten gesehen werden, und ein jeder sich davor hüten könnte, daß er nicht unrein würde. 3) Wenn wir auch die Betrachtung dessen, was den Juden nach dem Gesetze erlaubt war, aussetzen: so konnte doch ein gesamtes obrigkeitliches Collegium von so vielen Personen nimmer so gröblich wider den Wohlstand handeln, daß es am hohen Fest-Tage, in Corpore, öffentlich zu den Heiden ginge, und mit einer Soldaten-Wache in Procession durch die Stadt zöge: da alles dieses bei dem Pilato durch ein Paar Abgeordnete in der Stille hätte können ausgerichtet werden. 4) Aber warum sollten sie überhaupt desfalls zu Pilato gehen, und den Heiden noch mehr Macht über sich einräumen? Joseph, dem das Grab gehörte, und der es in dem Umfange seines Gartens hatte, konnte sich ja als ein Jude und Mitglied des hohen Rats nicht entlegen, daß Wächter vor das Grab gestellet würden; ja er mußte es vielmehr gerne sehen, und sich ausbitten, damit er offenbar aus dem Verdachte eines Betruges gezogen würde, worin er sonst notwendig mit verwickelt werden mußte. 5) Und was kommt denn endlich heraus? Der ganze hohe Rat, ein Collegium von siebenzig obrigkeitlichen Männern wird in dieser Geschichte zu lauter Schelmen gemacht, welche mit Überlegung einmütig willigen, ein Falsum zu begehen, und zu solchem Falso auch die Römische Wache zu bereden. Das ist an sich eine unmögliche Sache. Und wo bleibt Joseph, wo bleibt Nikodemus hiebei? sind denn die nun auch zu Schelmen worden? Sind nun Pharisäer und Sadducäer in diesem Collegio eins, die Auferstehung, auch durch eine ersonnene Lüge zu verleugnen, da sonst die Apostel das Collegium über diesen Satz so meisterlich zu teilen wissen, daß sich die Pharisäer dessen wider die Sadducäer annehmen? Kann auch eine so dumme Lüge von so viel verständigen Leuten erdacht werden: daß alle Römische Soldaten auf ihrem Posten schlafen sollten, und eine Anzahl Juden bei ihnen vorbeigehen, den großen Stein vor dem Grabe wegwälzen, und den Körper heraustragen? Dieses alles solle incognito, ohne Gepolter, und heimlich verrichtet werden, und kein Soldat davon aufwachen, kein Fuß-Stapfen derer, die den Körper weggetragen, nachbleiben? 6) Wenn denn endlich Matthäus auf solche Art den Betrug von sich auf die Obrigkeit schiebt, und sie eines offenbaren und stadtkündigen Falsi bezüchtiget: woher kömmt es denn, daß der Apostel Betrug eine gemeine Rede unter den Juden geworden bis auf den heutigen Tag, von des jüdischen Synedrii Betruge aber alle Evangelisten und Apostel jederzeit und allenthalben schweigen? Mich dünkt, dies heiße ja wohl, widersprechende Dinge, und etwas, das sich bald verrät, vorgeben, welches der Unwahrheit eigen ist.

Lasset uns aber auch noch zuletzt sehen, wie Matthäus vor seinen eigenen Glaubens-Genossen mit seiner Erzählung bestehet. Die übrigen Evangelisten wissen nicht allein von keiner Wache, sondern berichten auch solche Umstände, welche die Wache aufheben. Da gehen die Weiber sämtlich am dritten Tage hinaus in der Absicht, daß sie ins Grab hineingehen und den toten Körper nach jüdischer Art mit vielen Myrrhen, Aloe und dergleichen einwickeln wollen. Nun würden sie ja wohl als furchtsame Weiber nicht wider den Willen der Römischen Soldaten hineinzudringen suchen: oder wenigstens sich im Hingehen den Zweifel machen: wie kommen wir ins Grab? wie werden uns die Wächter durchlassen? Der Stein ist versiegelt: wenn auch die Wächter wollten, so dürfen sie uns nicht hineinlassen: es ist eine unmögliche und vergebliche Sache. Allein darum sind sie gar nicht bekümmert, sondern nur, wer ihnen den Stein von des Grabes Türe wälzen wolle: welches zum Grunde setzet, daß ihnen sonst nichts hinderlich sei, daß sie sonst frei hinzukommen können, daß keine Wache davor liege. Wollte man sagen, die guten Weiber hätten vielleicht nicht gewußt, was am vorigen Tage geschehen wäre: so mußten es doch gewiß nunmehro die Evangelisten Marcus, Lucas und Johannes so gut wissen, als Matthäus. Hätten nun diese Geschicht-Schreiber ein Grab in Gedanken gehabt, das mit einer Wache besetzt war, so würden sie wenigstens, wenn sie die Weiber in dasselbe hineinbringen wollten, die Anmerkung dabei gemacht haben: sie wußten aber nicht, daß das Grab mit Hütern verwahret und der Stein versiegelt wäre. Allein auch den Weibern selbst hätte die Sache nicht können verborgen sein. Wir können der Weiber, nach der Evangelisten Berichte, wenigstens sechs rechnen. Von sie vielen Weibsleuten aber wäre es ein Wunder, daß sie das neue, was öffentlich geschehen war, noch nicht sollten erfahren haben. Die Hohen-Priester und Pharisäer waren ja, nach Matthäi Berichte, am ersten Oster-Tage sämtlich zu Pilato gegangen, hatten die Wache von ihm gebeten, und er hatte sie ihnen mitgegeben. Sollte das nicht Aufsehens in der Stadt machen, wenn der hohe Rat von siebenzig Personen in Procession zum Landpfleger gehet, wenn derselbe wieder herauskommt, eine Römische Wache hinter sich habend: ja wenn er endlich zum Tore hinauswandert, das Grab besichtiget, ob der Körper noch darin sei, und alsdenn das Grab versiegelt, und die Hüter davor stellet? Gewiß, dergleichen öffentliches Schauspiel am ersten Feiertage würde alle Leute, alle Jungens rege gemacht haben, hinter an zu laufen und zu sehen, was das bedeutete: und dergleichen Begebenheit könnte auch dem geringsten Kinde, geschweige so vielen Weibern, nicht verborgen geblieben sein. Noch mehr! Joseph von Arimathia, ein heimlicher Jünger Jesu, aber zugleich ein Rats-Herr, mußte ja wohl entweder mit dabei sein, oder wenigstens davon wissen, daß man ihm Wache in seinen Garten und vor sein Grab legte: und eben das ist von Nicodemo, weil er gleichfalls ein Mitglied des Rats und ein Pharisäer war, zu sagen. Je weniger er für einen Jünger Jesu bekannt sein wollte, je weniger würde man ihn von solchem Anschlage ausgeschlossen haben, oder denselben heimlich vor ihm treiben können. Mit diesen beiden Rats-Herren waren ja eben diese Weiber beschäftiget gewesen, Jesu Leichnam ins Grab zu legen: und ohne Josephs Wissen und Erlaubnis, oder Befehl an den Gärtner, konnten sie sich nicht erdreisten, in dessen Grab zu gehen, und mit dem Körper, der jenem anvertraut war, zu machen was sie wollten. Mit Nicodemus aber hatten sie noch den Abend vorher die Specereien eingekauft, womit sie den andern Morgen den Leichnam einwickeln wollten. Wenn also die Weiber auch sonst nichts von der Wache gewußt hätten, so müßten sie es von diesen beiden Rats-Herren erfahren haben. Die würden ihnen auch gesagt haben, daß sie nur nicht hinausgehen mögten, es sei umsonst, sie würden zu dem Körper nicht zugelassen werden. Weil nun kein Mensch wissentlich etwas unmögliches unternimmt: so muß dieses, was diese Weiber unternommen, möglich, und folglich keine Wache vor dem Grabe gewesen sein. Es ist offenbar, daß Matthäus diesen Widerspruch selber eingesehen hat: darum setzet er auch nicht, wie die andern Evangelisten, daß die Weiber hinausgegangen mit Specerei, und um Jesu Leichnam zu balsamieren, oder den Stein abzuwälzen, und ins Grab hineinzugehen: nein, sondern nur, daß sie hingegangen das Grab zu besehen; welches sie etwa von ferne tun, und die Hüter ihnen nicht verwehren konnten.

In allen übrigen Umständen ist zwischen Matthäo und den andern Evangelisten ein gleicher Widerspruch. Denn nach Matthäi Bericht, als die Weiber hinkamen, das Grab zu besehen, siehe da entstand ein groß Erdbeben: Der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, wälzte den Stein von der Tür, und satzte sich darauf. Die Hüter aber erschraken für Furcht, und wurden als wären sie tot. Aber zu den Weibern sagte der Engel: Fürchtet euch nicht etc. Diese Erzählung hängt so zusammen, daß die Eröffnung des Grabes durch den Engel in Gegenwart und im Gesichte der Weiber geschehen, und daß die Soldaten-Wache noch da gewesen, als sie gekommen; welche denn auch erst nach ihnen, als sie sich von ihrem Schrecken erholet, zum Tor der Stadt wieder hinein gehet. In der Tat könnte es auch nicht anders gewesen sein. Denn die Weiber gingen hinaus, da es noch finster war, und das Grab war nahe vor dem Tor. Da nun Jesus doch den dritten Tag und den Aufgang der Sonnen im Grabe hätte erwarten müssen, wenn es nur eingermaßen heißen sollte, daß er drei Tage im Grabe gewesen: so konnte die Auferstehung noch nicht vorbei, und die Hüter noch nicht weg sein; zumal da sie vor Furcht halb tot blieben und sich von dem Schrecken noch so bald nicht wieder besinnen, noch entschließen konnten, was dabei anzufangen sei. Allein, wie lautet nun dagegen die Erzählung bei den andern Evangelisten? Wie die Weiber unter einander sprechen, wer wälzet uns den Stein von des Grabes Türe, und noch unterwegs von ferne dahin sehen, so werden sie gewahr, daß der Stein abgewälzet sei; sie funden den Stein abgewälzet von dem Grabe, und gingen hinein. Maria Magdalena siehet, daß der Stein von dem Grabe hinweg war. Da ist kein Erdbeben, kein Engel, der vom Himmel fährt, keine Abwälzung des Steins im Gesichte der Weiber, keine halb tote Wache, sondern wie sie in einer gewissen Weite dahin sehen, so ist der Stein schon abgewälzet, die Wächter verschwinden, und haben in dieser Evangelisten Gedanken unmöglich Platz. Weiter sagt Maria Magdalena beim Johanne: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Sie sagt zu Jesu, den sie für den Gärtner hielt: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Demnach setzt sie ohne Bedenken zum Grunde, daß viele Menschen, und insonderheit der Gärtner des Josephs von Arimathia, in dessen Garten das Grab war, ungehindert hätten ins Grab kommen und den Körper wegtragen können. Dieses bestehet durchaus nicht mit einer Wache, die das Grab und den Körper hüten sollte, und die, nach Matthäi Bericht, noch voller Schrecken und halb tot da lag. Es bestehet auch nicht mit einem Engel, welcher vor dem Grabe soll gesessen, und zu den ankommenden Weibern gesagt haben: fürchtet euch nicht, ihr suchet Jesum von Nazareth, er ist nicht hier, sondern er ist auferstanden.

Wir erkennen nunmehr aus dem vielfältigen Widerspruche, daß die Wächter, welche Matthäus vor das Grab gestellet, keinen Stand halten wollen, und sich einem gesunden Verstande nicht einmal gedenken lassen. Daher diese Hirngespenster, welche den Verdacht des Betruges von den Jüngern Jesu abkehren sollten, denselben vielmehr bestärken. Die Wächter verschwinden bei jedem Umstande, und es bleibt allewege möglich, und bei aller Betrachtung der Sache höchst wahrscheinlich, daß die Jünger des Nachts zum Grabe gekommen, den Körper gestohlen, und darnach gesagt, Jesus sei auferstanden. Lasset uns nun sehen, ob der übrigen Evangelisten Aussage von der Auferstehung Jesu an sich mehr einstimmig sei. Wenn die Evangelisten nebst allen Aposteln noch im Leben wären, so könnten sie es uns nicht verdenken, daß wir diese Untersuchung anstellen, und nach Befinden an ihrer Aussage zweifeln. Die Sache ist ganz außerordentlich und übernatürlich: sie können niemand außer ihrem Mittel aufweisen, der Jesum auferstanden gesehen hätte: sie allein sind Zeugen davon, und wenn wir es genau erwägen, so haben wir von denen, die Jesum selbst wollen gesehen haben, heutiges Tages nur zween aufzuweisen: die übrigen zween sind nicht bei ihm gewesen, sondern haben es nur aus Hör-Sagen. Und die andern werden bloß in dieser Zeugen Schriften als Zeugen aufgeführt. Dennoch sollen wir auf dieser wenigen Jünger Jesu Zeugnis ein ganzes Lehrgebäude gründen. Ja, was das meiste ist, so haben nach ihrem Berichte die Jünger Jesu anfangs selber nichts davon glauben wollen, sondern einige haben noch bis auf die letzte Zeit seiner Gegenwart auf Erden, an der Wirklichkeit seiner Auferstehung gezweifelt. Wie Maria Magdalena mit den übrigen Weibern, den Aposteln bekräftigen, sie hätten ein Gesicht der Engel gesehen, ja sie hätten Jesum selber gesehen, gesprochen und angefasset, glauben sie es nicht. Es dünkten ihnen ihre Worte, als wären es Märlein. Petrus lief hin zum Grabe, und sahe da nichts als die leinen Tücher, aber es nahm ihn doch Wunder, wie das zuginge. Da die beiden wandernden Jünger den übrigen Aposteln sagten, wie Jesus mit ihnen auf dem Wege gewandelt und gesprochen hätte, und hernach verschwunden wäre, glaubten sie ihnen auch nicht. Als Jesus schon allen Jüngern erschienen war, wollte es doch Thomas auf ihr Wort nicht glauben, bis er seine Hände in Jesu Nägelmal und Seite gelegt hätte. Ja, wie ihnen Jesus erschien in Galiläa, welches, nach Johannis Aussage, schon das drittemal war, daß Jesus sich den sämtlichen Aposteln offenbaret, so waren noch etliche unter ihnen, die da zweifelten. Sind nun die sämtlichen Apostel, die doch Jesus vorgängige Wunder und Verkündigung gesehen und gehöret hatten, und ihn nun zum öftern klar und deutlich vor Augen sahen, mit ihm redeten und aßen, ihn befühlten und betasteten, dennoch in einer so wichtigen Begebenheit voller Unglauben und Zweifel gewesen: wie viel weniger ist es uns heutiges Tages zu verdenken, daß wir eine Weile ungläubig sind und zweifeln: da wir von allen diesem mit unsern Sinnen gar keine Erfahrung bekommen, sondern alles nach 1700 Jahren aus den Urkunden einiger wenigen Zeugen holen müssen. Und da ist das einzige, was uns jetzt vernünftiger Weise zu tun übrig bleibt, daß wir, in Ermangelung eigener Erfahrung, erwägen, ob die uns überbliebene Zeugnisse übereinstimmen. Oder wollen etwa die Evangelisten und Apostel mit ihrer Behutsamkeit so viel sagen (wie es fast scheinet): Wir haben die Auferstehung Jesu so genau untersuchet, als immer ein Ungläubiger und Zweifler tun kann: so könnet ihr uns nunmehr ohne neue Untersuchung und Bedenken sicher trauen? Gewiß, dieses wäre eine unbillige Forderung. Sie selbst wollten ihres Meisters Verkündigung, Wunder, ja sichtliche und offenbare Erscheinung so lange in Zweifel ziehen: und wir sollten nicht befugt sein, die Wahrheit ihrer schriftlichen Nachrichten, worauf wir alles müssen ankommen lassen, so ferne zu prüfen, daß wir sehen, ob ihr Zeugnis übereinstimme? Nein, wir haben schon gar zu viele vorhergehende Beweise in Händen, damit sich ihr neues nach Jesu Tode erfundenes Systema verraten, als daß wir ihnen in der Haupt-Sache, worauf ihr ganzes Systema gebauet ist, nicht genau aufmerken sollten.

Das erste, was wir bei der Zusammenhaltung der vier Evangelisten bemerken, ist, daß ihre Erzählung fast in allen und jeden Punkten der Begebenheit, so sehr von ein ander abgehet, und immer bei dem einen anders lautet, wie bei dem andern. Ob nun gleich dieses unmittelbar keinen Widerspruch anzeiget, so ist es doch auch gewiß keine einstimmige Erzählung zumal da sich die Verschiedenheit in den wichtigsten Stücken der Begebenheit äußert. Und bin ich gewiß versichert, wenn heutiges Tages vor Gerichte über eine Sache vier Zeugen besonders abgehöret würden, und ihre Aussage wäre in allen Umständen so weit von einander unterschieden, als unsrer vier Evangelisten ihre: es würde wenigstens der Schluß herauskommen, daß auf dergleichen variierenden Zeugen Aussage nichts zu bauen sei. Hier kommt es auf die Wahrheit der Auferstehung Jesu an, und so fern diese aus der bloßen Aussage von Zeugen sollte beurteilet werden, so ward in ihrem Zeugnisse eine Übereinstimmung erfordert, wer ihn gesehen, wo und wie oft man ihn gesehen, was er inzwischen geredet und getan, und was endlich aus ihm geworden sei. Wie lautet nun die Aussage davon bei den vier Evangelisten? 1) Beim Johanne gehet Maria Magdalena allein zum Grabe, beim Matthäo Maria Magdalena und die andere Maria: beim Marco Maria Magdalena, Maria Jacobi und Salome: beim Luca, Maria Magdalena, Johanna und Maria Jacobi, und andere mit ihnen. 2) Mattäus sagt bloß, die Maria sei dahin gegangen, das Grab zu besehen: Marcus, daß sie kämen und salbeten ihn: Lucas, daß sie die Specerei getragen, welche sie bereitet hatten: Johannes sagt gar nichts, warum Maria dahingegangen. 3) Nach Matthäi, Marci und Lucae Erzählung wäre diese Maria nur einmal zum Grabe gekommen, und hätte sogleich einen Engel da gesehen: aber in Johannis Geschichte kommt sie zweimal dahin: das erste mal, ohne einen Engel gesehen zu haben, da sie wieder weglauft und Petro sagt: sie haben den Herrn weggenommen: und das andere mal, wie sie wiederkömmt und dann den Engel siehet. 4) Petrus und Johannes sollen auch früh zum Grabe gelaufen sein, wie Johannes meldet: aber die übrigen Evangelisten melden nichts davon. 5) Die Rede des Engels beim Matthäo und Marco hält in sich: sie sollten sich nicht fürchten, Jesus sei auferstanden, sie sollten das seinen Jüngern sagen, und daß er vor ihnen hingehen würde in Galiläam. Im Luca aber stehet nichts davon, sondern statt dessen: Gedenket daran, wie er euch saget, da er noch in Galiläa war, und sprach, des Menschen Sohn muß überantwortet werden in die Hände der Sünder, und gekreuzigt werden, und am dritten Tage auferstehen. Beim Johanne sprechen die Engel gar nichts, als dieses zur Maria: Weib, was weinest du? 6) Die Reden Jesu zur Maria Magdalena auf dem Weg lauten beim Matthäo so: Seid gegrüßet: fürchtet euch nicht, gehet hin, und verkündiget es meinen Brüdern, daß sie gehen in Galiläam, daselbst werden sie mich sehen. Johannes hingegen erzählt, er habe zur Maria Magdalena gesagt: Weib, warum weinest du? Maria! rühre mich nicht an, denn ich bin noch nicht aufgefahren zu meinem Vater: gehe aber hin zu meinen Brüdern, und sage ihnen, ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater, zu meinem Gott und zu eurem Gott. 7) Matthäus und Johannes erwähnen nichts von der Erscheinung Jesu den zween Jüngern auf dem Wege nach Emaus, deren Marcus und Lucas gedenken. 8) Matthäus saget nichts davon, daß Jesus seinen Jüngern in Jerusalem erschienen sei, sondern daß solches einmal geschehen in Galiläa, und daß noch etliche Jünger daran gezweifelt, ob er es wäre. Marcus und Lucas hingegen wissen nichts von der Galiläischen Erscheinung, sondern bloß von der einen zu Jerusalem. Johannes aber gedenket zweier Erscheinungen in Jerusalem, acht Tage nach einander; die Galiläische aber erzählt er als dritte, mit ganz andern Umständen. 9) Die Reden, welche Jesus an die Jünger soll gehalten haben, sind sehr unterschieden bei den Evangelisten, welches umständlich zu zeigen, viel zu weitläuftig wäre. Jedoch ist insonderheit zu merken, daß Jesus beim Luca nicht saget, daß sie die bekehrten taufen sollten, wie Matthäus und Marcus berichten, sondern nur, daß sie Buße und Vergebung der Sünden predigen sollten. Beim Johanne aber sagt Jesus den Jüngern gar nichts weder vom Predigen, noch vom Taufen; sondern er spricht allein zu Petro: hast du mich lieb, so weide meine Schafe. 10) Marcus und Lucas, die doch Jesum nicht selber gesehen haben, berichten seine Himmelfahrt. Aber Matthäus und Johannes, als Jünger, die Jesum selber wollen gesehen haben, schweigen von diesem wichtigen Punkte ganz und gar. Jesus spricht bei ihnen mit seinen Jüngern; dann weiß man weiter von ihm nicht, wo er geblieben: ihre Erzählung ist zu Ende. Johannes hat zwar noch so vieles auf seinem Herzen, was Jesus getan habe, daß, wenn alles sollte in Büchern beschrieben werden, dieselben Bücher in der Welt nicht Raum haben mögten: allein mich dünkt, die paar Zeilen von seiner Himmelfahrt hätten doch noch wohl ein Räumchen darin gefunden und statt der ungeheuren Hyperbole verdienet.

Zeugen, die bei ihrer Aussage in den wichtigsten Umständen so sehr variieren, würden in keinen weltlichen Händeln, wenn es auch nur bloß auf ein wenig Geld einer Person ankäme, als gültig und rechtsbeständig erkannt werden, so daß der Richter sich auf ihre Erzählung sicher gründen, und den Spruch darauf bauen könnte: Wie kann man denn begehren, daß, auf die Aussage von solchen vier variierenden Zeugen, die ganze Welt, das ganze menschliche Geschlecht zu allen Zeiten, und aller Orten, ihre Religion, Glauben und Hoffnung zur Seligkeit gründen soll? Allein es bleibet auch nicht einmal bei der Verschiedenheit ihrer Erzählung: sie widersprechen sich unleugbar in vielen Stellen, und machen den guten Auslegern, die dieses Tetrachordon zu einer bessern Einstimmung bringen wollen, viel vergebliche Marter. Ich will nur zehen dergleichen ganz offenbare Widersprüche anführen, ungeachtet derselben weit mehrere sind.

(Beginn des fünften Fragments aus den von Lessing 1774-78 veröffentlichten 'Papieren eines Ungenannten')

ZUM TODESTAG DES AUFKLÄRERS

Über den Autor (1694-1768)

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