Die vornehmste und erste Frage, worauf das ganze neue Systema
der Apostel ankömmt, ist demnach diese: ob Jesus, nachdem er getötet worden,
wahrhaftig auferstanden sei? Da beruft sich nun Matthäus anfangs
auf das fremde Zeugnis der Wächter Pilati, welche er auf Begehren des
jüdischen Rats bei dem Grabe gestellet, und welche mit ihrem großen
Schrecken Jesum aus dem Grabe hervorbrechen gesehen, auch diese
Geschichte den Hohenpriestern und Ältesten verkündiget hätten. Die
Erzählung lautet umständlicher also: "Des anderen Tages nach der Kreuzigung
Jesu, das ist, am ersten Oster-Tage, als den funfzehnten des
Monats Nisan, kamen die Obersten der Priester und die Pharisäer, welche
den hohen Rat ausmachten, sämtlich zu dem Römischen Landpfleger
Pilato, und sprachen: Herr, wir sind eingedenk worden, daß dieser
Verführer Jesus, den du gestern hast kreuzigen lassen, gesagt hat, wie er noch
lebte: er wolle drei Tage hernach, wenn er getötet wäre, wiederum lebendig
auferstehen. Demnach bitten wir inständig, befiel doch, daß man das
Grab, wohin er gelegt ist, verwahre bis an den dritten Tag, auf daß nicht
irgend seine Jünger inzwischen des Nachts kommen, ihn aus dem Grabe
heimlich wegstehlen, und hernach zum Voke sagen: Er ist auferstanden
von den Toten. Denn auf solche Art würde der letzte Betrug ärger sein,
als der erste. Pilatus sprach darauf zu ihnen: Siehe, da habt ihr die
verlangten Hüter, gehet damit hin, und verwahret das Grab, wie ihrs am
besten zu bewerkstelligen wisset. Sie, die obersten Priester und Pharisäer,
gingen demnach alsobald hin, und verwahrten das Grab mit denen zugeordneten
Hütern, und versiegelten noch zu mehrerer Gewißheit den
Stein, der vor die Türe des Grabes gewälzet war. Am Sonntage aber
frühe, den 16ten Nisan, kamen Maria Magdalena und die andere Maria
zum Tore heraus, das Grab zu besehen; und siehe, da geschah ein groß
Erdbeben; der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, und wälzte den
Stein von der Türe des Grabes und setzte sich darauf: seine Gestalt des
Angesichts war wie der Blitz, und sein Kleid weiß wie der Schnee. Darüber
erschraken die Hüter vor Furcht dergestalt, daß sie bebten und als
tot waren. Den Weibern aber sagte der Engel, ihr habt euch nicht zu
fürchten: ich weiß, ihr suchet Jesum den gekreuzigten: der ist aber nicht
mehr hier, sondern er ist auferstanden, wie er gesagt hat. Wie nun die
Weiber die ledige Stätte im Grabe und im Zurückeilen Jesum selbst auf
dem Wege gesehen und gesprochen hatten, und dieses den übrigen Jüngern
in der Stadt verkündigen wollten, so kamen auch etliche von den Hütern
nach der Stadt, und berichteten den Obersten der Priester alles, was
geschehen war. Die kamen also mit den Ältesten, und den übrigen
Mitgliedern des hohen Rats, darüber zusammen, erzählten ihnen der
Wächter Aussage von dem Geschehenen. Darauf ward nach Überlegung
der Sache diese Entschließung gefasset: Sie gaben den Kriegs-Knechten
Pilati, die das Grab gehütet hatten, Geld genug, daß sie sagen sollten,
Jesus Jünger wären des Nachts gekommen und hätten den Leichnam gestohlen,
als sie geschlafen. Wenn dieses ja, sagten die Priester, bei dem
Landpfleger Pilato auskommen sollte, daß ihr geschlafen, so wollten wir
Juden ihn schon befriedigen, daß euch deswegen keine Strafe widerfahren
soll. Also nahmen die Hüter das Geld, und taten, wie sie gelehret waren.
Daher ist die Rede, daß Jesus Jünger seinen Leichnam des Nachts
gestohlen, bei den Juden angekommen, und währet bis auf den heutigen
Tag."
So weit gehet die Erzählung Matthaei, die gewiß eine Sache von
der größten Wichtigkeit enthält. Denn, wenn das in der Tat geschehen
wäre, so würde es eine innere Überführung von der Wahrheit der Auferstehung
Jesu, sowohl bei den Juden als Heiden damaliger Zeit, haben
wirken können: und die Apostel hätten, zum Beweise ihres Zeugnisses
fast nichts anders gebraucht, als sich auf diese Stadtkündige Begebenheit
allenthalben zu berufen, oder sich wohl gar von Pilato Brief und Siegel
über die durch Hüter bis in den dritten Tag geschehene Bewahrung des
Grabes auszubitten, hienächst aber bei demselben auf eine schärfere und
peinliche Befragung der Hüter über das, was ihnen begegnet sei, äußerst
zu dringen: damit sie sich sowohl selbst von dem aufgebürdeten Betruge
retten, als auch die Wahrheit bei allen und jeden überzeuglich darlegen,
und das Hindernis, so die Verleumdung ihnen in den Weg geworfen,
wegräumen mögten. Wie ist denn nun mit der Wahrheit dieser
Geschichte zusammen zu reimen, daß außer dem Matthäus kein einziger
Evangelist in seinen Berichten, kein einziger Apostel in seinen Briefen,
derselben irgend die geringste Erwähnung tut; sondern Matthäus mit
seiner so wichtigen Erzählung, von aller andern Zeugnisse verlassen,
ganz allein bleibet? Wie kann es mit der Wahrheit dieser Geschichte
bestehen, daß sie kein einziger Apostel oder Jünger, vor Jüdischen oder
Römischen Gerichten, oder vor dem Volke in Synagogen und Häusern,
zur Überführung der Menschen, und zu ihrer eigenen Verantwortung
jemals gebrauchet? Nach Matthäi Erzählung hatten ja die obersten Priester
den Bericht der Hüter, und folglich die wunderbare Eröffnung des
nunmehro ledigen Grabes Jesu, allen Ältesten des ganzen hohen Rats
mitgeteilt, und mit ihnen sich besprochen, wie das geschehene zu unterdrücken
und zu vermänteln sein mögte. Demnach wußten und glaubten alle siebenzig
Mitglieder des hohen Rats, daß es sich in der Tat so verhielte,
wie die Apostel predigten: und es war kein anderweitiger Beweisgrund
zu erdenken, der in den Beisitzern des Synedrii mehr innere Überführung
und Beschämung hätte wirken können, als dieser, wenn sich die
Apostel auf des Synedrii eigene sorgfältige Bewachung des Grabes, und
das was ihnen die Wächter selbst von dem Geschehenen ausgesagt, und
was also einem jeden sein Gewissen zeugen würde, bezogen hätten.
Wenn also Petrus, wenn Paulus, wenn andere, über das Bekenntnis von
der Auferstehung Jesu zu Rede gestellet wurden, was hatte es weiter
Zeugnis bedurft als dieses: "Es ist vor der ganzen Stadt Jerusalem, und
vor aller Welt kund und offenbar, daß der ganze hohe Rat, mit Römischer
Soldaten-Wache versehen, die Vorsicht gebraucht hat, das Grab zu
besichtigen, zu versiegeln und bis auf den dritten Tag bewachen zu lassen.
Nun hat die Wache am dritten Tage in aller Frühe das Grab mit
Schrecken verlassen. Sie hätte es aber so lange bewachen müssen, bis der
dritte Tag vorbei gewesen, und bis die Ober-Priester und der ganze Rat
wieder hinausgekommen wäre, um das Grab abermals zu besehen, ob
der Körper noch drinnen, und in seine Verwesung gegangen sei, um alsdann
die Wache zu entlassen. Der ganze Rat weiß hergegen in seinem
Gewissen, was diese Hüter ausgesagt, was ihnen begegnet sei, wie und
warum sie vor der Zeit mit Schrecken davon gelaufen. Demnach ist ein
jeder innerlich überführt, daß Jesus müsse auferstanden sein, und daß
wir nichts, als die Wahrheit, verkündigen." Aber in der ganzen
Apostel-Geschichte, bei den öfteren Verteidigungen vor dem Rate, da sie die
Auferstehung Jesu bezeugen, tun sie nicht die geringste Erwähnung von dieser
so merkwürdigen Begebenheit. Sie sprechen etwa bloß: wir können
es ja nicht lassen, daß wir nicht reden sollten, was wir gesehen und
gehöret haben. Wir sind seine Zeugen über diesem Worte, und der
heilige Geist. Konnte denn ihr dürres Bejahen wohl den geringsten
Eindruck machen? Wenn man die Herren des Rats nur als vernünftige Menschen
ansiehet, so konnten sie solch Vorgeben der Apostel auf ihr Wort nicht
glauben: denn es war eine ganz außerordentliche übernatürliche Sache,
daß einer vom Tode sollte auferstanden sein, welche sich so schlechthin
nicht annehmen ließe, vornehmlich da es die Anhänger Jesu allein sagten,
und sonst niemand, der es gesehn hätte, genannt wurde: zu geschweigen,
daß viele der Rats-Herren Sadducäer waren, welche die Auferstehung
der Toten an sich für unmöglich und in der Schrift nicht gegründet hielten.
Betrachtet man aber die Rats-Herren als Richter, so mußten sie auch
nach ihrem Amte dem bloßen Vorgeben der Apostel nicht trauen, weil
diese in ihrer eigenen Sache zeugeten, und zwar zur Einführung einer
neuen Religion, und zur Umstürzung der bisher eingeführten, über welche
diese Richter nach Amts-Pflicht wachen sollten. Sie konnten und
mußten den Aposteln auf ihr eigenes Zeugnis nicht Recht geben, weil die
Pharisäer, so das etwa am ersten für glaublich erkläret hätten, sogleich
von ihren Beisitzern, den Sadducäern, für parteiische Richter wären gehalten,
und dadurch eine Spaltung im Gerichte selbst wäre erregt worden. Der
heilige Geist, auf dessen Zeugnis sich die Apostel weiter beriefen,
war bloß in ihrem Munde, und zeugete ja nicht außer den Aposteln:
konnte daher auch von den Richtern für nichts, als ein leeres Vorgeben
der Apostel selbst, und für ihr eigenes Wort angesehen werden. Warum
lassen denn die Apostel solche schlechte und eitele petitiones principii
nicht lieber ganz weg, und bedienen sich dagegen dieser so vorteilhaften
Begebenheit, welche der Richter eigenes Gewissen ihnen glaublich
machte, und welche nur allein dieselben rühren, überzeugen und beschämen
konnte? Was lässet sich hieraus anders urteilen, als: entweder die
Geschichte muß nicht wahr sein, oder die Apostel würden sie da, wo sie
als der einzige kräftige Beweis-Grund überblieb, alle anderen aber nichts
verfangen konnten, notwendig gebrauchet haben.
Dieses Urteil wird noch mehr bestärket, wenn man betrachtet, wie
oft die Apostel und übrigen Jünger Jesu vor Römischen Gerichten
gestanden, und zu stehen entschlossen waren, und sich doch diese
Begebenheit weder wirklich zu Nutze gemacht, noch solches zu tun jemals
gedacht haben. Man hat ja wohl in spätern Zeiten Briefe des Pilati an
den Kaiser Tiberium getichtet, worin diese Erzählung nebst andern enthalten
ist; aber in der Tat haben sich die Apostel bei den Römern nimmer
auf des Pilati oder seiner Kriegs-Knechte Zeugnis berufen, noch sich jemals
darum bekümmert, ein solches mündlich oder schriftlich von Pilato
zu erhalten. Wäre wohl was besseres zu der Apostel Zweck, in so fern
sie auch Heiden bekehren wollten, zu erdenken gewesen, als daß sie fürs
erste nach dem Namen der Wächter geforschet hätten, um dieselben bei
allen Römern namhaft zu machen, welche man um die Wahrheit dieser
Geschichte befragen könnte. Denn wenn gleich diese Wächter von den
Juden Geld bekommen, um die Sache zu verschweigen, oder anders zu
erzählen; so würden sie doch bei ihren Landesleuten kein Hehl daraus
gemacht haben, die Wahrheit auf ernstliches Befragen zu gestehen; wo
sie nicht gar von selbst die wunderbare Geschichte bei ihren Freunden
und Kameraden ausgebreitet hätten, wie es bei solchen Gelegenheiten zu
gehen pflegt, daß die Menschen diese Begebenheit, je wunderbarer sie ist,
desto weniger verschweigen können. Würden also die Apostel nicht ein
vorläufiges Gerücht bei den Römern zum Vorteil gehabt haben, das sie
allemal durch Nennung dieser Soldaten glaubwürdig machen und auf
schärfere Nachfrage bewähren könnten? Warum gedenken sie denn der
Sache bei den Heiden, denen sonst die Auferstehung der Toten gar nicht
in den Sinn wollte, nimmer? Warum sprechen sie nicht: fragt nur eure
Landsleute, den Gajus und Proculus und Lateranus und Lätus, welche
dieses Jesu Grab bewachet und dasselbe mit seiner Auferstehung zu ihrem
Erstaunen aufspringen gesehen? Ja, die Apostel würden noch ein
mehreres getan haben. Sie wären zu Pilato selbst gleich auf frischer Tat
hingegangen, und hätten sich von demselben eine förmliche schriftliche
Acte über die Bewachung des Grabes, und eine peinliche Untersuchung
der Wahrheit ausgebeten. Hätte denn gleich Pilatus von selbst nicht
daran gewollt: so hätte er dennoch, oder wenigstens die Soldaten, welche
das Grab bewachet, wider ihren Dank und Willen daran müssen, wenn
sich die Apostel vor den Römischen Gerichten darauf berufen hätten.
Aber sie gedenken der Sache so wenig vor Felix und vor Festus, als vor
dem Agrippas und Berenice, noch sonst irgend bei den Römern und
Griechen: sie lassen sich lieber mit ihrer Auferstehung auslachen und für
rasend erklären. Daher wir nicht anders schließen können, als daß die
Sache nicht geschehen sei: denn sonst müßte sie notwendig, als der einzige
Beweisgrund, der bei Heiden etwas ausrichten mögte, angeführet
sein; da gewiß alle andere Gründe bei ihnen vergeblich und lächerlich
waren. Denn aus der Vernunft lässet sich die Auferstehung nicht beweisen,
und die Schriften der Propheten galten bei den Heiden nichts: die
Sache aber an sich schiene ihnen umgereimt und fabelhaft sein.
Bei denen Juden, in ihren Synagogen, oder Privat-Versammlungen,
wäre gleichfalls die triftigste Ursache gewesen, diese Stadt- und
Landkündige Bewachung des Grabes Jesu nebst dem, was darauf erfolget war,
allenthalben namhaft zu machen. Denn die müßte notwendig zu aller
Wissenschaft gekommen sein, wenn der ganze hohe Rat in Procession
am ersten Oster-Tage zu Pilato; und so von ihm, mit einer Soldaten-Wache
durch die Stadt begleitet zum Tore hinaus gegangen wäre, das
Grab zu versiegeln und zu hüten. Es hätten selbst Joseph von Arimathia
und Nicodemus, und ein ehrlicher Gamaliel, als Mitglieder des Rats,
nicht verschwiegen, was bei ihnen in dem hohen Rate erzählet, und zur
Verdrehung der Sache von der boshaften Partei beschlossen wäre; daß
demnach die ganze Judenschaft zur Annehmung dieser Erzählung und
dieses Beweises schon würde vorbereitet gewesen, wenn es die Apostel
hätten wollen auf die Bahn bringen, und in ihren Predigten oder
Verantwortungen rege machen. Sie hatten ja dazu bei den Juden noch eine
besondere dringende Ursache. Denn es ist würklich an dem, was Matthäus
schreibt, daß es eine gemeine Rede bei den Juden geworden: die
Jünger Jesu wären heimlich des Nachts gekommen und hätten den
Leichnam Jesu gestohlen, und nun gingen sie herum und sagten, er sei
auferstanden. Die allgemeine Nachrede mußten die Apostel leiden, weil
selbst der hohe Rat zu Jerusalem angesehene Männer bei allen Jüdischen
Gemeinen in Judäa und andern Ländern herumschickte, und diesen
nächtlichen Diebstahl des Körpers Jesu bekannt machte, um alle und
jede vor der Betrügerei zu warnen. Das wissen wir aus der Justini Martyris
Unterredung mit dem Juden Trypho, wie es imgleichen Eusebius in
seiner Kirchen-Geschichte und über Esaias erwähnet. Wenn es demnach
in der Tat eine allgemeine Rede geworden, was die Juden zum
Nachteil der Apostel ausgebreitet: woher kömmt es denn doch, daß des
Matthäi Geschichte mit den Wächtern nicht auch eine allgemeine Rede
bei den Jüngern Jesu geworden ist? Wo die Apostel nur hinkamen, da
war der böse Ruf von ihrer Betrügerei vorangegangen, und die Gemüter
davon eingenommen: wäre es aber mit der Auferstehung Jesu Betrug, so
war ja ihre ganze Predigt eitel. Warum retten sie ihre Ehrlichkeit denn
nimmer und nirgend, wider eine solche allgemeine und glaubliche
Beschuldigung, mit der Geschichte, welche uns Matthäus erzählet?
warum nehmen sie darauf nicht vor allen andern die beste Bewährung
ihres vorgebenen Facti? Nein, sie schweigen davon durchgängig, und
es ist daher handgreiflich, daß dergleichen nimmer wirklich vorgegangen
sei, und daß es Matthäus nur zur Ablehnung der erwähnten Beschuldigung
ertichtet, die übrigen aber selbst geurteilet haben müssen, daß sie
mit solcher Verteidigung nicht fortkommen würden, und es daher besser
sei, diesen schlimmen Punkt unberührt zu lassen, als wider eine sehr
wahrscheinliche und beglaubte Nachrede eine schlechte und sich selbst
widersprechende Verantwortung vorzubringen.
Ich sage nicht unbillig, die Beschuldigung sei wahrscheinlich und
glaublich, die Ablehnung Matthäi hergegen schlecht und voller Widerspruch.
Denn, wenn wir die Umstände ansehen, so reimet sich alles mit
der Beschuldigung. Er war ganz möglich, daß der Körper Jesu des Nachts
heimlich aus dem Grabe gestohlen, und anderwärts verscharret werden
konnte. Das Grab war in einem Fels, gehörte dem Joseph von Arimathia,
einem heimlichen Jünger Jesu, und der Zugang zum Grabe war in dem
Gehege seines Gartens. Eben dieser Joseph hatte sich den Leichnam Jesu
ausgebeten, und denselben aus eigener Bewegung in sein Grab gelegt, die
Maria Magdalena und andere Weiber waren dabei gewesen, und alle
Apostel wußten den Ort. Sie hatten ungehinderte Freiheit zum Grabe zu
kommen: keine Besorgnis von einer Soldaten-Wache, keine Furcht, daß
sie der Gärtner nicht zum Grabe lassen möge: die Schwierigkeit, welche
sich die Weiber bei den Evangelisten machen, ist nicht: wie sie den
Gärtner und die Wächter überreden oder nötigen wollten, ihnen die Öffnung
des Grabes zu verstatten, sondern nur der Stein vor dem Grabe: wer wälzet
uns den Stein von des Grabes Tür? Es mußten also keine Wächter
da sein, und der Gärtner mußte Befehl von seinem Herrn haben, den
Jüngern Jesu die Tür offen zu halten. Ja dieser konnte auch selbst bei
Tage und bei Nachte ins Grab gehen und mit dem Körper machen, was
er wollte; oder einem andern solches zu tun erlauben. Die Maria Magdalena
sagt es uns ganz deutlich: Sie haben meinen Herrn weggenommen,
spricht sie, und wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Und da sie
den Gärtner vor sich zu haben meint, spricht sie zu ihm: Herr, hast du
ihn weggenommen, so sage mir, wo hast du ihn hingelegt, so will ich ihn
holen. Sie setzet also zum voraus, daß der Körper in der verwichenen
Nacht könnte von dem Gärtner oder einigen andern weggeschleppet
sein. Demnach ist es nach dem eigenen Berichte des Evangelisten ganz
wohl möglich gewesen, daß die Jünger Jesu dessen Leichnam in der
Nacht heimlich aus dem Grabe anderswo hinbrächten. Und es konnte
den Juden nicht anders, als höchst wahrscheinlich vorkommen, daß eben
diese Jünger solches wirklich getan. Denn, würden sie sagen, wollte Gott
Jesum zum Wunder aller Welt erwecken, warum sollte er es nicht bei Tage,
vor aller Welt Augen, tun? warum sollte er die Sache so veranstalten,
daß, wenn einer auch noch so frühe zum Grabe käme, derselbe schon
das Grab offen und ledig fände, und nicht den geringsten Unterschied
merkte, als wenn der Körper heimlich aus dem Grabe weggestohlen sei?
Die Zeit war auch noch lange nicht vorbei, welche Jesu im Grabe zubringen
sollte. Es war gesagt, drei Tage und drei Nächte sollte er in der
Erden liegen: nun war nur erst ein Tag und zwo Nächte verstrichen:
warum würde denn mit der Erweckung so geeilet, und dieselbe wider die
Verheißung zu einer Zeit verrichtet, da sie niemand vermuten war, noch
Zeuge davon sein konnte? Wenn die Jünger Jesu hätten Glauben finden
wollen, und als aufrichtige ehrliche Leute mit Wahrheit umgegangen
wären: so müßten sie uns die Erweckung Jesu, und deren genaue Zeit
öffentlich vorher gesagt haben: so wären wir hinausgegangen, und hätten
sie mit angesehen. Ja die Apostel hätten Ursache gehabt, an einem
bestimmten Tage und Stunde, nicht nur Pilatum und seine Wache, sondern
alle Hohe-Priester und Schriftgelehrten als Zuschauer zum Grabe
einzuladen: so hätten sie sich nachher den Verdacht eines Betruges und
die Verfolgung ersparet, und hätten ohne Predigen und Mühe eine allgemeine
Überführung geschaffet. Nun aber schweigen sie vorher von seiner
Auferstehung ganz stille, und tun, als wenn sie selbst nicht einmal davon
gewußt oder daran gedacht hätten. Was aber noch mehr ist: in aller der
Zeit von vierzig Tagen, da Jesus soll auferstanden sein, und unter ihnen
gewandelt haben, sagen sie keinem unter uns ein Wort, daß er wieder lebe,
damit wir auch zu ihnen kommen und Jesum sehen und sprechen
könnten; sondern nach vierzig Tagen, da er schon soll gen Himmel gefahren
sein, gehen sie erst aus und sprechen, er sei da und dort gewesen.
Frägt man sie, wo war er denn? wer hat ihn denn gesehen? so ist er bei
ihnen im verschlossenen Zimmer gewesen, ohne daß eine Tür aufgegangen,
ohne daß ihn jemand hat können kommen oder weggehen sehen:
so war es auf dem Felde, in Galilea am Meere, auf dem Berge. Mein!
warum nicht im Tempel? vor dem Volke? vor den Hohen-Priestern? oder
doch nur vor irgend eines jüdischen Menschen Augen? Die Wahrheit
darf sich ja nicht verstecken oder verkriechen: und zwar eine solche
Wahrheit, welche unter uns bekannt und geglaubet werden sollte. Es
heißet ja, er sei nicht gesandt, denn nur zu den verlornen Schafen vom
Hause Israel: wie könnte er denn so neidisch gegen uns sein, sich keinem
unter uns zu zeigen? Oder sollten wir ihn nur in seiner armseligen
Gestalt, und zuletzt am Kreuze hängen und sterben sehen, um uns an ihm
zu ärgern? auferweckt aber, lebendig, und in seiner Herrlichkeit nimmer
zu sehen bekommen, damit wir ja von unserm Messias keine eigene
zuverlässige Überführung erlangten; und uns nichts übrigbliebe, als seinen
wenigen Anhängern darin zu trauen, die doch den toten Körper nächtlicher
Weile haben stehlen können, und sich so dabei aufgeführet haben,
daß eine solche Vermutung billig auf sie fallen muß, und daß alle
vernünftige Menschen, selbst der ganze Rat und alle Hohe-Priester und
Schriftgelehrten so von ihnen urteilen, und uns vor ihrem Betruge warnen?
Je unglaublicher nun die Auferstehung Jesu denen Juden sein: und
je mehr ihnen die nächtliche Entwendung des Körpers möglich, wahrscheinlich
und glaublich scheinen mußte, wenn keine Bewachung des
Grabes geschehen war: desto größere Ursache hätten die Evangelisten
und Apostel gehabt, den Verdacht eines Betruges, welcher ihnen von der
höchsten Obrigkeit selbst bei allen Juden angehänget war, durch fleißige
Vorhaltung dieser bekannten Bewachung des Grabes von sich zu entfernen.
Dieses war das einzige, womit sie ihre Wahrheit und Ehrlichkeit
noch einiger maßen hätten retten mögen: alles andere waren petitiones
principii. Da aber, außer dem einzigen Matthäus, keiner dieser
Geschichte, an keinem Orte, bei so öfterer Gelegenheit, weder in Schriften
noch Reden, weder vor Gericht, noch bei Privat-Personen, weder zum Beweise,
noch zur Verteidigung, mit einem Worte gedenket: so
kann sie unmöglich wahr, und würklich geschehen sein. Es ist ein offenbarer
Widerspruch: nur einen festen Beweisgrund haben, der sich von
selbst anbietet, denselben wissen, und so oft zu brauchen genötiget sein
und dennoch nimmer gebrauchen, sondern sich mit nichtigen behelfen.
Daher denn schon klar genug ist, daß Matthäus diese Geschichte allein
aus seinem Gehirne ersonnen hat, weil er auf die Beschuldigung etwas
hat antworten wollen, und nichts besseres erfinden können. Allein wie
übel die Erfindung geraten sei, zeiget der öftere Widerspruch, darin sich
Matthäus in der Geschichte selbst mit sich und andern Evangelisten
verwickelt.
Es ist erstlich widersprechend, daß die Hohenpriester von der Auferstehung
Jesu vorher etwas wissen sollten, davon die Apostel selbst,
denen doch die Geheimnisse des Reichs Gottes offenbaret hießen, nichts
wußten. Von diesen heißet es ausdrücklich: sie wußten die Schrift noch
nicht, daß er von den Toten auferstehen müßte. Und daß dieses wahr sei,
zeiget ihr ganzes Betragen. Sie klagen, daß ihre Hoffnung von der Erlösung
Israels mit seinem Tode ganz aus sei. Sie kommen mit Specereien
zum Grabe, in Meinung, daß er, gleich andern Verstorbenen, auch tot
bleiben und in die Verwesung treten werde. Ja, als sie den Körper nicht
im Grabe finden, fällt ihnen noch nichts von seiner Auferstehung ein,
sondern sie schließen bloß daraus, er müsse weggenommen, und anderswo
hingetragen sein. Ein Teil will sogar seine Auferstehung durchaus
nicht glauben, nachdem sie ihnen schon berichtet worden. Mit einem
Worte, bis an Jesus Tod, und kurz nachher, haben seine Jünger von keiner
Auferstehung etwas gewußt, gehöret, oder daran gedacht. Wie ist es
denn möglich, daß den Hohenpriestern und Schriftgelehrten etwas davon
bekannt gewesen sein sollte? Und daß sie daher auf die Vorsicht gefallen
wären, das Grab mit einer Wache zu besetzen. 2) Ist es sehr unglaublich,
daß Hohepriester und der ganze Rat am ersten Oster-Tage
öffentlich zu Pilato gehen, und hernach mit der Römischen Wache in
Procession zum Tore hinausgehen und das Grab versiegeln sollten.
Denn, anderer Umstände nicht zu erwähnen, so lief es wider der Juden
Gesetze und Gebräuche, sich am Feste, da sie insonderheit still und rein
sein mußten, mit solchem Gewerbe abzugeben, sich unter die Heiden zu
mengen, oder ein Grab anzurühren. Waren doch die Jünger Jesu, wie es
heißet, den Fest-Tag über stille nach dem Gesetze: wie sollten denn die
Hohen-Priester sich öffentlich vor dem Volke so vergehen, und insonderheit
ein Grab berühren, da sie sonst die Gräber gegen die Fest-Tage
mit weißem Kalk zu übertünchen pflegten, damit sie auch von ferne
schon mögten gesehen werden, und ein jeder sich davor hüten könnte,
daß er nicht unrein würde. 3) Wenn wir auch die Betrachtung dessen,
was den Juden nach dem Gesetze erlaubt war, aussetzen: so konnte doch
ein gesamtes obrigkeitliches Collegium von so vielen Personen nimmer
so gröblich wider den Wohlstand handeln, daß es am hohen Fest-Tage,
in Corpore, öffentlich zu den Heiden ginge, und mit einer Soldaten-Wache
in Procession durch die Stadt zöge: da alles dieses bei dem Pilato
durch ein Paar Abgeordnete in der Stille hätte können ausgerichtet werden.
4) Aber warum sollten sie überhaupt desfalls zu Pilato gehen, und
den Heiden noch mehr Macht über sich einräumen? Joseph, dem das
Grab gehörte, und der es in dem Umfange seines Gartens hatte, konnte
sich ja als ein Jude und Mitglied des hohen Rats nicht entlegen, daß
Wächter vor das Grab gestellet würden; ja er mußte es vielmehr gerne
sehen, und sich ausbitten, damit er offenbar aus dem Verdachte eines
Betruges gezogen würde, worin er sonst notwendig mit verwickelt werden
mußte. 5) Und was kommt denn endlich heraus? Der ganze hohe Rat,
ein Collegium von siebenzig obrigkeitlichen Männern wird in dieser
Geschichte zu lauter Schelmen gemacht, welche mit Überlegung einmütig
willigen, ein Falsum zu begehen, und zu solchem Falso auch die
Römische Wache zu bereden. Das ist an sich eine unmögliche Sache. Und
wo bleibt Joseph, wo bleibt Nikodemus hiebei? sind denn die nun auch
zu Schelmen worden? Sind nun Pharisäer und Sadducäer in diesem Collegio
eins, die Auferstehung, auch durch eine ersonnene Lüge zu verleugnen,
da sonst die Apostel das Collegium über diesen Satz so meisterlich
zu teilen wissen, daß sich die Pharisäer dessen wider die Sadducäer
annehmen? Kann auch eine so dumme Lüge von so viel verständigen Leuten
erdacht werden: daß alle Römische Soldaten auf ihrem Posten schlafen
sollten, und eine Anzahl Juden bei ihnen vorbeigehen, den großen Stein
vor dem Grabe wegwälzen, und den Körper heraustragen? Dieses alles
solle incognito, ohne Gepolter, und heimlich verrichtet werden, und kein
Soldat davon aufwachen, kein Fuß-Stapfen derer, die den Körper weggetragen,
nachbleiben? 6) Wenn denn endlich Matthäus auf solche Art den Betrug
von sich auf die Obrigkeit schiebt, und sie eines offenbaren und
stadtkündigen Falsi bezüchtiget: woher kömmt es denn, daß der Apostel
Betrug eine gemeine Rede unter den Juden geworden bis auf den heutigen
Tag, von des jüdischen Synedrii Betruge aber alle Evangelisten und Apostel
jederzeit und allenthalben schweigen? Mich dünkt, dies heiße ja
wohl, widersprechende Dinge, und etwas, das sich bald verrät, vorgeben,
welches der Unwahrheit eigen ist.
Lasset uns aber auch noch zuletzt sehen, wie Matthäus vor seinen
eigenen Glaubens-Genossen mit seiner Erzählung bestehet. Die übrigen
Evangelisten wissen nicht allein von keiner Wache, sondern berichten
auch solche Umstände, welche die Wache aufheben. Da gehen die Weiber
sämtlich am dritten Tage hinaus in der Absicht, daß sie ins Grab hineingehen
und den toten Körper nach jüdischer Art mit vielen Myrrhen,
Aloe und dergleichen einwickeln wollen. Nun würden sie ja wohl als
furchtsame Weiber nicht wider den Willen der Römischen Soldaten
hineinzudringen suchen: oder wenigstens sich im Hingehen den Zweifel
machen: wie kommen wir ins Grab? wie werden uns die Wächter durchlassen?
Der Stein ist versiegelt: wenn auch die Wächter wollten, so dürfen
sie uns nicht hineinlassen: es ist eine unmögliche und vergebliche Sache.
Allein darum sind sie gar nicht bekümmert, sondern nur, wer ihnen den
Stein von des Grabes Türe wälzen wolle: welches zum Grunde setzet, daß
ihnen sonst nichts hinderlich sei, daß sie sonst frei hinzukommen können,
daß keine Wache davor liege. Wollte man sagen, die guten Weiber
hätten vielleicht nicht gewußt, was am vorigen Tage geschehen wäre: so
mußten es doch gewiß nunmehro die Evangelisten Marcus, Lucas und
Johannes so gut wissen, als Matthäus. Hätten nun diese Geschicht-Schreiber
ein Grab in Gedanken gehabt, das mit einer Wache besetzt
war, so würden sie wenigstens, wenn sie die Weiber in dasselbe hineinbringen
wollten, die Anmerkung dabei gemacht haben: sie wußten aber
nicht, daß das Grab mit Hütern verwahret und der Stein versiegelt wäre.
Allein auch den Weibern selbst hätte die Sache nicht können verborgen
sein. Wir können der Weiber, nach der Evangelisten Berichte, wenigstens
sechs rechnen. Von sie vielen Weibsleuten aber wäre es ein Wunder, daß
sie das neue, was öffentlich geschehen war, noch nicht sollten erfahren
haben. Die Hohen-Priester und Pharisäer waren ja, nach Matthäi
Berichte, am ersten Oster-Tage sämtlich zu Pilato gegangen, hatten die
Wache von ihm gebeten, und er hatte sie ihnen mitgegeben. Sollte das
nicht Aufsehens in der Stadt machen, wenn der hohe Rat von siebenzig
Personen in Procession zum Landpfleger gehet, wenn derselbe wieder
herauskommt, eine Römische Wache hinter sich habend: ja wenn er
endlich zum Tore hinauswandert, das Grab besichtiget, ob der Körper
noch darin sei, und alsdenn das Grab versiegelt, und die Hüter davor
stellet? Gewiß, dergleichen öffentliches Schauspiel am ersten Feiertage
würde alle Leute, alle Jungens rege gemacht haben, hinter an zu laufen
und zu sehen, was das bedeutete: und dergleichen Begebenheit könnte
auch dem geringsten Kinde, geschweige so vielen Weibern, nicht verborgen
geblieben sein. Noch mehr! Joseph von Arimathia, ein heimlicher
Jünger Jesu, aber zugleich ein Rats-Herr, mußte ja wohl entweder mit
dabei sein, oder wenigstens davon wissen, daß man ihm Wache in seinen
Garten und vor sein Grab legte: und eben das ist von Nicodemo, weil
er gleichfalls ein Mitglied des Rats und ein Pharisäer war, zu sagen. Je
weniger er für einen Jünger Jesu bekannt sein wollte, je weniger würde
man ihn von solchem Anschlage ausgeschlossen haben, oder denselben
heimlich vor ihm treiben können. Mit diesen beiden Rats-Herren waren
ja eben diese Weiber beschäftiget gewesen, Jesu Leichnam ins Grab zu
legen: und ohne Josephs Wissen und Erlaubnis, oder Befehl an den Gärtner,
konnten sie sich nicht erdreisten, in dessen Grab zu gehen, und mit
dem Körper, der jenem anvertraut war, zu machen was sie wollten. Mit
Nicodemus aber hatten sie noch den Abend vorher die Specereien eingekauft,
womit sie den andern Morgen den Leichnam einwickeln wollten.
Wenn also die Weiber auch sonst nichts von der Wache gewußt hätten,
so müßten sie es von diesen beiden Rats-Herren erfahren haben. Die
würden ihnen auch gesagt haben, daß sie nur nicht hinausgehen mögten,
es sei umsonst, sie würden zu dem Körper nicht zugelassen werden. Weil
nun kein Mensch wissentlich etwas unmögliches unternimmt: so muß
dieses, was diese Weiber unternommen, möglich, und folglich keine
Wache vor dem Grabe gewesen sein. Es ist offenbar, daß Matthäus diesen
Widerspruch selber eingesehen hat: darum setzet er auch nicht, wie die
andern Evangelisten, daß die Weiber hinausgegangen mit Specerei,
und um Jesu Leichnam zu balsamieren, oder den Stein abzuwälzen,
und ins Grab hineinzugehen: nein, sondern nur, daß sie hingegangen
das Grab zu besehen; welches sie etwa von ferne tun, und die Hüter
ihnen nicht verwehren konnten.
In allen übrigen Umständen ist zwischen Matthäo und den andern
Evangelisten ein gleicher Widerspruch. Denn nach Matthäi Bericht, als
die Weiber hinkamen, das Grab zu besehen, siehe da entstand ein groß
Erdbeben: Der Engel des Herrn kam vom Himmel herab, wälzte den
Stein von der Tür, und satzte sich darauf. Die Hüter aber erschraken
für Furcht, und wurden als wären sie tot. Aber zu den Weibern sagte der
Engel: Fürchtet euch nicht etc. Diese Erzählung hängt so zusammen, daß
die Eröffnung des Grabes durch den Engel in Gegenwart und im Gesichte
der Weiber geschehen, und daß die Soldaten-Wache noch da gewesen,
als sie gekommen; welche denn auch erst nach ihnen, als sie sich von ihrem
Schrecken erholet, zum Tor der Stadt wieder hinein gehet. In der Tat
könnte es auch nicht anders gewesen sein. Denn die Weiber gingen hinaus,
da es noch finster war, und das Grab war nahe vor dem Tor. Da
nun Jesus doch den dritten Tag und den Aufgang der Sonnen im Grabe
hätte erwarten müssen, wenn es nur eingermaßen heißen sollte, daß er
drei Tage im Grabe gewesen: so konnte die Auferstehung noch nicht
vorbei, und die Hüter noch nicht weg sein; zumal da sie vor Furcht halb
tot blieben und sich von dem Schrecken noch so bald nicht wieder besinnen,
noch entschließen konnten, was dabei anzufangen sei. Allein, wie
lautet nun dagegen die Erzählung bei den andern Evangelisten? Wie die
Weiber unter einander sprechen, wer wälzet uns den Stein von des Grabes
Türe, und noch unterwegs von ferne dahin sehen, so werden sie gewahr,
daß der Stein abgewälzet sei; sie funden den Stein abgewälzet von
dem Grabe, und gingen hinein. Maria Magdalena siehet, daß der Stein
von dem Grabe hinweg war. Da ist kein Erdbeben, kein Engel, der vom
Himmel fährt, keine Abwälzung des Steins im Gesichte der Weiber, keine
halb tote Wache, sondern wie sie in einer gewissen Weite dahin sehen,
so ist der Stein schon abgewälzet, die Wächter verschwinden, und haben
in dieser Evangelisten Gedanken unmöglich Platz. Weiter sagt Maria
Magdalena beim Johanne: Sie haben meinen Herrn weggenommen, und
wir wissen nicht, wo sie ihn hingelegt haben. Sie sagt zu Jesu, den sie für
den Gärtner hielt: Herr, hast du ihn weggenommen, so sage mir, wo hast
du ihn hingelegt, so will ich ihn holen. Demnach setzt sie ohne Bedenken
zum Grunde, daß viele Menschen, und insonderheit der Gärtner des
Josephs von Arimathia, in dessen Garten das Grab war, ungehindert
hätten ins Grab kommen und den Körper wegtragen können. Dieses bestehet
durchaus nicht mit einer Wache, die das Grab und den Körper hüten
sollte, und die, nach Matthäi Bericht, noch voller Schrecken und halb
tot da lag. Es bestehet auch nicht mit einem Engel, welcher vor dem
Grabe soll gesessen, und zu den ankommenden Weibern gesagt haben:
fürchtet euch nicht, ihr suchet Jesum von Nazareth, er ist nicht hier,
sondern er ist auferstanden.
Wir erkennen nunmehr aus dem vielfältigen Widerspruche, daß die
Wächter, welche Matthäus vor das Grab gestellet, keinen Stand halten
wollen, und sich einem gesunden Verstande nicht einmal gedenken
lassen. Daher diese Hirngespenster, welche den Verdacht des Betruges
von den Jüngern Jesu abkehren sollten, denselben vielmehr bestärken.
Die Wächter verschwinden bei jedem Umstande, und es bleibt allewege
möglich, und bei aller Betrachtung der Sache höchst wahrscheinlich, daß
die Jünger des Nachts zum Grabe gekommen, den Körper gestohlen, und
darnach gesagt, Jesus sei auferstanden. Lasset uns nun sehen, ob der
übrigen Evangelisten Aussage von der Auferstehung Jesu an sich mehr
einstimmig sei. Wenn die Evangelisten nebst allen Aposteln noch im Leben
wären, so könnten sie es uns nicht verdenken, daß wir diese Untersuchung
anstellen, und nach Befinden an ihrer Aussage zweifeln. Die Sache
ist ganz außerordentlich und übernatürlich: sie können niemand außer
ihrem Mittel aufweisen, der Jesum auferstanden gesehen hätte: sie allein
sind Zeugen davon, und wenn wir es genau erwägen, so haben wir von
denen, die Jesum selbst wollen gesehen haben, heutiges Tages nur zween
aufzuweisen: die übrigen zween sind nicht bei ihm gewesen, sondern haben
es nur aus Hör-Sagen. Und die andern werden bloß in dieser Zeugen
Schriften als Zeugen aufgeführt. Dennoch sollen wir auf dieser wenigen
Jünger Jesu Zeugnis ein ganzes Lehrgebäude gründen. Ja, was das meiste
ist, so haben nach ihrem Berichte die Jünger Jesu anfangs selber nichts
davon glauben wollen, sondern einige haben noch bis auf die letzte Zeit
seiner Gegenwart auf Erden, an der Wirklichkeit seiner Auferstehung
gezweifelt. Wie Maria Magdalena mit den übrigen Weibern, den Aposteln
bekräftigen, sie hätten ein Gesicht der Engel gesehen, ja sie hätten
Jesum selber gesehen, gesprochen und angefasset, glauben sie es nicht.
Es dünkten ihnen ihre Worte, als wären es Märlein. Petrus lief hin zum
Grabe, und sahe da nichts als die leinen Tücher, aber es nahm ihn doch
Wunder, wie das zuginge. Da die beiden wandernden Jünger den übrigen
Aposteln sagten, wie Jesus mit ihnen auf dem Wege gewandelt und gesprochen
hätte, und hernach verschwunden wäre, glaubten sie ihnen
auch nicht. Als Jesus schon allen Jüngern erschienen war, wollte es doch
Thomas auf ihr Wort nicht glauben, bis er seine Hände in Jesu Nägelmal
und Seite gelegt hätte. Ja, wie ihnen Jesus erschien in Galiläa, welches,
nach Johannis Aussage, schon das drittemal war, daß Jesus sich den
sämtlichen Aposteln offenbaret, so waren noch etliche unter ihnen, die
da zweifelten. Sind nun die sämtlichen Apostel, die doch Jesus vorgängige
Wunder und Verkündigung gesehen und gehöret hatten, und ihn
nun zum öftern klar und deutlich vor Augen sahen, mit ihm redeten und
aßen, ihn befühlten und betasteten, dennoch in einer so wichtigen Begebenheit
voller Unglauben und Zweifel gewesen: wie viel weniger ist es
uns heutiges Tages zu verdenken, daß wir eine Weile ungläubig sind und
zweifeln: da wir von allen diesem mit unsern Sinnen gar keine Erfahrung
bekommen, sondern alles nach 1700 Jahren aus den Urkunden einiger
wenigen Zeugen holen müssen. Und da ist das einzige, was uns jetzt
vernünftiger Weise zu tun übrig bleibt, daß wir, in Ermangelung eigener
Erfahrung, erwägen, ob die uns überbliebene Zeugnisse übereinstimmen.
Oder wollen etwa die Evangelisten und Apostel mit ihrer Behutsamkeit
so viel sagen (wie es fast scheinet): Wir haben die Auferstehung
Jesu so genau untersuchet, als immer ein Ungläubiger und Zweifler tun
kann: so könnet ihr uns nunmehr ohne neue Untersuchung und Bedenken
sicher trauen? Gewiß, dieses wäre eine unbillige Forderung. Sie selbst
wollten ihres Meisters Verkündigung, Wunder, ja sichtliche und offenbare
Erscheinung so lange in Zweifel ziehen: und wir sollten nicht befugt
sein, die Wahrheit ihrer schriftlichen Nachrichten, worauf wir alles müssen
ankommen lassen, so ferne zu prüfen, daß wir sehen, ob ihr Zeugnis
übereinstimme? Nein, wir haben schon gar zu viele vorhergehende
Beweise in Händen, damit sich ihr neues nach Jesu Tode erfundenes
Systema verraten, als daß wir ihnen in der Haupt-Sache, worauf ihr ganzes
Systema gebauet ist, nicht genau aufmerken sollten.
Das erste, was wir bei der Zusammenhaltung der vier Evangelisten
bemerken, ist, daß ihre Erzählung fast in allen und jeden Punkten der
Begebenheit, so sehr von ein ander abgehet, und immer bei dem einen
anders lautet, wie bei dem andern. Ob nun gleich dieses unmittelbar keinen
Widerspruch anzeiget, so ist es doch auch gewiß keine einstimmige
Erzählung zumal da sich die Verschiedenheit in den wichtigsten Stücken
der Begebenheit äußert. Und bin ich gewiß versichert, wenn heutiges
Tages vor Gerichte über eine Sache vier Zeugen besonders abgehöret würden,
und ihre Aussage wäre in allen Umständen so weit von einander unterschieden,
als unsrer vier Evangelisten ihre: es würde wenigstens der
Schluß herauskommen, daß auf dergleichen variierenden Zeugen Aussage
nichts zu bauen sei. Hier kommt es auf die Wahrheit der Auferstehung
Jesu an, und so fern diese aus der bloßen Aussage von Zeugen sollte
beurteilet werden, so ward in ihrem Zeugnisse eine Übereinstimmung erfordert,
wer ihn gesehen, wo und wie oft man ihn gesehen, was er inzwischen
geredet und getan, und was endlich aus ihm geworden sei. Wie
lautet nun die Aussage davon bei den vier Evangelisten? 1) Beim Johanne
gehet Maria Magdalena allein zum Grabe, beim Matthäo Maria Magdalena
und die andere Maria: beim Marco Maria Magdalena, Maria Jacobi
und Salome: beim Luca, Maria Magdalena, Johanna und Maria
Jacobi, und andere mit ihnen. 2) Mattäus sagt bloß, die Maria sei dahin
gegangen, das Grab zu besehen: Marcus, daß sie kämen und salbeten
ihn: Lucas, daß sie die Specerei getragen, welche sie bereitet hatten:
Johannes sagt gar nichts, warum Maria dahingegangen. 3) Nach Matthäi, Marci
und Lucae Erzählung wäre diese Maria nur einmal zum Grabe
gekommen, und hätte sogleich einen Engel da gesehen: aber in
Johannis Geschichte kommt sie zweimal dahin: das erste mal, ohne einen
Engel gesehen zu haben, da sie wieder weglauft und Petro sagt: sie haben
den Herrn weggenommen: und das andere mal, wie sie wiederkömmt
und dann den Engel siehet. 4) Petrus und Johannes sollen auch früh zum
Grabe gelaufen sein, wie Johannes meldet: aber die übrigen Evangelisten
melden nichts davon. 5) Die Rede des Engels beim Matthäo und Marco
hält in sich: sie sollten sich nicht fürchten, Jesus sei auferstanden, sie
sollten das seinen Jüngern sagen, und daß er vor ihnen hingehen würde in
Galiläam. Im Luca aber stehet nichts davon, sondern statt dessen:
Gedenket daran, wie er euch saget, da er noch in Galiläa war, und
sprach, des Menschen Sohn muß überantwortet werden in die Hände der
Sünder, und gekreuzigt werden, und am dritten Tage auferstehen. Beim
Johanne sprechen die Engel gar nichts, als dieses zur Maria: Weib, was
weinest du? 6) Die Reden Jesu zur Maria Magdalena auf dem Weg lauten
beim Matthäo so: Seid gegrüßet: fürchtet euch nicht, gehet hin, und
verkündiget es meinen Brüdern, daß sie gehen in Galiläam, daselbst werden
sie mich sehen. Johannes hingegen erzählt, er habe zur Maria Magdalena
gesagt: Weib, warum weinest du? Maria! rühre mich nicht an, denn ich bin
noch nicht aufgefahren zu meinem Vater: gehe aber hin zu meinen Brüdern,
und sage ihnen, ich fahre auf zu meinem Vater und zu eurem Vater,
zu meinem Gott und zu eurem Gott. 7) Matthäus und Johannes erwähnen
nichts von der Erscheinung Jesu den zween Jüngern auf dem Wege
nach Emaus, deren Marcus und Lucas gedenken. 8) Matthäus saget nichts
davon, daß Jesus seinen Jüngern in Jerusalem erschienen sei, sondern
daß solches einmal geschehen in Galiläa, und daß noch etliche Jünger
daran gezweifelt, ob er es wäre. Marcus und Lucas hingegen wissen
nichts von der Galiläischen Erscheinung, sondern bloß von der einen zu
Jerusalem. Johannes aber gedenket zweier Erscheinungen in Jerusalem,
acht Tage nach einander; die Galiläische aber erzählt er als dritte, mit
ganz andern Umständen. 9) Die Reden, welche Jesus an die Jünger soll
gehalten haben, sind sehr unterschieden bei den Evangelisten, welches
umständlich zu zeigen, viel zu weitläuftig wäre. Jedoch ist insonderheit
zu merken, daß Jesus beim Luca nicht saget, daß sie die bekehrten taufen
sollten, wie Matthäus und Marcus berichten, sondern nur, daß sie Buße
und Vergebung der Sünden predigen sollten. Beim Johanne aber sagt
Jesus den Jüngern gar nichts weder vom Predigen, noch vom Taufen;
sondern er spricht allein zu Petro: hast du mich lieb, so weide meine
Schafe. 10) Marcus und Lucas, die doch Jesum nicht selber gesehen haben,
berichten seine Himmelfahrt. Aber Matthäus und Johannes, als
Jünger, die Jesum selber wollen gesehen haben, schweigen von diesem
wichtigen Punkte ganz und gar. Jesus spricht bei ihnen mit seinen Jüngern;
dann weiß man weiter von ihm nicht, wo er geblieben: ihre Erzählung
ist zu Ende. Johannes hat zwar noch so vieles auf seinem Herzen,
was Jesus getan habe, daß, wenn alles sollte in Büchern beschrieben werden,
dieselben Bücher in der Welt nicht Raum haben mögten: allein mich
dünkt, die paar Zeilen von seiner Himmelfahrt hätten doch noch wohl
ein Räumchen darin gefunden und statt der ungeheuren Hyperbole verdienet.
Zeugen, die bei ihrer Aussage in den wichtigsten Umständen so sehr
variieren, würden in keinen weltlichen Händeln, wenn es auch nur bloß
auf ein wenig Geld einer Person ankäme, als gültig und rechtsbeständig
erkannt werden, so daß der Richter sich auf ihre Erzählung sicher gründen,
und den Spruch darauf bauen könnte: Wie kann man denn begehren,
daß, auf die Aussage von solchen vier variierenden Zeugen, die ganze
Welt, das ganze menschliche Geschlecht zu allen Zeiten, und aller Orten,
ihre Religion, Glauben und Hoffnung zur Seligkeit gründen soll? Allein
es bleibet auch nicht einmal bei der Verschiedenheit ihrer Erzählung: sie
widersprechen sich unleugbar in vielen Stellen, und machen den guten
Auslegern, die dieses Tetrachordon zu einer bessern Einstimmung bringen
wollen, viel vergebliche Marter. Ich will nur zehen dergleichen ganz
offenbare Widersprüche anführen, ungeachtet derselben weit mehrere
sind.
(Beginn des fünften Fragments aus den von Lessing 1774-78 veröffentlichten 'Papieren eines Ungenannten')
ZUM TODESTAG DES AUFKLÄRERS
Über den Autor (1694-1768)
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