Samstag, 28. Februar 2015

Berthold Auerbach: Spinoza. Ein Denkerleben

»Ist also Gott?« fragte Olympia.

»Nur Gott ist, der Begriff Gottes schließt das Sein ebenso notwendig in sich, als der Begriff eines Dreiecks in sich schließt, daß die drei Winkel gleich seien zwei rechten.«

»Können wir also von Gott einen ebenso klaren Begriff haben als von einem Dreieck?«

»Fragen Sie, ob wir von Gott einen ebenso klaren Begriff haben können als von einem Dreieck, so antworte ich mit ja; fragen Sie, ob wir ein so klares Bild von ihm haben können als von einem Dreieck, so antworte ich mit nein. Denn wir können uns Gott nicht bildlich vorstellen, sondern nur denkend erkennen. Er ist die Unendlichkeit aller Eigenschaften als eines gedacht, wir erkennen ihn aber nur aus einzelnen Manifestationen, die wir auf ihn als den Mittelpunkt zurückführen; diesen Mittelpunkt selber aber als solchen können wir nicht erfassen, und ihn nicht durch eine Vorstellung vollkommen erschöpfend dartun. Die Worte: einer und einzig, mit denen man Gott als die allein bestehende Substanz bezeichnen könnte, sind immer noch aus menschlichen Vorstellungsarten genommen. Gott ist eine inkommensurable Größe, die keine Beziehung zu einer anderen haben kann, weil nichts außer ihr ist; ›einer und einzig‹, wenn auch bloß in ihrer Ausschließlichkeit gefaßt, setzen doch noch immer ein Verhältnis zu einem anderen voraus.«

»Steht also Gott auch in keinem Verhältnis zu Natur und Geschichte?«

»Nichts ist, was nicht in ihm und aus ihm ist, alles was geschieht, tut er, alles was ist, ist er; es wandelt nur die Form, das Ewige, Unendliche ist stets dasselbe.«

»O, das ist herrlich,« rief Olympia. »Die reine kindliche Freude an der Natur mit ihren versteckten lachenden Gottheiten, wie sie die Alten hatten, vermählt sich hierin so schön mit jenem Schauerlichen, Kniebeugenden, das Juden und Christen bei ihrer Naturbetrachtung haben; in uns selbst wohnt Gott, von den Purpurlippen der Rose, aus den bescheidenen Augen des Veilchens, in den schmelzenden Tönen der Nachtigall spricht derselbe Geist, der auch in mir wohnt, sie kennen und sehen und hören mich, wie ich sie sehe, wir sind eins. Ja, ich glaube, daß auch die unbelebten Gegenstände das haben, was wir ein eigenes Leben, eine Seele nennen und nicht fassen können. Ein ungeschickter Stümper kann eine Flöte verblasen, wie man es nennt, sie gibt den Ton nicht mehr rein und man merkt auch nicht die kleinste Veränderung an dem Stoffe, ihre Psyche ist verletzt; nur ein geschickter Meister kann durch bedachtsame gerechte Behandlung ihr wieder den rechten Ton entlocken, und man merkt wiederum keine Veränderung an dem Stoffe. Ach, und eine Menschenseele kann gerade so verstimmt werden, und sie freut sich, wenn ihr wieder der rechte Ton entlockt wird.«

(Aus dem Kapitel 'Pantheismus' des 1837 erschienenen Romans)

ZUM TODESTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1812-1882)

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