»Ist also Gott?« fragte Olympia.
»Nur Gott ist, der Begriff Gottes schließt das Sein ebenso
notwendig in sich, als der Begriff eines Dreiecks in sich schließt, daß
die drei Winkel gleich seien zwei rechten.«
»Können wir also von Gott einen ebenso klaren Begriff haben als von einem Dreieck?«
»Fragen Sie, ob wir von Gott einen ebenso klaren Begriff haben
können als von einem Dreieck, so antworte ich mit ja; fragen Sie, ob wir
ein so klares Bild von ihm haben können als von einem Dreieck, so
antworte ich mit nein. Denn wir können uns Gott nicht bildlich
vorstellen,
sondern nur denkend erkennen. Er ist die Unendlichkeit aller
Eigenschaften als eines gedacht, wir erkennen ihn aber nur aus einzelnen
Manifestationen, die wir auf ihn als den Mittelpunkt zurückführen;
diesen Mittelpunkt selber aber als solchen können wir nicht erfassen,
und ihn nicht durch eine Vorstellung vollkommen erschöpfend dartun. Die
Worte: einer und einzig, mit denen man Gott als die allein bestehende
Substanz bezeichnen könnte, sind immer noch aus menschlichen
Vorstellungsarten genommen. Gott ist eine inkommensurable Größe, die
keine Beziehung zu einer anderen haben kann, weil nichts außer ihr ist;
›einer und einzig‹, wenn auch bloß in ihrer Ausschließlichkeit gefaßt,
setzen doch noch immer ein Verhältnis zu einem anderen voraus.«
»Steht also Gott auch in keinem Verhältnis zu Natur und Geschichte?«
»Nichts ist, was nicht in ihm und aus ihm ist, alles was
geschieht, tut er, alles was ist, ist er; es wandelt nur die Form, das
Ewige, Unendliche ist stets dasselbe.«
»O, das ist herrlich,« rief Olympia. »Die reine kindliche Freude
an der Natur mit ihren versteckten lachenden Gottheiten, wie sie die
Alten hatten, vermählt sich hierin so schön mit jenem Schauerlichen,
Kniebeugenden, das Juden und Christen bei ihrer Naturbetrachtung haben;
in uns selbst wohnt Gott, von den Purpurlippen der Rose, aus den
bescheidenen Augen des Veilchens, in den schmelzenden Tönen der
Nachtigall spricht derselbe Geist, der auch in mir wohnt, sie kennen und
sehen und hören mich, wie ich sie sehe, wir sind eins. Ja, ich glaube,
daß auch die unbelebten Gegenstände das haben, was wir ein eigenes
Leben, eine Seele nennen und nicht fassen können. Ein ungeschickter
Stümper kann eine Flöte verblasen, wie man es nennt, sie gibt den Ton
nicht mehr rein und man merkt auch nicht die kleinste Veränderung an dem
Stoffe, ihre Psyche ist verletzt; nur ein geschickter Meister kann
durch bedachtsame gerechte Behandlung ihr wieder den rechten Ton
entlocken, und man merkt wiederum keine Veränderung an dem Stoffe. Ach,
und eine Menschenseele kann gerade so verstimmt werden, und sie freut
sich, wenn ihr wieder der rechte Ton entlockt wird.«
(Aus dem Kapitel 'Pantheismus' des 1837 erschienenen Romans)
ZUM TODESTAG DES SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1812-1882)
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