Da meine Arbeit auf mehrere Wochen unterbrochen werden muss, gestatte
ich mir im Folgenden einige neue Ergebnisse schon jetzt mitzutheilen.
18. Zur Zeit meiner ersten Publication war mir bekannt, dass die
X-Strahlen im Stande sind, electrische Körper zu entladen, und ich
vermuthe, dass es auch die X-Strahlen und nicht die von dem
Aluminiumfenster seines Apparates unverändert durchgelassenen
Kathodenstrahlen gewesen sind, welche die von Lenard beschriebene
Wirkung auf entfernte electrische Körper ausgeübt haben. Mit der
Veröffentlichung meiner Versuche habe ich aber gewartet, bis ich in der
Lage war, einwurfsfreie Resultate mitzutheilen.
Solche lassen sich wohl nur dann erhalten, wenn man die Beobachtungen
in einem Raum anstellt, der nicht nur vollständig gegen die von der
Vacuumröhre, den Zuleitungsdrähten, dem Inductionsapparat etc.
ausgehenden electrostatischen Kräfte geschützt ist, sondern der auch
gegen Luft abgeschlossen ist, welche aus der Nähe des
Entladungsapparates kommt.
Ich liess mir zu diesem Zweck aus zusammengelötheten Zinkblechen einen
Kasten anfertigen, der gross genug ist, um mich und die nöthigen
Apparate aufzunehmen, und der bis auf ein durch eine Zinkthüre
verschliessbare Oeffnung überall luftdicht verschlossen ist. Die der
Thüre gegenüber liegende Wand ist zu einem grossen Theil mit Blei
belegt; an einer dem ausserhalb des Kastens aufgestellten
Entladungsapparat nahe gelegenen Stelle wurde die Zinkwand mit der
darüber gelegten Bleiplatte in einer Weite von 4 cm ausgeschnitten, und
die Oeffnung ist mit einem dünnen Aluminiumblech wieder luftdicht
verschlossen. Durch dieses Fenster können die X-Strahlen in den
Beobachtungskasten eindringen.
Ich habe nun Folgendes wahrgenommen:
a) In der Luft aufgestellte, positiv oder negativ electrisch geladene
Körper werden, wenn sie mit X-Strahlen bestrahlt werden, entladen und
zwar desto rascher, je intensiver die Strahlen sind. Die Intensität der
Strahlen wurde nach ihrer Wirkung auf einen Fluorescenzschirm oder auf
eine photographische Platte beurtheilt.
Es ist im Allgemeinen gleichgültig, ob die electrischen Körper Leiter
oder Isolatoren sind. Bis jetzt habe ich auch keinen specifischen
Unterschied in dem Verhalten der verschiedenen Körper bezüglich der
Geschwindigkeit der Entladung gefunden; ebensowenig in dem Verhalten von
positiver und negativer Electricität. Doch ist es nicht ausgeschlossen,
dass geringe Unterschiede bestehen.
b) Ist ein electrisirter Leiter nicht von Luft sondern von einem
festen Isolator z. B. Paraffin umgeben, so bewirkt die Bestrahlung
dasselbe, wie das Bestreichen der isolirenden Hülle mit einer zur Erde
abgeleiteten Flamme.
c) Ist diese isolirende Hülle von einem eng anliegenden, zur Erde
abgeleiteten Leiter umschlossen, welcher wie der Isolator für X-Strahlen
durchlässig sein soll, so übt die Bestrahlung auf den inneren,
electrisirten Leiter keine mit meinen Hülfsmitteln nachweisbare Wirkung
aus.
d) Die unter a, b, c mitgetheilten Beobachtungen deuten darauf hin,
dass die von den X-Strahlen bestrahlte Luft die Eigenschaft erhalten
hat, electrische Körper, mit denen sie in Berührung kommt, zu entladen.
e) Wenn sich die Sache wirklich so verhält, und wenn ausserdem die
Luft diese Eigenschaft noch einige Zeit behält, nachdem sie den
X-Strahlen ausgesetzt war, so muss es möglich sein, electrische Körper,
welche selbst nicht von den X-Strahlen getroffen werden, dadurch zu
entladen, dass man ihnen bestrahlte Luft zuführt.
In verschiedener Weise kann man sich davon überzeugen, dass diese
Folgerung in der That zutrifft. Eine, wenn auch nicht die einfachste,
Versuchsanordnung möchte ich mittheilen.
Ich benutzte eine 3 cm weite, 45 cm lange Messingröhre; in einigen
Centimeter Entfernung von dem einen Ende ist ein Theil der Röhrenwand
weggeschnitten und durch ein dünnes Aluminiumblech ersetzt; am anderen
Ende ist unter luftdichtem Abschluss eine an einer Metallstange
befestigte Messingkugel isolirt in die Röhre eingeführt. Zwischen der
Kugel und dem verschlossenen Ende der Röhre ist ein Seitenröhrchen
angelöthet, das mit einer Saugvorrichtung in Verbindung gesetzt werden
kann; wenn gesaugt wird, so wird die Messingkugel umspült von Luft, die
auf ihrem Wege durch die Röhre an dem Aluminiumfenster vorüber gegangen
ist. Die Entfernung vom Fenster bis zur Kugel beträgt über 20 cm.
Diese Röhre stellte ich im Zinkkasten so auf, dass die X-Strahlen
durch das Aluminiumfenster der Röhre, senkrecht zur Axe derselben
eintreten konnten, die isolirte Kugel lag dann ausserhalb des Bereiches
dieser Strahlen, im Schatten. Die Röhre und der Zinkkasten waren leitend
mit einander, die Kugel mit einem Hankel’schen Electroskop verbunden.
Es zeigte sich nun, dass eine der Kugel mitgetheilte Ladung (positive
oder negative) von den X-Strahlen nicht beeinflusst wurde, so lange die
Luft in der Röhre in Ruhe blieb, dass
die Ladung aber sofort beträchtlich abnahm, wenn durch kräftiges Saugen
bestrahlte Luft der Kugel zugeführt wurde. Erhielt die Kugel durch
Verbindung mit Accumulatoren ein constantes Potential, und wurde
fortwährend bestrahlte Luft durch die Röhre gesaugt, so entstand ein
electrischer Strom, wie wenn die Kugel mit der Röhrenwand durch einen
schlechten Leiter verbunden gewesen wäre.
f) Es fragt sich, in welcher Weise die Luft die ihr von den
X-Strahlen mitgetheilte Eigenschaft wieder verlieren kann. Ob sie sie
von selbst, d. h. ohne mit anderen Körpern in Berührung zu kommen, mit
der Zeit verliert, ist noch unentschieden. Sicher dagegen ist es, dass
eine kurz dauernde Berührung mit einem Körper von grosser Oberfläche,
der nicht electrisch zu sein braucht, die Luft unwirksam machen kann.
Schiebt man z. B. einen genügend dicken Pfropf aus Watte in die Röhre so
weit ein, dass die bestrahlte Luft die Watte durchstreichen muss, bevor
sie zu der electrischen Kugel gelangt, so bleibt die Ladung der Kugel
auch beim Saugen unverändert.
Sitzt der Pfropf an einer Stelle, die vor dem Aluminiumfenster liegt,
so erhält man dasselbe Resultat wie ohne Watte: ein Beweis, dass nicht
etwa Staubtheilchen die Ursache der beobachteten Entladung sind.
Drahtgitter wirken ähnlich wie Watte; doch muss das Gitter sehr eng
sein, und viele Lagen müssen über einander gelegt werden, wenn die
durchgestrichene, bestrahlte Luft unwirksam sein soll. Sind diese Gitter
nicht, wie bisher angenommen, zur Erde abgeleitet, sondern mit einer
Electricitätsquelle von constantem Potential verbunden, so habe ich
immer das beobachtet, was ich erwartet hatte; doch sind diese Versuche
noch nicht abgeschlossen.
g) Befinden sich die electrischen Körper statt in Luft in trocknem
Wasserstoff, so werden sie ebenfalls durch die X-Strahlen entladen. Die
Entladung in Wasserstoff schien mir etwas langsamer zu verlaufen, doch
ist diese Angabe noch unsicher wegen der Schwierigkeit, bei aufeinander
folgenden Versuchen gleiche Intensität der X-Strahlen zu erhalten.
Die Art und Weise der Füllung der Apparate mit Wasserstoff dürfte die
Möglichkeit ausschliessen, dass die anfänglich auf der Oberfläche der
Körper vorhandene verdichtete Luftschicht bei der Entladung eine
wesentliche Rolle gespielt hätte.
h) In stark evacuirten Räumen findet die Entladung eines direct von
den X-Strahlen getroffenen Körpers viel langsamer – in einem Fall z. B.
ca. 70mal langsamer – statt, als in denselben Gefässen, welche mit Luft
oder Wasserstoff von Atmosphärendruck gefüllt sind.
i) Versuche über das Verhalten einer Mischung von Chlor und
Wasserstoff unter dem Einfluss der X-Strahlen sind in Angriff genommen.
j) Schliesslich möchte ich noch erwähnen, dass die Resultate von
Untersuchungen über die entladende Wirkung der X-Strahlen, bei welchen
der Einfluss des umgebenden Gases unberücksichtigt blieb, vielfach mit
Vorsicht aufzunehmen sind.
19. In manchen Fällen ist es vortheilhaft, zwischen den die
X-Strahlen liefernden Entladungsapparat und den Ruhmkorff einen
Tesla’schen Apparat (Condensator und Transformator) einzuschalten. Diese
Anordnung hat folgende Vorzüge: erstens werden die Entladungsapparate
weniger leicht durchschlagen und weniger warm; zweitens hält sich das
Vacuum, wenigstens bei meinen selbstangefertigten Apparaten, längere
Zeit, und drittens liefern manche Apparate intensivere X-Strahlen. Bei
Apparaten, die zu wenig oder zu stark evacuirt waren, um mit dem
Ruhmkorff allein gut zu functioniren, leistete die Anwendung des
Tesla’schen Transformators gute Dienste.
Es liegt die Frage nahe – und ich gestatte mir deshalb sie zu
erwähnen, ohne zu ihrer Beantwortung vorläufig etwas beitragen zu können
– ob auch durch eine continuirliche Entladung mit constant bleibendem
Entladungspotential X-Strahlen erzeugt werden können; oder ob nicht
vielmehr Schwankungen dieses Potentials zum Entstehen derselben durchaus
erforderlich sind.
20. In § 13 meiner ersten Veröffentlichung ist mitgetheilt, dass die
X-Strahlen nicht blos in Glas sondern auch in Aluminium entstehen
können. Bei der Fortsetzung der Untersuchung nach dieser Richtung hin
hat sich kein fester Körper ergeben, welcher nicht im Stande wäre, unter
dem Einfluss der Kathodenstrahlen X-Strahlen zu erzeugen. Es ist mir
auch kein Grund bekannt geworden, weshalb sich flüssige und gasförmige
Körper nicht ebenso verhalten würden.
Quantitative Unterschiede in dem Verhalten der verschiedenen Körper
haben sich dagegen ergeben. Lässt man z. B. die Kathodenstrahlen auf
eine Platte fallen, deren eine Hälfte aus einem 0,3 mm dicken
Platinblech, deren andere Hälfte aus einem 1 mm dicken Aluminiumblech
besteht, so beobachtet man an dem mit der Lochcamera aufgenommenen
photographischen Bild dieser Doppelplatte, dass das Platinblech auf der
von den Kathodenstrahlen getroffenen (Vorder-)Seite viel mehr X-Strahlen
aussendet, als das Aluminiumblech auf der gleichen Seite. Von der
Hinterseite dagegen gehen vom Platin so gut wie gar keine, vom Aluminium
aber relativ viel X-Strahlen aus. Letztere Strahlen sind in den
vorderen Schichten des Aluminiums erzeugt und durch die Platte hindurch
gegangen.
Man kann sich von dieser Beobachtung leicht eine Erklärung
verschaffen, doch dürfte es sich empfehlen, vorher noch weitere
Eigenschaften der X-Strahlen zu erfahren.
Zu erwähnen ist aber, dass der gefundenen Thatsache auch eine
praktische Bedeutung zukommt. Zur Erzeugung von möglichst intensiven
X-Strahlen eignet sich nach meinen bisherigen Erfahrungen Platin am
besten. Ich gebrauche seit einigen Wochen mit gutem Erfolg einen
Entladungsapparat, bei dem ein Hohlspiegel aus Aluminium als Kathode,
ein unter 45° gegen die Spiegelaxe geneigtes, im Krümmungscentrum
aufgestelltes Platinblech als Anode fungirt.
21. Die X-Strahlen gehen bei diesem Apparat von der Anode aus. Wie
ich aus Versuchen mit verschieden geformten Apparaten schliessen muss,
ist es mit Rücksicht auf die Intensität der X-Strahlen gleichgültig, ob
die Stelle, wo diese Strahlen erzeugt werden, die Anode ist oder nicht.
Speciell zu den Versuchen mit den Wechselströmen des Tesla’schen
Transformators wird ein Entladungsapparat angefertigt, bei dem beide
Electroden Aluminiumhohlspiegel sind, deren Axen mit einander einen
rechten Winkel bilden; im gemeinschaftlichen Krümmungscentrum ist eine
die Kathodenstrahlen auffangende Platinplatte angebracht. Ueber die
Brauchbarkeit dieses Apparates soll später berichtet werden.
(Am 9. März 1896 abgeschlossene zweite Mitteilung)
ZUM TODESTAG DES PHYSIKERS
Über den Autor (1845-1923)
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