Dienstag, 17. Februar 2015

Friedrich Maximilian Klinger: Betrachtungen und Gedanken über verschiedene Gegenstände der Welt und der Literatur

Ich kenne keine andern Menschenfeinde als die tätigen, bedeutende Rollen spielenden Männer, welche die Menschen zu allen ihren Absichten wie dazu geschaffene Werkzeuge brauchen und mißbrauchen, gleichviel, wie es diesen Werkzeugen bekomme. Was man gewöhnlich Menschenfeinde nennt, sind Menschenscheuende und sie Fürchtende, die sich gern, um sich gegen alles Anstoßen zu sichern, wie die Schnecken in ihre Häuser verkröchen und einmauerten, wenn sie nur die Natur wie diese mit dem dazugehörigen Leim versehen hätte und sie ohne Luft leben könnten. Auch zählt man die galligten Humoristen dazu; aber diesen genügt das Poltern, Schelten und die Sarkasmen über die Schlechtigkeit der Gattung. Der wahre Menschenfeind glänzt und prangt in den Gesellschaften und ist der beredteste Lobredner der Menschen, die er so gut zu benutzen weiß. Er pfeift den Vögeln die Melodie vor, die sie am liebsten hören, um sie in das Garn zu locken, und singt sie ihnen dann noch vor, wenn er sie erwürgt. So preist der Prediger den Verstorbenen am Grabe hochselig, den er mit unzeitigen Vorspiegelungen von jenem Leben vor der Zeit hineingejagt hat.

(Aphorismus aus dem Jahre 1802/03)

ZUM GEBURTSTAG DES DICHTERS

Über den Autor (1752-1831)

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