Montag, 23. Februar 2015

Friederike Kempner: Atheismus

Es gleitet das Schiff durch pechschwarze Klippen,
Schon gähnt es der bannende Abgrund an, –
O wollte die Mannschaft den Himmel erblicken, –
Der Himmel allein sie erretten kann.

Nichts and'res kann retten – sonst hüllen die Sterne
Euch weinend das Haupt und strahlen euch nicht –
Und Wetterwolken bedecken am Tage
Der heitern Sonne weitreichendes Licht. –

Auch außer dem Meere, im eigenen Herzen
Beginne der Kampf um das Ja und das Nein
Um Höhe und Tiefe, um Helle und Dunkel,
Um höheres oder niederes Sein. –

Um Leben für immer, um Sterben für immer –
Um ewigen Unsinn und ewigen Zweck –
Verlöscht nicht das Licht bei der finsteren Brandung –
Das Schiff uns'rer armen Menschheit ist leck.

(Aus der 8. Auflage 'meiner Gedichte' von 1903)

ZUM TODESTAG DER DICHTERIN

Über die Autorin (1828-1904)

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen