Nachdem mir eröffnet wurde, dass mein Bruder Hans Scholl sich
entschlossen hat, der Wahrheit die Ehre zu geben und von den
Beweggründen unserer Handlungsweise ausgehend die reine Wahrheit zu
sagen, will auch ich nicht länger an mich halten all das was ich von
dieser Sache weiß zum Protokoll zu geben. Nochmals eingehend zur
Wahrheit ermahnt habe ich das folgende Geständnis abzulegen:
Es war unsere Überzeugung, dass der Krieg für Deutschland
verloren ist, und dass jedes Menschenleben das für diesen verlorenen
Krieg geopfert wird, umsonst ist. Besonders die Opfer die Stalingrad
forderte bewogen uns, etwas gegen dieses unserer Ansicht nach sinnlose
Blutvergießen zu unternehmen.
Die ersten Gespräche die sich mit diesem Problem befassten,
fanden im Sommer 1942 zwischen meinem Bruder und mir statt. Eine
Möglichkeit diesem Lauf der Dinge entgegenwirken zu können, fanden wir
vorläufig nur in einer Auseinandersetzung mit unseren ernstzunehmenden
Bekannten über das, was uns am tiefsten bewegte. Sehr bald mussten mein
Bruder und ich einsehen, dass durch dieses Vorgehen unsererseits
eigentlich nichts getan sei, das geeignet sein könnte den Krieg auch nur
um einen Tag abzukürzen. Bei der gegenseitigen Aussprache mit meinem
Bruder kamen wir schließlich im Juli vorigen Jahres überein, Mittel und
Wege zu finden auf die breite Volksmasse in unserem Sinne einzuwirken.
Es tauchte damals auch der Gedanke auf Flugblätter zu verfassen,
herzustellen und zu verbreiten, ohne die Verwirklichung dieses Planes
schon ins Auge zu fassen. Ob der Gedanke der Flugblattherstellung von
meinem Bruder oder mir ausging, weiss ich heute nicht mehr genau.
Etwa im Juni 1942 haben wir Alexander Schmorell, mit dem wir
schon seit längerem befreundet sind und den wir gesinnungsmäßig für
zugänglich hielten, ins Vertrauen gezogen. Hier möchte ich erwähnen,
dass der Vater des Schmorell Deutsch-Russe und seine Mutter Russin ist
(letztere ist bereits gestorben). Vor Ausbruch des Krieges gegen
Sowjetrussland war Schmorell politisch vollkommen uninteressiert. Erst
später d.h. nach Beginn der Feindseligkeiten mit Russland begann er sich
für den Verlauf des Krieges zu interessieren, besonders für die
militärischen Ereignisse. Schmorell hängt mit großer Liebe an Russland,
obwohl seine Eltern seinerzeit auf Russland flüchten mussten, nach
Deutschland emigrierten, hier die deutsche Staatsangehörigkeit erwarben,
die auch der Sohn Schmorell heute besitzt. Wenn er auch innerlich ein
absoluter Gegner des Bolschewismuses ist, hegt er dennoch Gefühle für
sein Vaterland, das ihn in politischer Hinsicht unsicher macht. Bei den
ersten Besprechungen mit Schmorell, hat dieser verschiedene Einwände
gegen unsere Pläne erhoben indem er darauf hinwies, das gäbe sich alles
von selbst und bedürfe keines Zutuns. Wenn Schmorell sich schließlich
bereit erklärte mit uns der Verwirklichung unserer Pläne näher zu
treten, dann in erster Linie deshalb, weil er politisch nicht nüchtern
genug denkt und sehr begeisterungsfähig ist.
Nach vielen und langen Unterredungen über dieses Thema zwischen
meinem Bruder und mir, reifte im Dezember 1942 bei uns der Entschluss,
ein Flugblatt zu verfassen in größerer Zahl herzustellen und zu
verbreiten. Schmorell hat wohl um diese Zeit von unserem feststehenden
Plan gewusst, trat jedoch aktiv nicht in Erscheinung, sondern war
vielmehr zuerst Mitwisser und Zuhörer.
Das erste Flugblatt mit der Überschrift "Flugblätter der
Widerstandsbewegung in Deutschland. Aufruf an alle Deutsche!" und dem
Schlussatz "Unterstützt die Widerstandsbewegung, verbreitet die
Flugblätter!", hat mein Bruder zusammen mit mir verfasst und zwar kurz
nach Neujahr 1943. Der Text des Flugblattes in Form eines Probeentwurfs
auf der Schreibmaschine haben wir "Alex" gezeigt, der den Inhalt hinnahm
ohne irgendwelche Ergänzungs- oder Abänderungsvorschläge zu machen.
Nachdem die Sache soweit gediehen war, bestand die nächstliegende
Aufgabe darin das nötige Abzugspapier, Briefumschläge und Matrizen
beizuschaffen. Mein Bruder und ich machten uns auf den Weg und kauften
in den hiesigen Papierwarengeschäften zusammen etwa 10 000 Blatt
Abzugspapier, ferner zusammen etwa rund 2 000 Briefumschläge. Weiter hat
mein Bruder bei einem hiesigen Fachgeschäft einen neuen
Vervielfältigungsapparat (Marke unbekannt), zum Preis von RM 200,--
gekauft. Auch die Matrizen, etwa 20 Stück hat mein Bruder gekauft.
Die Matrizen zu den einzelnen Flugblättern hat mein Bruder auf
der Schreibmaschine, die uns "Alex" zur Verfügung stellte, in meinem
Beisein geschrieben. Die Abzüge haben wir dann gemeinsam auf unserem
Vervielfältigungsapparat hergestellt. Die Adressen wurden nur und zwar
ausschl. von meinem Bruder und mir geschrieben. Ich benützte meistens
die Schreibmaschine der Frau Schmidt und schrieb jene Adressen, bei
denen Anrede, Name und Wohnort nicht untereinander, sondern auf dem
Briefumschlag nach rechts abgestuft, niedergeschrieben sind. Mein Bruder
dagegen benützte die Schreibmaschine des "Alex" und schrieb auf den
Umschlägen Anrede, Name und Ort genau untereinander. Die notwendigen
Adressen von Wien, Salzburg, Linz, Augsburg, Stuttgart und Frankfurt
haben in der Hauptsache mein Bruder und ich im Deutschen Museum aus dem
dort aufliegenden Adressbüchern der Städte, Jahrgänge 39-41
herausgeschrieben.
Einmal hat auch "Alex" solche Adressen mit herausgeschrieben.
Die Briefe mit Flugblättern zur Verbreitung in den Städten außerhalb
Münchens, haben wir in einem Zeitraum von etwa 14 Tagen
postversandfertig gemacht und erst dann die Briefe an den einzelnen
Orten aufgegeben. Am 25. Januar 1943 fuhr ich nachmittags um 15 Uhr mit
dem Schnellzug nach Augsburg , wo ich eine Stunde später ankam. In einer
Aktentasche führte ich rund 250 Briefe an in Augsburg wohnende
Adressaten mit. Da etwa 100 dieser Brief nicht frankiert waren kaufte
ich mit beim Bahnpostamt in Augsburg 100 Briefmarken à 8 Pfennig und
habe die unffrankierten Briefe mit Marken versehen und bei der Bahnpost
eingeworfen. Ungefähr die Hälfte der Briefe habe ich in den
Schalterbriefkasten geworfen und die andere Hälfte in den
Hausbriefkasten vor dem Postgebäude.
Danach fuhr ich am gleichen Abend um 20 Uhr 15 von Augsburg
zurück nach München wo ich mit dem um 21 Uhr 6 ankommenden Schnellzug,
eintraf. Am nächsten Vormittag (26.1.43) etwa um 6 Uhr fuhr Schmorell
mit dem Schnellzug über Salzburg, Linz nach Wien und hat auf der Strecke
in Salzburg und Linz die Briefe für diese Städte aufgegeben und
schliesslich in Wien jene für Wien und Frankfurt. Für Salzburg waren
200, für Linz 200, für Wien 1000, für Frankfurt 300 hergerichtet. Nur
die für Frankfurt bestimmten Briefe mussten noch frankiert werden.
Ursprünglich beabsichtigen wir, auch die Frankfurter Briefe aus
Portoersparnisgründen in Frankfurt selbst aufzugeben. Von diesem Plan
kamen wir schliesslich ab, weil wir errechneten, dass das Fahrgeld nach
Frankfurt mehr ausmachte als wir an Porto hätten sparen können, wenn
jemand nach Frankfurt gefahren wäre. Aus diesem Grunde wurden die für
Frankfurt bestimmten Briefe voll frankiert und von "Alex" in Wien
aufgegeben.
Die für Stuttgart bestimmten Briefe zwischen 600 und 700 Stück,
habe ich nach Stuttgart gebracht und dort aufgegeben. Ich fuhr am
Mittwoch, den 27.1. 43 um 16 Uhr 30 mit dem Schnellzug hier ab und traf
um 19.55 Uhr in Stuttgart-Hauptbahnhof ein. Von den in einem kleinen
Koffer mitgeführten Briefen, alle frankiert für den Ortsverkehr, habe
ich noch am Abend des 27.1.43, alsbald nach meiner Ankunft, nicht ganz
die Hälfte zum Teil am Bahnhof und in Stuttgart Süd, in Briefkästen
eingeworfen. Den Rest habe ich am 28.1.43 im Laufe des Tages in den
Vororten von Stuttgart in Briefkästen geworfen. In der Nach vom 27./28.
Hielt ich mich im Wartesaal 2. oder 3. Klasse auf. Übernachtet habe ich
jedenfalls nicht. Sie Rückreise nach München trat ich am 28.1.43 um 23
Uhr 25 an und kam in München am 29.1.43 um 3 Uhr 5 an. Weil um diese
Zeit keine Strassenbahn ging, musste ich den Weg zu meiner Wohnung zu
Fuss zurücklegen.
Wenn ich zuerst, wenn auch nur bei der Unterhaltung, angegeben
habe, bei der Flugblattaktion in München in der Nacht vom 28./29.
Gemeinsam mit meinem Bruder, die hier zur Verbreitung gelangten, etwa
2000 Flugblätter, ausgestreut zu haben, so muss ich zugeben, dass dies
nicht richtig ist, denn in der Nacht v. 28./29. befand ich mich, während
hier in München die Flugblätter ausgestreut wurden, auf dem Wege von
Stuttgart nach München. Die Verbreitung bezw. Ausstreuung der
Flugblätter in München wurde von meinem Bruder und Schmorell
durchgeführt. Wie man mir mitteilte, haben beide abends am 28.1.43 um 11
Uhr mit der Verbreitung begonnen und bis kurz vor 4 Uhr etwa 2000
Flugblätter ausgestreut. Mein Bruder hat angeblich vom Bahnhof aus in
nördlicher Richtung die Flugblätter verteilt, während Schmorell den
südlichen Teil der Stadt bearbeitete.
Nach der mir bekanntgegebenen Beschreibung eines Mannes, etwa 30
bis 35 Jahre alt, etwa 1,70 m gross, schlank, usw. der am Vormittag des
4.2.43 zwischen 7 und 8 Uhr im Hauptpostamt München in der Vorhalle,
Flugblätter der Widerstandsbewegung in Deutschland in dort aufliegende
Telefonverzeichnisse gelegt haben soll, kann ich nur angeben, dass ich
mir nicht denken kann, wer dies gewesen sein könnte, sofern nicht mein
Bruder in Betracht kommt. Mein Bruder ist allerdings größer als 1,70 m,
besitzt keinen grauen Gummimantel mit breitem Kragen und trug noch nie
ein sogen. Lippen- oder Menjouo-Bärtchen. Auch aus meinem übrigen
Bekanntenkreis ist mir niemand bekannt, auf den diese Beschreibung auch
nur annähernd passen könnte.
Ich gebe auch zu, bei meinen Besorgungen in der Stadt, in der
Zeit vom 30.1.- 6.2.43 etwa, in 4 oder 6 Fällen Flugblätter "der
Widerstandsbewegung" in Telefonkabinen, parkenden Autos etc. abgelegt zu
haben. Wo dies im einzelnen war, weiss ich heute nicht mehr. Jedenfalls
führte ich zu dem angegebenen Zweck, bei meinen Gängen durch die Stadt,
jeweils einige Flugblätter in meiner Handtasche bei mir, um
gegebenenfalls bei günstigen Gelegenheiten davon Gebrauch zu machen zu
können.
Der Student Willi Graf, wohnhaft in München, Mandelstr. 1, war
an der Herstellung und Verbreitung der Flugblätter in keiner Wiese
beteiligt. Ich nehme an, dass er von unserer Flugblattaktion Kenntnis
hatte, muss jedoch erwähnen, dass er von mit nicht unterrichtet war. Aus
Bemerkungen von ihm bei gelegentlichen Gesprächen, habe ich
geschlossen, dass er wissen musste und den Umständen nach angenommen
hat, das wir uns mit der Herstellung und Verbreitung von Flugblättern
befassen. An einzelne Bemerkungen solcher Art, kann ich mich heute nicht
mehr erinnern.
In München haben wir neuerdings etwa 1200 Flugblätter mit der
Überschrift "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" in der Zeit vom 6.-15.2.
vervielfältigt, die Briefumschläge bezw. Wurfsendungen mit Anschriften
versehen und versandfertig gemacht. Bei dieser Arbeit hat neben meinem
Bruder und mir Schmorell lediglich beim zukleben der Briefe mitgewirkt.
Den braunen Klebestreifen zum Verschließen der Wurfsendungen hat er zur
Verfügung gestellt und die Wurfsendungen zugeklebt.
Auch bezüglich des Vorgang heute Vormittag in der Universität
München möchte ich nur die Wahrheit sagen, wobei ich bekennen muss, dass
diese Flugblätter durch meinen Bruder und mich in dem, bei meiner
Festnahme sichergestellten Koffer, in die Universität gebracht und dort
ausgestreut wurden. Es handelt sich meiner Schätzung nach um 1500-1800
Flugblätter mit der Überschrift "Kommilitoninnen! Kommilitonen!" und
etwa 50 Stück mit der Überschrift "Aufruf an alle Deutsche!". Diese
Flugblätter transportierten wir zum größten Teil in dem erwähnten
Koffer, aber auch die Aktentasche meines Bruders war mit solchen
Flugblättern angefüllt. Innerhalb des Universitätsgebäudes trug mein
Bruder den Koffer, während ich die Flugblätter an den verschiedensten
Orten ablegte, oder ausstreue.
In meinem Übermut oder meiner Dummheit habe ich den Fehler
begangen, etwa 80 bis 100 solcher Flugblätter vom 2. Stock der
Universität in den Lichthof herunterzuwerfen, wodurch mein Bruder und
ich entdeckt wurden.
Ich war mir ohne weiteres im Klaren darüber, dass unser Vorgehen darauf
abgestellt war, die heutige Staatsform zu beseitigen und dieses Ziel
durch geeignete Propaganda in breiten Schichten der Bevölkerung zu
erreichen. Unsere Absicht war ferner, in geeigneter Weise weiter zu
arbeiten. Wenigstens vorerst und auch für später hatten wir nicht die
Absicht, noch weitere Personen ins Vertrauen zu ziehen und zur aktiven
Mitarbeit zu gewinnen. Dies schon deshalb nicht, weil uns dies zu
gefährlich schien. Gerade diese Frage habe ich vor einiger Zeit mit
meinem Bruder besprochen, kam jedoch nach Abwägung von Vor- und
Nachteilen zu der Überzeugung, dass dies zu gefährlich sein.
Wenn die Frage an mich gerichtet wird, ob ich auch jetzt noch
der Meinung sein, richtig gehandelt zu haben, so muss ich hierauf mit ja
antworten, und zwar aus den Eingangs angegebenen Gründen. Ich bestreite
ganz entschieden, von dritter Seite gemeinsam mit meinem Bruder zu
unserem Vorgehen veranlasst, aufgefordert oder finanziell unterstützt
worden zu sein. Mein Bruder und ich haben vollkommen aus idiellen
Gründen gehandelt und alle entstandenen Unkosten, die sich meiner
Schätzung nach auf ungefähr 800-1000 RM belaufen dürften, aus eigener
Tasche bestritten. Schmorell hat uns zur Durchführung der
Flugblattaktion einen Betrag von 150,-- [bis] 200,-- RM geliehen, den
wir im Laufe der nächsten Monate zurückerstatten wollten.
Den Vervielfältigungsapparat, welcher von meinem Bruder eigens
zum Zweck der Herstellung von Flugblättern gekauft wurde, haben wir vor
14 Tagen oder 3 Wochen in dem Atelier des Kunstmalers Eyckemeir,
Leopoldsstr. 38, Rckg., hinterstellt. Eyckemeir befindet sich z.Zt. als
Architekt in Krakau und hat seit einiger Zeit das Atelier an den
Kunstmaler Wilh. Geyer aus Ulm, Syrlinstr. Nr.?, vermietet. Geyer
übergab uns den Schlüssel zu diesem Atelier um dadurch in die Lage
versetzt zu sein, unseren Freunden und Bekannten einige Bilder
vorzuzeigen die Geyer in diesen Räumen aufgehängt hat. Geyer hat keine
Ahnung davon, dass wir unseren Vervielfältigungsapparat im Keller des
erwähnten Atelier´s hinterstellt haben. Hinzu kommt, dass sich Geyer nur
einige Tage in der Woche zur Arbeit in München aufhält und die andere
Zeit in Ulm tätig ist.
Zum Schlusse möchte ich noch erwähnen, dass unsere Mietgeberin,
Frau Schmidt, gut nationalsozialistisch eingestellt ist und von unserem
Tun und Treiben keinerlei Ahnung hat. Soweit notwendig, bitte ich, der
Frau Schmidt und deren Tochter das Vorgefallene schonend beizubringen,
zumal die Tochter Schmidt sich in gesegneten Umständen befindet und
demnächst der Niederkunft entgegensieht. Ich möchte daher jede Aufregung
bei diesen Leuten vermeiden.
(Geständnis vom 20. Februar 1943, protokolliert von dem Kriminalbeamten Robert Mohr in der Münchener Gestapozentrale)
ZUM TODESTAG DER WIDERSTANDSKÄMPFERIN
Über die Befragte (1922-1943)
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