Shylocks Judentümlichkeit in Ehren gehalten,
diese schöne Moral, die alle ungemünzten Leidenschaften verachtet – ist
doch, sich selbst zum Trotze, etwas Großes, etwas Erhabenes in ihm, das
auf seine eigene Niedrigkeit mit Stolz herabsehen darf. Shylock ist ein
gestiegener Jude, ein Racheengel; er hat sich zu einer Höhe hinauf
empfunden, wo er fähig wird, etwas zu tun, das nicht seinem Beutel wuchert, etwas zu tun für alle.
Er will sein geschmähtes, niedergetretenes Volk an dessen Peiniger, dem
Christenvolke, rächen. Den Geldteufel in Shylock verabscheuen wir, den
geplagten Mann bedauern wir, aber den Rächer unmenschlicher Verfolgung
lieben und bewundern wir. Glaube man ja nicht, es sei eine Kleinigkeit,
einem guten, christlichen Manne ein Pfund Fleisch aus der Brust zu
schneiden! Das ist wohl eine Kleinigkeit für einen bösen Christen, aber
nicht für einen Juden. Der Jude kann grausam sein von Geist, aber von
Herzen ist er es nie; er hat ein weiches, mürbe geschlagenes Herz, er
ist mitleidig, er kann kein Blut sehen. Wer weiß, ob es Shylock
ausgeführt, wer weiß, ob ihm das Messer, das er so schadenfroh an seiner
Sohle gewetzt, nach dem ersten Tropfen Blutes nicht aus den Händen
gefallen wäre; Antonio hätte wagen dürfen, es darauf ankommen zu lassen.
Und welche Opfer bringt Shylock seiner Rache! Dreitausend,
sechstausend, neuntausend Dukaten! Und die Dukaten der Juden, das sind
keine gewöhnlichen Dukaten, die sind viel mehr wert als die andern; ihre
Liebe zu ihnen vergrößert sie in ihren Augen. Und nicht bloß diese
Summe wagt er, er wagt mehr, die Zinsen dieser Summe; denn mehr ist dem
Juden der Gewinn als der Besitz. Konnte Antonio nicht bezahlen zur
Verfallzeit? Aber Shylock vertraut den Rachegöttern, vertraut den
Meeresstürmen und den gefährlichen Winden böser Gerüchte, und sie
täuschen ihn nicht. Auch lasse man sich von Shylock ja nicht irre
machen, wenn er sagt, er hasse Antonio, weil dieser, wie ein Narr, Geld
ohne Zinsen verleihe und dadurch die Zinsen in Venedig herunterbringe,
und durch seine Entfernung werde er im Handel gewinnen. Nein, darum haßt
Shylock den Antonio nicht. Die christliche Kaufmannschaft in Venedig
wird auch nicht aus lauter edlen Antonios bestanden haben, und ein Mann
allein, sei er
noch so reich, kann den Wert des Geldes nicht verringern. Shylock ist
ein Jude, er schämt sich vor sich selbst, bares Geld einer Einbildung
aufzuopfern, und er sucht sich darum etwas weis zu machen. Schwärmt auch
der Jude einmal, weiß er doch, daß er krank ist. Aber krank ist Shylock
wirklich; nicht den Handelsfeind, den Glaubensfeind verfolgt er in
Antonio und gibt im Fieberwahnsinne vollwichtige Dukaten für eine
luftige Empfindung hin.
Der Schauspieler, der die Rolle des Shylock
übernimmt, mag zusehen, wie er damit fertig wird. Der blutdürstige Haß
des Juden soll uns entsetzen, wie jede Glaubenswut, wie jeder Wahnsinn;
aber Ekel und Abscheu darf er nicht erwecken, gleich einer körperlichen
Krankheit. Shylocks vermaledeite Geldsucht und die Krämpfe, in die
gestörter Eigennutz seine Seele werfen, sollen unser Inneres empören,
aber lächerlich sollen wir das nicht finden – wenn uns der leibhaftige
Teufel erscheint, ist wahrlich nicht Zeit zum Lachen. Nun aber im Teufel
den Gott zu zeigen, durch eine Sandwüste von Sünde bis zur kleinen
Quelle der Liebe vorzudringen, die so weit entfernt, so verborgen
rieselt: das gibt wohl dem darstellenden Künstler Arbeit genug. Denn
Shakespeare tut nicht wie gewöhnliche Menschen und gewöhnliche Dichter,
die, es ihrem Herzen oder ihrer Kunst bequem zu machen, lebende
vermischte Dinge, gleich Scheidekünstlern, in ihre toten Elemente
auflösen, reine Charaktere darstellen, diese lieben, jene hassen,
diese anziehen, jene abstoßen – so tut Shakespeare nicht. Er nimmt
nicht Partei, er gibt keinem Recht als der Sittlichkeit, die lauter im
Leben nie erscheint; sondern läßt die Erscheinungen miteinander hadern
und mischt sich nicht in ihren Streit. Der Dichter hat alles mögliche
getan, den Christenhaß des Juden zu rechtfertigen, und mit gleicher
Anstrengung bemühete er sich, den Judenhaß des Christen
zu entschuldigen. Wie sollte Shylock den Antonio nicht hassen, um so
mehr hassen, je besser und edler der Mann ist! Antonio ist gut, edel und
hülfreich, nur nicht für den Juden. Er beschimpft ihn vor den Augen
aller Welt, er mißhandelt ihn, wo und sooft er ihm begegnet. Ja in dem
nämlichen Augenblicke, da er seine Gefälligkeit, sein Geld braucht,
vermag er es nicht über sich, seinen Haß, seine Verachtung zu verbergen,
und der gute edle Antonio, der seinem Freunde Bassanio alles aufopfert,
ist doch nicht edel genug, dem Freunde zuliebe, einem Juden gütige
Worte zu geben. Dann entführt ein Windbeutel von Christ Shylocks
Tochter; diese beraubt und verläßt ihren alten Vater, und nur erst mit
dem Vorsatze, eine Christin zu werden, beginnt sie ihre Bekehrung damit,
den Vater zu verachten, weil er ein Jude ist. Das könnte wohl das Blut
einer Taube in Drachenblut verwandeln. Der Christ haßt den Juden, der
Jude vergilt es dem Christen, und indem er es tut, rächt Shylock die
verspottete Tugend auch an sich selbst. Er gibt Geld hin, sein Volk zu
rächen, und erfährt, daß Gold nicht Herr der Welt ist, wie der Jude
glaubt, sondern daß Liebe mächtiger ist als Gold, selbst im Juden.
Sooft ich Shakespeare lese, habe ich einen wahren
Kummer, daß er nicht in unsern Tagen lebt, sie uns klar zu machen. Es
ist, als geschähen die Geschichten nicht auf die gehörige Art, wenn kein
rechter Meister da ist, der sie auf die gehörige Art erzählt. Ein
Charakter, ein Verhältnis, die dieser große Dichter nicht geschildert,
weil sie ihm unbekannt waren, ist wie ein Buch ohne Titel, dessen Inhalt
wir erst zusammenlesen müssen. Es geschieht oft, daß große Zeiten keine
großen Geschichtschreiber, Dichter oder Künstler finden, die fähig
wären, sie würdig zu beschreiben, zu schildern oder bildlich
darzustellen. Die vornehmen Geschichten sind zu stolz, zu unruhig oder
zu beschäftigt, gewöhnlichen Künstlern
ruhig zu sitzen. Diese können ihre Züge nur im Fluge erhaschen oder
müssen warten, bis die Zeit gestorben, um dann von ihrer Leiche einen
Abguß zu nehmen, dem das Leben fehlt, wie dem Urbilde. Einem Maler wie
Shakespeare aber halten die Zeiten stille, wohl wissend, daß die Natur
nur der Kunst ihre Unsterblichkeit verdankt. Wie hätte Shakespeare unsere
Shylocks, die großen Shylocks, mit christlichen Ordensbändern auf
jüdischem Rockelor, geschildert! Wie hätte er die papierverkehrenden
Shylocks ohne Rockelor gezeichnet, die das Fleisch und Blut ganzer
Völker in Scheinen besitzen und die nicht mit Lumpen Papier, sondern mit
Papier Lumpen machen! Wie hätte er die Ruchlosen dahin gemalt, welchen
Gott ein Finanzminister ist, der spricht: es werde! und es wird eine
papierne Welt; Adam, der erste Bankier; das Paradies, ein seliger
Pari-Stand der Staatspapiere; der Sündenfall, der erste Fall der Kurse;
welchen die Blätter der Geschichte Metalliques, Bankaktien, Partiale
sind; welchen der jüngste Tag ein Ultimo ist; Gott Mars, der dem Ruhme,
der Ehre, dem Glücke der Völker, dem Glauben, dem Rechte und andern
solchen schnöden Dingen die Ruhe der Kurse aufgeopfert, ein
vermaledeiter Baissier; Sultan Mahmud, der Beschützer der
christlichen Papiere, ein großer Mann, ein gewaltig großer Mann, ein
zweiter Josua; der österreichische Beobachter, das sechste Buch Mosis!
O, wie hätte Shakespeare, dieser große Wechselmäkler zwischen Natur und
Kunst, der das Geld der einen gegen das Papier der andern eintauscht,
die Geheimnisse der Börsenherzen aufgedeckt! Wie hätte er unsere
Börsenleute dahingestellt, welche die Griechen ein »Lumpenvolk«
schelten! – Hört ihr Catos Asche lachen? – Was hat der venetianische
Shylock getan? Dreitausend gute Dukaten für ein armes Pfund
Christenfleisch hingegeben; das Gelüste war wenigstens teuer bezahlt.
Aber
unsere Shylocks, alten und neuen Testaments, ersäufen für ein
Achtelchen ganz Hellas, als wär's ein blindes Kätzchen. Der Shylock von
Venedig war ein Lamm, ein Kind, eine gute Seele; und doch hat der
Schauspieler oben in Frankfurt gesagt: ein Ungeheuer wie Shylock gäbe es
nicht in der Natur, und Shakespeare sei ein Verleumder! O, guter
Schauspieler! Die Geschichte lügt, wenn sie Menschen Christen nennt,
weil ihre Ahnen Wurst gegessen; aber Shakespeare lügt nicht.
(Theaterkritik aus dem Jahre 1828)
ZUM TODESTAG DES JOURNALISTEN
Über den Autor (1786-1837)
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