Diesen Abend stattete ich Göthe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stube, deren clair obscur
nicht ohne einige künstlerische Coquetterie arrangirt war. Auch nahm
sich der schöne Greis mit seinem Jupiters-Antlitz gar stattlich darin
aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum geschwächt, er ist vielleicht
weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine
Unterhaltung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer
durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen
überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit, und
äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geister-König immer
gleich majestätisch und wohlauf zu finden. »O, Sie sind zu gnädig,«
sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise,
und lächelte norddeutsch, satyrisch dazu, »mir einen solchen Namen zu
geben.« »Nein«, erwiederte ich, »wahrlich aus vollem Herzen, nicht nur
König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam
mit sich fort. Er verbeugte sich höflich, und befrug mich nun über
einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte
mir dann auch viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben, mild
äußernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu
erwecken, es sey auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer
auch das Gute und alles Edle sich mannichfach von
selbst entwickele, und gab mir zuletzt sogar, auf meine Bitte, uns
dort einmal zu besuchen, einige aufmunternde Hoffnung.« Du kannst Dir
vorstellen, Liebste, mit welchem Empressement ich dies aufgriff, wenn es
gleich nur eine façon de parler seyn mochte. Im fernern Verlauf
des Gesprächs, kamen wir auf Sir Walter Scott. Göthe war eben nicht sehr
enthusiastisch für den großen Unbekannten eingenommen. »Er zweifle gar
nicht«, sagte er, »daß er seine Romane schreibe, wie die alten Maler mit
ihren Schülern gemeinschaftlich gemalt hätten, nämlich, er
gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Scenen an, lasse aber die
Schüler dann ausführen, und retouchire nur zuletzt.« Es schien fast, als
wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe werth sey, für einen
Mann von Walter Scott's Eminenz seine Zeit zu so viel fastidieusen
Details herzugeben.
»Hätte ich,« setzte er hinzu, »mich zu bloßem Gewinnsuchen verstehen
mögen, ich hätte früher mit Lenz und Andern, ja ich wollte noch jetzt
Dinge anonym in die Welt schicken, über welche die Leute nicht wenig
erstaunen, und sich den Kopf über den Autor zerbrechen sollten, aber am
Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben.« Ich äußerte später, daß
es wohlthuend für die Deutschen sey, zu sehen, wie jetzt unsere
Literatur die fremden Nationen gleichsam erobere, und hierbei, fuhr ich fort, wird unser Napoleon kein Waterloo erleben.
»Gewiß,« erwiederte er, »mein etwas fades
Compliment überhörend, ganz abgesehen von unsern eignen Produktionen,
stehen wir schon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden
auf einer sehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald
schon deshalb deutsch lernen, weil sie inne werden müssen, daß sie sich
damit das Lernen fast aller andern Sprachen gewissermassen ersparen
können. Denn von welcher besitzen wir nicht die gediegensten Werke in
vortrefflichen deutschen Uebersetzungen? die alten Classiker, die
Meisterwerke des neueren Europas, indische und morgenländische
Literatur, hat sie nicht alle der Reichthum und die Vielseitigkeit der
deutschen Sprache, wie der treue deutsche Fleiß und tief in sie
eindringende Genius besser wiedergegeben, als es in andern Sprachen der
Fall ist? Frankreich,« fuhr er fort, »hat gar viel seines einstigen
Uebergewichts in der Literatur dem Umstande zu verdanken gehabt, daß es
am frühesten aus dem Griechischen und Lateinischen leidliche
Uebersetzungen lieferte, aber wie vollständig hat Deutschland es seitdem
übertroffen!«
Im politischen Felde schien er nicht viel auf die
so beliebten Constitutions-Theorien zu geben. Ich vertheidigte mich und
meine Meinung indeß ziemlich warm. Er kam hier auf seine
Lieblings-Idee, die er mehrmals wiederholte, nämlich daß Jeder nur darum
bekümmert seyn solle, in seiner speciellen
Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so
werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben.
Er für seine Person habe es nicht anders gemacht, und ich mache es in M.
ja ebenfalls so, setzte er gutmüthig hinzu, unbekümmert was andere
Interessen geböten. Ich meinte nun freilich, mit aller Bescheidenheit,
daß, so wahr und herrlich dieser Grundsatz sey, ich doch glaube, eine
constitutionelle Regierungsform müsse ihn eben erst recht ins Leben
rufen, weil sie offenbar in jedem Individuum die Ueberzeugung größerer
Sicherheit für Person und Eigenthum, folglich die freudigste Thatkraft
und zugleich damit die zuverläßigste Vaterlandsliebe begründe, hierdurch
aber dem stillen Wirken in eines Jeden Kreise eben eine weit solidere
allgemeine Basis gegeben wurde, und führte endlich, vielleicht
ungeschickt, England als Beleg für meine Behauptung an. Er erwiderte
gleich, das Beispiel sey nicht zum besten gewählt, denn in keinem Lande
herrsche eben Egoismus mehr vor, kein Volk sey vielleicht wesentlich
inhumaner in politischen und Privat-Verhältnissen,
nicht von außen herein durch Regierungsform käme das Heil, sondern von
innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidene Thätigkeit eines
Jeden in seinem Kreise. Dies bleibe immer die Hauptsache zum
menschlichen Glücke, und sey am leichtesten und einfachsten zu erlangen.
Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe, fast wie ein Vater
von seinem Sohne, was meinem hohen Enthusiasmus für diesen großen
Dichter sehr wohl that. Er widersprach unter andern auch der albernen
Behauptung, daß Manfred eine Nachbetung seines Faust sey, doch sey es
ihm allerdings als etwas Interessantes aufgefallen, sagte er, daß Byron
unbewußt sich derselben Maske des Mephistopheles wie er bedient habe,
obgleich freilich Byron sie ganz anders spielen lasse. Er bedauerte es
sehr, den Lord nie persönlich kennen gelernt zu haben, und tadelte
streng, und gewiß mit dem höchsten Rechte, die englische Nation, daß sie
ihren großen Landsmann so kleinlich beurtheile und im Allgemeinen so
wenig verstanden habe. Doch hierüber hat sich Göthe so genügend und
schön öffentlich ausgesprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen
brauche. Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des Faust auf einem
Privattheater zu Berlin, mit Musik vom Fürsten Radziwil und lobte den
ergreifenden Effect einiger Theile dieser Darstellung. »Nun,« sagte
Göthe gravitätisch, »es ist ein eigenes Unternehmen, aber alle Ansichten
und Versuche sind zu ehren.«
Ich grolle meinem schlechten Gedächtniß, daß ich
mich nicht mehr aus unsrer ziemlich belebten Unterhaltung eben erinnern
kann. Mit hoher Ehrfurcht und Liebe verließ ich den großen Mann, den
dritten im Bunde mit Homer und Shakespeare, dessen Name unsterblich
glänzen wird, so lange deutsche Zunge sich erhält, und wäre irgend etwas
von Mephistopheles in mir gewesen, so hätte ich auf der Treppe gewiß auch ausgerufen:
Es ist doch schön von einem großen Herrn,
mit einem armen Teufel so human zu sprechen.
(Aus dem Brief vom 10. September 1826 an Ida Gräfin Hahn-Hahn)
ZUM TODESTAG DES SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1785-1871)
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