Dienstag, 3. Februar 2015

Hermann von Pückler-Muskau: Briefe eines Verstorbenen

Diesen Abend stattete ich Göthe meinen Besuch ab. Er empfing mich in einer dämmernd erleuchteten Stube, deren clair obscur nicht ohne einige künstlerische Coquetterie arrangirt war. Auch nahm sich der schöne Greis mit seinem Jupiters-Antlitz gar stattlich darin aus. Das Alter hat ihn nur verändert, kaum geschwächt, er ist vielleicht weniger lebhaft als sonst, aber desto gleicher und milder, und seine Unterhaltung mehr von erhabener Ruhe als jenem blitzenden Feuer durchdrungen, das ihn ehemals, bei aller Grandezza, wohl zuweilen überraschte. Ich freute mich herzlich über seine gute Gesundheit, und äußerte scherzend, wie froh es mich mache, unsern Geister-König immer gleich majestätisch und wohlauf zu finden. »O, Sie sind zu gnädig,« sagte er mit seiner immer noch nicht verwischten süddeutschen Weise, und lächelte norddeutsch, satyrisch dazu, »mir einen solchen Namen zu geben.« »Nein«, erwiederte ich, »wahrlich aus vollem Herzen, nicht nur König, sondern sogar Despot, denn Sie reißen ja ganz Europa gewaltsam mit sich fort. Er verbeugte sich höflich, und befrug mich nun über einige Dinge, die meinen früheren Aufenthalt in Weimar betrafen, sagte mir dann auch viel Gütiges über M. und mein dortiges Streben, mild äußernd, wie verdienstlich er es überall finde, den Schönheitssinn zu erwecken, es sey auf welche Art es wolle, wie aus dem Schönen dann immer auch das Gute und alles Edle sich mannichfach von selbst entwickele, und gab mir zuletzt sogar, auf meine Bitte, uns dort einmal zu besuchen, einige aufmunternde Hoffnung.« Du kannst Dir vorstellen, Liebste, mit welchem Empressement ich dies aufgriff, wenn es gleich nur eine façon de parler seyn mochte. Im fernern Verlauf des Gesprächs, kamen wir auf Sir Walter Scott. Göthe war eben nicht sehr enthusiastisch für den großen Unbekannten eingenommen. »Er zweifle gar nicht«, sagte er, »daß er seine Romane schreibe, wie die alten Maler mit ihren Schülern gemeinschaftlich gemalt hätten, nämlich, er gäbe Plan und Hauptgedanken, das Skelett der Scenen an, lasse aber die Schüler dann ausführen, und retouchire nur zuletzt.« Es schien fast, als wäre er der Meinung, daß es gar nicht der Mühe werth sey, für einen Mann von Walter Scott's Eminenz seine Zeit zu so viel fastidieusen Details herzugeben. »Hätte ich,« setzte er hinzu, »mich zu bloßem Gewinnsuchen verstehen mögen, ich hätte früher mit Lenz und Andern, ja ich wollte noch jetzt Dinge anonym in die Welt schicken, über welche die Leute nicht wenig erstaunen, und sich den Kopf über den Autor zerbrechen sollten, aber am Ende würden es doch nur Fabrikarbeiten bleiben.« Ich äußerte später, daß es wohlthuend für die Deutschen sey, zu sehen, wie jetzt unsere Literatur die fremden Nationen gleichsam erobere, und hierbei, fuhr ich fort, wird unser Napoleon kein Waterloo erleben.

»Gewiß,« erwiederte er, »mein etwas fades Compliment überhörend, ganz abgesehen von unsern eignen Produktionen, stehen wir schon durch das Aufnehmen und völlige Aneignen des Fremden auf einer sehr hohen Stufe der Bildung. Die andern Nationen werden bald schon deshalb deutsch lernen, weil sie inne werden müssen, daß sie sich damit das Lernen fast aller andern Sprachen gewissermassen ersparen können. Denn von welcher besitzen wir nicht die gediegensten Werke in vortrefflichen deutschen Uebersetzungen? die alten Classiker, die Meisterwerke des neueren Europas, indische und morgenländische Literatur, hat sie nicht alle der Reichthum und die Vielseitigkeit der deutschen Sprache, wie der treue deutsche Fleiß und tief in sie eindringende Genius besser wiedergegeben, als es in andern Sprachen der Fall ist? Frankreich,« fuhr er fort, »hat gar viel seines einstigen Uebergewichts in der Literatur dem Umstande zu verdanken gehabt, daß es am frühesten aus dem Griechischen und Lateinischen leidliche Uebersetzungen lieferte, aber wie vollständig hat Deutschland es seitdem übertroffen!«

Im politischen Felde schien er nicht viel auf die so beliebten Constitutions-Theorien zu geben. Ich vertheidigte mich und meine Meinung indeß ziemlich warm. Er kam hier auf seine Lieblings-Idee, die er mehrmals wiederholte, nämlich daß Jeder nur darum bekümmert seyn solle, in seiner speciellen Sphäre, groß oder klein, recht treu und mit Liebe fortzuwirken, so werde der allgemeine Segen auch unter keiner Regierungsform ausbleiben. Er für seine Person habe es nicht anders gemacht, und ich mache es in M. ja ebenfalls so, setzte er gutmüthig hinzu, unbekümmert was andere Interessen geböten. Ich meinte nun freilich, mit aller Bescheidenheit, daß, so wahr und herrlich dieser Grundsatz sey, ich doch glaube, eine constitutionelle Regierungsform müsse ihn eben erst recht ins Leben rufen, weil sie offenbar in jedem Individuum die Ueberzeugung größerer Sicherheit für Person und Eigenthum, folglich die freudigste Thatkraft und zugleich damit die zuverläßigste Vaterlandsliebe begründe, hierdurch aber dem stillen Wirken in eines Jeden Kreise eben eine weit solidere allgemeine Basis gegeben wurde, und führte endlich, vielleicht ungeschickt, England als Beleg für meine Behauptung an. Er erwiderte gleich, das Beispiel sey nicht zum besten gewählt, denn in keinem Lande herrsche eben Egoismus mehr vor, kein Volk sey vielleicht wesentlich inhumaner in politischen und Privat-Verhältnissen, nicht von außen herein durch Regierungsform käme das Heil, sondern von innen heraus durch weise Beschränkung und bescheidene Thätigkeit eines Jeden in seinem Kreise. Dies bleibe immer die Hauptsache zum menschlichen Glücke, und sey am leichtesten und einfachsten zu erlangen.

Von Lord Byron redete er nachher mit vieler Liebe, fast wie ein Vater von seinem Sohne, was meinem hohen Enthusiasmus für diesen großen Dichter sehr wohl that. Er widersprach unter andern auch der albernen Behauptung, daß Manfred eine Nachbetung seines Faust sey, doch sey es ihm allerdings als etwas Interessantes aufgefallen, sagte er, daß Byron unbewußt sich derselben Maske des Mephistopheles wie er bedient habe, obgleich freilich Byron sie ganz anders spielen lasse. Er bedauerte es sehr, den Lord nie persönlich kennen gelernt zu haben, und tadelte streng, und gewiß mit dem höchsten Rechte, die englische Nation, daß sie ihren großen Landsmann so kleinlich beurtheile und im Allgemeinen so wenig verstanden habe. Doch hierüber hat sich Göthe so genügend und schön öffentlich ausgesprochen, daß ich nichts weiter hinzuzufügen brauche. Ich erwähnte zuletzt der Aufführung des Faust auf einem Privattheater zu Berlin, mit Musik vom Fürsten Radziwil und lobte den ergreifenden Effect einiger Theile dieser Darstellung. »Nun,« sagte Göthe gravitätisch, »es ist ein eigenes Unternehmen, aber alle Ansichten und Versuche sind zu ehren.«

Ich grolle meinem schlechten Gedächtniß, daß ich mich nicht mehr aus unsrer ziemlich belebten Unterhaltung eben erinnern kann. Mit hoher Ehrfurcht und Liebe verließ ich den großen Mann, den dritten im Bunde mit Homer und Shakespeare, dessen Name unsterblich glänzen wird, so lange deutsche Zunge sich erhält, und wäre irgend etwas von Mephistopheles in mir gewesen, so hätte ich auf der Treppe gewiß auch ausgerufen:

Es ist doch schön von einem großen Herrn,
mit einem armen Teufel so human zu sprechen.

(Aus dem Brief vom 10. September 1826 an Ida Gräfin Hahn-Hahn)

ZUM TODESTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1785-1871)

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