Wir fodern zuerst von dem Baumeister eine gründliche und weitläuftige Kenntnis der Sitten und Lebensart der vornehmsten Völker, und desjenigen insbesondre, unter welchem er lebt. Diese hilft ihm zuvoderst, jedes Gebäude
nach dem Stand und der Lebensart des Eigenthümers einzurichten. Jede
Classe der Menschen hat ihre eigene Verrichtungen, Bequemlichkeiten und
äußerliche Bedürfnisse, die der Baumeister genau kennen und in
Ueberlegung ziehen muß, wenn er in der Einrichtung der Gebäude nicht große Fehler
begehen will. Die großen müssen nicht nur mehr Plaz zum wohnen haben,
als der gemeine Bürger; dieser grössere Plaz muß anders eingetheilt
seyn, als der kleinere des andern. In einem Haus,
worin viele Bediente sind, kann und muß vieles anders gemacht werden,
als in dem, wo nur einer oder zwey sind. Dergleichen Umstände, wodurch
die Gebäude
verschiedener Eigenthümer sich von einander unterscheiden müssen, sind
vielerley. Der Baumeister muß sie alle in Erwägung ziehen, wenn er nicht
ungereimte Fehler begehen will.
Hiernächst kann er durch diese Kenntnis ofte solche Einrichtungen machen, die würklich auf den guten Geschmak
und das Gründliche in der Lebensart verschiedener Stände ihren Einfluß
haben. Es ist gewiß, daß die Menschen sehr oft an gewisse Vortheile und
gute Veranstaltungen in ihrer Lebensart niemals denken würden, wenn
nicht zufällige Gelegenheiten sie dahin leiteten. Der Baumeister, der
alles gründliche und vernünftige in der Lebensart verschiedener Völker
bemerkt hat, wird in der Angabe seiner Gebäude Sachen anbringen, wodurch der Bewohner verleitet wird, gute, von ihm vorher versäumte, Gewohnheiten nach zu machen.
Diese Kenntnis kann der Baumeister aber nicht
anwenden, wenn es ihm an gründlicher Beurtheilung des nützlichen, des
anständigen und des geziemenden fehlt. Ohne dieses wird er, wie schon
mehrmals geschehen, den gemeinen Bürger, der reich ist, verleiten,
vieles, das nur den Großen zukommt, auf eine lächerliche Weise nach
zumachen;
oder den Großen in den Zwang des gemeinen Mannes einschränken wollen.
Eine gesunde Beurtheilungskraft des sittlichen in der Lebensart, ist
demnach auch eine nothwendige Eigenschaft des guten Baumeisters.
Wir fodern drittens von ihm ein gutes Genie, das ist, eine Leichtigkeit im Erfinden und Anordnen, damit er nicht nur alles, was er zu einem Gebäude für nothwendig hält, geschikt anbringen, sondern dieselben Sachen nach dem persönlichen Geschmak
der Eigenthümer, nach der besondern Beschaffenheit der Oerter, des
Platzes und der Zeiten auf verschiedene Weise ausrichten könne. Wenn er
für jede Art der Gebäude nur ein oder zwey Modelle hätte, so würde er ofte ganz ungereimte Dinge machen.
Das gute Genie,
mit einer gründlichen Beurtheilung verbunden, muß ihm in den Fällen zu
Hülfe kommen, wo mehrere Bedürfnisse gegen einander streiten. Denn da
muß er das wichtigste von dem geringern zu unterscheiden wissen. Er muß
Schwierigkeiten durch außerordentliche Mittel heben können. Er muß durch
gute Erfindungen sich glüklich aus Schwierigkeiten heraus helfen.
Ferner ist ihm ein feiner Geschmak in allen Arten des Schönen nothwendig, damit er nicht nur das ganze Gebäude schön, oder prächtig, oder erhaben ausführen, sondern jede einzele Schönheit, wodurch die Würkung des ganzen vermehrt wird, anbringen könne.
Endlich muß er verschiedene mathematische Wissenschaften, das Wesentlichste aus der Kenntnis der Natur, die Mechanik, und alle so wol schöne als mechanische Künste verstehen, deren Hülfe in der Ausführung eines Gebäudes benöthiget ist. Ohne die Fertigkeit im Rechnen kann er die Eintheilungen,
Proportionen, die Menge der Bedürfnisse zum Bau, die Festigkeit der
Theile niemals ordentlich bestimmen. Ohne den mechanischen Geist wird er
vieles schlecht angeben, den einen Theil zu stark, den andern zu
schwach machen. Ohne die schönen Künste, insonderheit die Zeichnung, wird er viele Verzierungen entweder gar versäumen, oder von schlechtem Geschmak
machen. Ohne die Kenntnis mechanischer Künste wird er Sachen angeben,
die in der Ausführung entweder unmöglich, oder doch sehr unvollkommen
seyn werden. Denn der Baumeister ist fast immer betrogen, der sich auf
den Geschmak,
den Verstand, oder die Geschiklichkeit der Arbeiter verläßt. Er muß
schlechterdings alles entweder selbst angeben, oder doch in der
Ausführung mit einem wachsamen und bessernden Auge besorgen. Ohne
Kenntnis der Physik wird er vieles versehen, und gegen die Gesundheit
der Einwohner, gegen die Dauerhaftigkeit und Festigkeit des Gebäudes,
gegen die gute Lage in Ansehung der Winde und des Wetters, gegen die
schnelle Abführung des Rauchs und der Ausdünstungen, gegen die
Bequemlichkeit in Absicht auf Wärme und Kälte, anstoßen.
Aus diesen Betrachtungen lassen sich
folgende Vorschriften, die den Baumeister in seinem Studiren führen
sollen, herleiten. Er muß zuvoderst durch Erlernung der Historie
und der philosophischen Wissenschaften seine Seelenkräfte fleißig üben
und stärken, auch sich die nöthige Gründlichkeit und Scharfsinnigkeit
verschaffen. Der künftige Baumeister muß so gut wie der Dichter
von Jugend auf in Künsten und Wissenschaften geübt werden. Nachdem er
die allgemeine Wissenschaften hinlänglich getrieben, muß er sich
insbesondre in den mathematischen Wissenschaften gründlich unterrichten
lassen; sich auf das Zeichnen legen, welches er so treiben muß, als wenn
er ein Mahler werden wollte, damit er nicht nur dadurch einen feinen Geschmak für das Schöne in Figuren und Zierrathen bekomme, sondern im Fall es nöthig ist, dergleichen Sachen auch selbst angeben könne.
Wenn er sich diese vorläufige Wissenschaften und Künste erworben hat, so muß er seinen Fleiß vornehmlich auf die Betrachtung der vornehmsten Gebäude
richten, welche in den verschiedenen Ländern von Europa zerstreut sind.
Zuerst muß er die verschiedenen Schriften der vornehmsten Baumeister
mit großem Fleiß lesen, sich ihre Regeln bekannt machen, und nach denselben zeichnen. Hierauf schafft er sich von den Zeichnungen schöner Gebäude,
Gärten und ganzer Städte an, so viel er habhaft werden kann. Diese
betrachtet er mit einem nachforschenden Auge, zuerst nach ihrem ganzen Ansehen, wobey er genau auf die Empfindung, die sie in ihm erweken, Acht haben muß. Hernach betrachtet er jeden Theil insbesondre in seiner Verhältniß zum ganzen, in seiner Stellung, in seiner Figur, in seinen Verzierungen und in den Verhältnissen seiner kleinern Theile, mit Zirkel und Maaßstab in der Hand.
Bey diesen Untersuchungen ist es sehr wesentlich, daß er beständig auf die allgemeinen Grundsätze der Baukunst zurük sehe, und jeden Theil des Gebäudes gleichsam frage: warum bist du da? wie erfüllst du deinen Endzwek? was thust du zum Ansehen,
zur Festigkeit, zur Bequemlichkeit, zur Zierrath? thust du deiner
Bestimmung vollkommen und auf das beste genug? Hiebey ist es überaus
nothwendig, daß der Baumeister sich auch durch kein Ansehen verblenden lasse. Sieht er etwas, davon kein hinlänglicher Grund vorhanden ist, oder das seiner Bestimmung kein Genügen thut, oder das gar wider nothwendige Regeln, oder doch gegen den Geschmak streitet, so soll ihn weder die Ehrfurcht für das Alterthum, noch das Ansehen
eines Palladio, noch der allgemeine Gebrauch abhalten, es zu verwerfen,
und sich selbst dafür zu warnen. Die besten neuen Baumeister haben
grobe Fehler begangen, und gewisse den guten Geschmak beleidigende Dinge haben fast überall Vergebung gefunden.
Wenn der Baumeister sich durch Schriften und Zeichnungen eine gute Kenntniß erworben hat, so reise er, wenn er kann, nach Italien und Frankreich, und versäume nirgend, die besten Gebäude
so wol von außen als innen genau zu betrachten; die Ausübung der Regeln
darin zu entdeken, und das gute, das ihm noch nicht bekannt gewesen,
daran zu erkennen. Bey diesen Reisen muß er nicht blos einzele Gebäude an sich betrachten, sondern sie im Zusammenhange mit dem Platz, worauf sie stehen, und in der Verbindung mit andern nach allen Regeln untersuchen.
Von einem vollkommenen Baumeister aber fodern wir nicht blos die Fähigkeit, einzele Gebäude
anzugeben. Dies ist das, was er am leichtesten lernen kann. Er muß
ganze Plätze schön zu bauen, ganze Städte anzulegen, und denselben von
innen und von außen alle mögliche Bequemlichkeiten und Schönheiten zu geben wissen. Dazu gehören Einsichten, die ins große gehen, und die einen Mann von mehr als gewöhnlichem Genie
erfodern. Seine Einsichten müssen sich von der gemeinen Hauswirthschaft
der Bürger bis auf die Haushaltung der Großen, so wol in den Städten
als auf dem Lande, von da bis zum Hofhalten der Fürsten, und endlich bis
zu dem großen der Policeywissenschaft ganzer Städte und Länder
erstreken. Nur derjenige, der sich solcher weitläuftigen Kenntnis bewußt
ist, muß sich unterstehen, der Baumeister eines großen Herrn zu werden.
In der Weitläuftigkeit der Talente und der
Kenntnisse eines vollkommenen Baumeisters, und in der kostbaren Art, sie
zu erlangen, liegt ohne Zweifel der Grund, warum er seltener, als ein großer Mahler oder ein großer Dichter
ist. Billig sollte in jedem Staat eine Einrichtung gemacht seyn, große
Baumeister zu ziehen, und dieser zufolge sollten aus der
Baumeisterschule die fähigsten ausgesucht, und in ihrer Kunst auf
öffentliche Unkosten ausgebildet werden. Denn jedem Staat ist daran
gelegen, daß eine Anzahl guter und redlicher Baumeister gesetzt werde,
welche von dem Staat reichlich bezahlt werden. Dagegen müßten sie
verbunden seyn, gegen mäßige Erkenntlichkeit jedem Privatmanne in
Bausachen beyzustehen, damit er nicht in Gefahr komme, durch den
Unverstand, oder die Gewinnsucht der Arbeitsleute, einen beträchtlichen
Verlust an seinem Vermögen zu leiden.
ZUM TODESTAG DES PHILOSOPHEN
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