Auf den oft besungenen Sudeten haust in friedlicher Eintracht der
berufene Berggeist, Rübezahl genannt, der das Riesengebirge berühmt
gemacht hat. Dieser Fürst der Gnomen besitzt zwar auf der Oberfläche der
Erde nur ein kleines Gebiet, von wenigen Meilen im Umfang, mit einer
Kette von Bergen umschlossen. Aber unter der urbaren Erdrinde hebt seine
Alleinherrschaft an und erstreckt sich auf achthundertsechzig Meilen in
die Tiefe, bis zum Mittelpunkt der Erde. Zuweilen beurlaubt er sich
aller unterirdischen Regierungssorgen, erhebt sich zur Erholung auf die
Grenzfeste seines Gebiets und hat sein Wesen auf dem Riesengebirge,
treibt da sein Spiel und Spott mit den Menschenkindern wie ein froher
Übermütiger, der, um einmal zu lachen, seinen Nachbarn zu Tode kitzelt.
Freund Rübezahl ist geartet wie ein Kraftgenie, launisch,
ungestüm, sonderbar; bengelhaft, roh, unbescheiden; stolz, eitel,
wankelmütig, heute der wärmste Freund, morgen fremd und kalt; zuzeiten
gutmütig, edel und empfindsam; aber mit sich selbst in stetem
Widerspruch, albern und weise, schalkhaft und bieder, störrisch und
beugsam.
Von Olims Zeiten her toste Rübezahl schon im wilden Gebirge,
hetzte Bären und Auerochsen aneinander, daß sie zusammen kämpften, oder
scheuchte mit grausendem Getöse das scheue Wild vor sich her und stürzte
es von den steilen Felsenklippen hinab ins tiefe Tal. Dieser Jagden
müde, zog er wieder seine Straße durch die Regionen der Unterwelt und
weilte da Jahrhunderte, bis ihn von neuem die Lust anwandelte, sich an
die Sonne zu legen und des Anblicks der äußern Schöpfung zu genießen.
Wie nahm's ihn wunder, als einst bei seiner Rückkehr, von dem
beschneiten Gipfel des Riesengebirges umherschauend, die Gegend ganz
verändert fand! Die düsteren undurchdringlichen Wälder waren ausgehauen
und in fruchtbares Ackerland verwandelt, wo reiche Ernten reiften.
Zwischen den Pflanzungen blühender Obstbäume ragten die Strohdächer
geselliger Dörfer hervor, aus deren Schlot friedlicher Hausrauch in die
Luft wirbelte; hier und da stand eine einsame Warte auf dem Abhang eines
Berges zu Schutz und Schirm des Landes.
Die Neuheit der Sache und die Annehmlichkeit des ersten Anblicks
ergötzten den verwunderten Territorialherrn so sehr, daß er über die
eigenmächtigen Pflanzer nicht unwillig ward, noch ihrem Tun und Wesen
sie zu stören begehrte, sondern sie ruhig im Besitz ihres angemaßten
Eigentums ließ, wie ein gutmütiger Hausvater der geselligen Schwalbe
oder selbst dem überlästigen Spatz unter seinem Obdach Aufenthalt
gestattet. Sogar ward er Sinnes, mit den Menschen Bekanntschaft zu
machen und mit ihnen Umgang zu pflegen, Er nahm die Gestalt eines
rüstigen Ackerknechtes an und verdingte sich bei dem ersten besten
Landwirt. Alles was er unternahm, gedieh wohl unter seiner Hand, und
Rips, der Ackerknecht, war für den besten Arbeiter im Dorfe bekannt.
Aber sein Brotherr war ein Prasser und Schlemmer, der ihm für seine Mühe
und Arbeit wenig Dank wußte; darum schied er von ihm und kam zu dessen
Nachbar, der ihm seine Schafherde unterstellte. Die Herde gedieh
gleichfalls unter seiner Hand und mehrte sich, kein Schaf stürzte vom
Felsen herab das Genick, und keins zerriß der Wolf. Aber sein Brotherr
war ein karger Filz, der seinen treuen Knecht nicht lohnte wie er
sollte; denn er stahl den besten Widder aus der Herde und kürzte dafür
den Hirtenlohn. Darum entlief er dem Geizhals und diente dem Richter als
Herrenknecht, ward die Geißel der Diebe und frönte der Justiz mit
strengem Eifer. Aber der Richter war ein ungerechter Mann, beugte das
Recht, richtete nach Gunst und spottete der Gesetze. Weil Rips nun nicht
das Werkzeug der Ungerechtigkeit sein wollte, sagte er dem Richter den
Dienst auf und ward in den Kerker geworfen, aus dem er jedoch auf dem
gewöhnlichen Wege der Geister, durchs Schlüsselloch, leicht einen Ausweg
fand.
Dieser erste Versuch, das Studium der Menschenkunde zu treiben,
konnte ihn unmöglich zur Menschenliebe erwärmen; er kehrte mit Verdruß
auf seine Felsenzinne zurück, überschaute von da die lachenden Gefilde
und wunderte sich, daß die Mutter Natur ihre Spenden an solche Brut
verlieh. Desungeachtet wagte er noch eine Ausflucht ins Land fürs
Studium der Menschheit, schlich unsichtbar herab ins Tal und lauschte in
Busch und Hecken. Da stand vor ihm die Gestalt eines reizvollen
Mädchens, lieblich anzuschauen, denn sie stieg eben ins Bad. Rings um
sie hatten sich ihre Gespielinnen im Gras gelagert an einem Wasserfalle,
der seine Silberflut in ein kunstloses Becken goß, scherzten und kosten
mit ihrer Gebieterin in unschuldsvoller Fröhlichkeit. Dieser Anblick
wirkte so wundervoll auf den lauschenden Berggeist, daß er schier seine
geistige Natur und Eigenschaft vergaß und sich das Los der Sterblichkeit
wünschte. Deshalb verwandelte er sich in einen blühenden Jüngling. Das
war der rechte Weg, ein Mädchenideal in seiner ganzen Vollkommenheit zu
umfassen. Es erwachten Gefühle in seiner Brust, von denen er seit seiner
Existenz noch nichts geahnt hatte; alle Ideen bekamen einen neuen
Schwung. Ein unwiderstehlicher Trieb zog ihn nach dem Wasserfalle hin,
und doch empfand er eine gewisse Scheu, durchs Gesträuch hervorzubrechen
durch das sein Auge gleichwohl eine verstohlene Aussicht auszuspähen
strebte.
Die schöne Nymphe war die Tochter des schlesischen Pharao, der in
der Gegend des Riesengebirges damals herrschte. Sie pflegte oft mit den
Jungfrauen des Hofes in den Hainen und Büschen des Gebirges zu
lustwandeln und, wenn der Tag heiß war, sich bei der Felsenquelle am
Wasserfalle zu erfrischen und darin zu baden. Von diesem Berggeist an
diesen Platz, den er nicht mehr verließ, und täglich der Wiederkehr der
reizenden Badegesellschaft mit Ungeduld entgegenharrte.
Die Nymphe zögerte lange, doch in der Mittagsstunde eines
schwülen Sommertages besuchte sie wieder mit ihrem Gefolge die kühlen
Schatten am Wasserfalle. Ihre Verwunderung ging über alles, da sie den
Ort ganz verändert fand; die rohen Felsen waren mit Marmor und Alabaster
bekleidet, das Wasser stürzte nicht mehr in einem wilden Strom von der
steilen Bergwand, sondern rauschte, durch viele Abstufungen gebrochen,
mit sanftem Gemurmel in ein weites Marmorbecken herunter. Maßlieben,
Zeitlosen und das romantische Blümlein Vergißmeinnicht blühten an dessen
Rande, Rosenhecken, mit wildem Jasmin und Silberblüten vermengt, zogen
sich in einiger Entfernung umher und bildeten das angenehmste Luststück.
Rechts und links der Kaskade öffnete sich der doppelte Eingang einer
prächtigen Grotte, deren Wände und Bogengewölbe mit mosaischer
Bekleidung prangten, von farbigen Erzstufen, Bergkristall und
Frauenglas, alles funkelnd und flimmernd, daß der Abglanz davon das Auge
blendete.
Die Prinzessin stand lange in stummer Verwunderung da, wußte
nicht, ob sie ihren Augen trauen, diesen zauberhaften Ort betreten oder
fliehen sollte. Nachdem sie mit ihrem Gefolge in diesem kleinen Tempel
sich sattsam erlustigt und alles fleißig durchgemustert hatte, lüstete
sie, in dem Bassin zu baden.
Kaum war sie über den glatten Rand des Marmorbeckens
hinabgeschlüpft, so sank sie in eine endlose Tiefe. Laut ließ die bange
Schar der erschrockenen Mädchen Klage, Ach und Weh erschallen, als ihr
Fräulein vor ihren Augen dahinschwand; sie liefen ängstlich am marmornen
Gestade hin und wieder, indes das Springwasser recht geflissentlich sie
mit einem Platzregen nach dem anderen übergoß.
Hier war kein anderer Rat, als dem Könige die traurige
Begebenheit mit seiner Tochter zu hinterbringen. Wehklagend begegneten
ihm die Mädchen, da er eben mit seinen Jägern zu Walde zog. Der König
zerriß sein Kleid vor Betrübnis und Entsetzen, nahm die goldene Krone
vom Haupte, verhüllte sein Angesicht mit dem Purpurmantel, weinte und
stöhnte laut über den Verlust der schönen Emma.
Nachdem er der Vaterliebe den ersten Tränenzoll entrichtet hatte,
stärkte er seinen Mut und eilte, das Abenteuer am Wasserfalle selbst zu
beschauen. Aber der angenehme Zauber war verschwunden, die rohe Natur
stand wieder da in ihrer vorigen Wildheit; da war keine Grotte, kein
Rosengehege, keine Jasminlaube.
Unterdessen hatte der Berggeist die liebreizende Emma durch einen
unterirdischen Weg in einen prächtigen Palast geführt. Als sich die
Lebensgeister der Prinzessin wieder erholt hatten, befand sie sich auf
einem Sofa, angetan mit einem Gewand von rosenfarbenem Satin und einem
Gürtel von himmelblauer Seide. Ein junger Mann lag zu ihren Füßen und
tat ihr mit dem wärmsten Gefühl das Geständnis der Liebe, das sie mit
schamhaftem Erröten annahm. Der entzückte Gnom unterrichtete sie hierauf
von seinem Stand und seiner Herkunft, von den unterirdischen Staaten,
die er beherrschte, führte sie durch die Zimmer und Säle des Schlosses
und zeigte ihr alle Pracht und Reichtum. Ein herrlicher Lustgarten umgab
das Schloß von drei Seiten, der mit feinen Blumenstücken und
Rasenplätzen, auf deren grüner Fläche ein kühler Schatten schwamm, dem
Fräulein vornehmlich zu behagen schien. Alle Obstbäume trugen
purpurrote, mit Gold gesprenkelte oder zur Hälfte übergüldete Äpfel. In
den traulichen Bogengängen lustwandelte das Paar. Sein Blick hing an
ihren Lippen, und sein Ohr trank die sanften Töne aus ihrem melodischen
Munde. In seinem langen Leben hatte er dergleichen selige Stunden noch
nie genossen, als ihm jetzt die erste Liebe gab.
Nicht gleiches Wonnegefühl empfand die reizende Emma. Ein
gewisser Trübsinn hing über ihrer Stirn, sanfte Schwermut und zärtliches
Hinschmachten offenbarten genug, daß geheime Wünsche in ihrem Herzen
verborgen lagen. Er machte gar bald diese Entdeckung und bestrebte sich,
durch Liebkosungen diese Wolken zu zerstreuen und die Schöne
aufzuheitern, obwohl vergebens. Der Mensch, dachte er bei sich selbst,
ist ein geselliges Tier wie die Biene und die Ameise; der schönen
Sterblichen gebricht's an Unterhaltung. Flugs ging er hinaus ins Feld,
zog auf einem Acker ein Dutzend Rüben aus, legte sie in einen zierlichen
geflochtenen Deckelkorb und brachte diesen der schönen Emma, die
melancholisch einsam in der beschatteten Laube eine Rose entblätterte.
«Schönste der Erdentöchter,» redete sie der Gnom an, «du sollst nicht
mehr die Einsamtrauernde in meiner Wohnung sein. In diesem Korbe ist
alles, was du bedarfst, diesen Aufenthalt dir angenehm zu machen. Nimm
den kleinen buntgeschälten Stab und gib durch die Berührung mit ihm den
Erdengewächsen im Korbe die Gestalten, die dir gefallen.»
Hierauf verließ er die Prinzessin, und sie weilte keinen
Augenblick, mit dem Zauberstabe laut Instruktion zu verfahren, nachdem
sie den Deckelkorb geöffnet hatte. «Brinhild,» rief sie, «liebe
Brinhild, erscheine!» Und Brinhild lag zu ihren Füßen, umfaßte die Kniee
ihrer Gebieterin und benetzte ihren Schoß mit Freudenzähren. Die
Täuschung war so vollkommen, daß Fräulein Emma selbst nicht wußte, wie
sie mit ihrer Schöpfung dran war: ob sie die wahre Brinhild hergezaubert
hatte, oder ob ein Blendwerk das Auge betrog. Sie überließ sich
indessen ganz den Empfindungen der Freude, ihre liebste Gespielin um
sich zu haben, lustwandelte sie mit ihr Hand in Hand im Garten umher, ließ
sie dessen herrliche Anlagen bewundern und pflückte ihr goldgesprenkelte
Äpfel von den Bäumen. Hierauf führte sie ihre Freundin durch alle
Zimmer im Palast bis in die Kleiderkammer, wo sie bis zu Sonnenuntergang
verweilten. Alle Schleier, Gürtel, Ohrspangen wurden gemustert und
anprobiert.
Der spähende Gnom war entzückt über den Tiefblick, den er in das
weibliche Herz getan zu haben vermeinte, und freute sich über den guten
Fortgang in der Menschenkunde. Die schöne Emma dünkte ihn jetzt schöner,
freundlicher und heiterer zu sein als jemals. Sie unterließ nicht,
ihren ganzen Rübenvorrat mit dem Zauberstabe zu beleben, gab ihnen die
Gestalt der Jungfrauen, die ihr vordem aufzuwarten pflegten, und weil
noch zwei Rüben übrig waren, bildete sie eine Zyperkatze um, aus der
anderen schuf sie ein niedlich hüpfendes Hündchen. Einige Wochen lang
genoß sie die Wonne des gesellschaftlichen Vergnügens ungestört, Sang
und Saitenspiel wechselten vom Morgen bis zum Abend; nur merkte das
Fräulein nach Verlauf einiger Zeit, daß die frische Gesichtsfarbe ihrer
Gesellschafterinnen etwas abbleichte. Der Spiegel im Marmorsaal ließ
zuerst bemerken, daß sie allein wie eine Rose aus der Knospe frisch
hervorblühte, da die geliebte Brinhild und die übrigen Jungfrauen
welkenden Blumen glichen; gleichwohl versicherten sie alle, daß sie sich
wohl befänden, und der freigebige Gnom ließ sie an seiner Tafel auch
keinen Mangel leiden. Dennoch zehrten sie sichtbar ab, Leben und
Tätigkeit schwand von Tag zu Tag mehr dahin, und alles Jugendfeuer
erlosch.
Als die Prinzessin an einem heitern Morgen, durch gesunden Schlaf
gestärkt, fröhlich ins Gesellschaftszimmer trat, wie schauderte sie
zurück, da ihr ein Haufen eingeschrumpfter Matronen an Stäben und
Krücken entgegenzitterte, mit Dumpf- und Keuchhusten beladen,
unvermögend sich aufrechtzuerhalten. Das schäkernde Hündchen hatte alle
vier von sich gestreckt, und der schmeichelnde Zyper konnte sich vor
Kraftlosigkeit kaum noch regen und bewegen. Bestürzt eilte die
Prinzessin aus dem Zimmer, der schaudervollen Gesellschaft zu
entfliehen, trat hinaus auf den Söller des Portals und rief laut den
Gnomen, der alsbald in demütiger Stellung auf ihr Geheiß erschien.
«Boshafter Geist,» redete sie ihn zornmütig an, «warum mißgönnst du mir
die einzige Freude meines harmvollen Lebens, die Schattengesellschaft
meiner ehemaligen Gespielinnen? Augenblicklich gib meinen Dirnen Jugend
und Wohlgestalt wieder, oder Haß und Verachtung soll deinen Frevel
rächen.» – «Schönste der Erdentöchter,» entgegnete der Gnom, «zürne
nicht über die Gebühr! Alles, was in meiner Gewalt ist, steht in deiner
Hand; aber das Unmögliche fordere nicht von mir. Die Kräfte der Natur
gehorchen mir, doch vermag ich nichts gegen ihre unwandelbaren Gesetze.
Solange vegetierende Kraft in den Rüben war, konnte der magische Stab
ihr Pflanzenleben nach deinem Gefallen verwandeln; aber ihre Säfte sind
nun vertrocknet, und ihr Wesen neigt sich nach der Zerstörung hin; denn
der belebende Elementargeist ist verraucht. Jedoch das soll dich nicht
kümmern, Geliebte, ein frischgefüllter Deckelkorb kann den Schaden
leicht ersetzen; du wirst daraus alle Gestalten wieder hervorrufen, die
du begehrst. Gib jetzt der Mutter Natur ihre Geschenke zurück, die dich
so angenehm unterhalten haben; auf dem großen Rasenplatze im Garten
wirst du die Gesellschaft finden.» Der Gnom entfernte sich darauf, und
Fräulein Emma, ihren buntgeschälten Stab zur Hand, berührte damit die
gerunzelten Weiber, las die eingeschrumpften Rüben zusammen und tat
damit, was Kinder, die eines Spielzeugs müde sind, zu tun pflegen: sie
warf den Plunder ins Kehricht und dachte nicht mehr daran.
Leichtfüßig hüpfte sie nun über die grünen Matten dahin, den
frisch gefüllten Deckelkorb in Empfang zu nehmen, den sie jedoch
nirgends fand. Sie ging den Garten auf und nieder, spähte fleißig umher;
aber es wollte kein Korb zum Vorschein kommen. Am Traubengeländer kam
ihr der Gnom entgegen mit so sichtbarer Verlegenheit, daß sie seine
Bestürzung schon von ferne wahrnahm. «Du hast mich getäuscht,» sprach
sie, «wo ist der Deckelkorb geblieben? Ich suche ihn schon seit einer
Stunde vergebens.» – «Holde Gebieterin meines Herzens,» antwortete der
Geist, «wirst du mir meinen Unbedacht verzeihen? Ich versprach mehr, als
ich geben konnte, ich habe das Land durchzogen, Rüben aufzusuchen, aber
sie sind längst geerntet und welken in dumpfigen Kellern. Harre nur
drei Mondenwechsel in Geduld aus, dann soll dir's nie an Gelegenheit
gebrechen, mit deinen Puppen zu spielen.» Ehe noch der beredsame Gnom
mit dieser Rede zu Ende war, drehte ihm seine Schöne unwillig den Rücken
zu, ohne ihn einer Antwort zu würdigen. Er aber hob sich von dannen in
die nächste Marktstadt innerhalb seines Gebietes, kaufte, als ein
Pachter gestaltet, einen Esel, den er mit schweren Säcken Sämerei belud,
womit er einen ganzen Morgen Landes besäte.
Die Rübensaat schoß lustig auf und versprach in kurzer Zeit eine
reiche Ernte; Fräulein Emma ging täglich hinaus auf ihr Ackerfeld, das
zu besehen sie mehr lüstete als die goldenen Äpfel. Aber Kummer und
Mißmut trübten ihre kornblumenfarbenen Augen. Sie weilte am liebsten in
einem düsteren, melancholischen Tannenwäldchen am Rande eines
Quellbaches, der sein silbernes Gewässer ins Tal rauschen ließ, und warf
Blumen hinein, die in den Odergrund hinabflossen.
Der Gnom sah wohl, daß bei den sorgfältigsten Bestreben, durch
tausend kleine Gefälligkeiten sich in der schönen Emma Herz zu stehlen,
ihr keine Liebe abzugewinnen war. Desungeachtet ermüdete seine
hartnäckige Geduld nicht, durch die pünktlichste Erfüllung ihrer Wünsche
ihren spröden Sinn zu überwinden. Er nahm als etwas ausgemachtes an,
daß ihr Herz so frei und unbefangen sei wie das seine, doch das war ein
großer Irrtum. Ein junger Grenznachbar an den Gestaden der Oder, Fürst
Ratibor, hatte den süßen Minnetrieb in dem Herzen der holden Emma
bereits angefacht. Schon sah das glückliche Paar dem Tage seiner
Vermählung entgegen, da die Braut mit einem Male verschwand. Diese
Nachricht verwandelte den liebenden Ratibor in einen rasenden Roland.
Er verließ seine Residenz, zog menschenscheu in einsamen Wäldern umher
und klagte den Felsen sein Unglück. Die treue Emma seufzte unterdessen
ihre Herzgefühle so fest in ihrem Busen, daß der spähende Gnom nicht
enträtseln konnte, was für Empfindungen sich darin regten. Lange schon
hatte sie darauf gesonnen, wie sie ihn überlisten und der lästigen
Gefangenschaft entrinnen möchte. Nach mancher durchwachten Nacht sann
sie endlich einen Plan aus, der des Versuchs würdig schien, ihn
auszuführen.
Der Lenz kehrte in die gebirgischen Täler zurück, und die Rüben
gediehen zur Reife. Die schlaue Emma zog täglich einige davon aus und
machte damit Versuche, ihnen allerlei beliebige Gestalten zu geben, dem
Anschein nach sich damit zu belustigen; aber ihre Absicht ging weiter.
Sie ließ eines Tages eine kleine Rübe zur Biene werden, um sie
abzuschicken, Kundschaft von ihrem Geliebten einzuziehen. «Fleuch,
liebes Bienchen, gegen Aufgang,» sprach sie, «zu Ratibor, dem Fürsten
des Landes, und sumse ihm sanft ins Ohr, daß Emma noch für ihn lebt,
aber eine Sklavin ist des Fürsten der Gnomen, der das Gebirge bewohnt;
verlier' kein Wort von diesem Gruße und bring mir die Botschaft von
seiner Liebe.» Die Biene flog alsbald von dem Finger ihrer Gebieterin,
wohin sie beordert war; aber kaum hatte sie ihren Flug begonnen, so
stach eine gierige Schwalbe auf sie herab und verschlang zum großen
Leidwesen des Fräuleins die Botschafterin der Liebe. Darauf formte sie
vermöge des wunderbaren Stabes eine Grille, lehrte sie gleichen Spruch
und Gruß. Die Grille flog und hüpfte so schnell, wie sie konnte,
auszurichten, was ihr befohlen war; aber ein langbeiniger Storch
promenierte eben an dem Wege, auf dem die Zirpe zog, erfaßte sie mit
seinem langen Schnabel und begrub sie in das Verlies seines weiten
Kropfes.
Diese mißlungenen Versuche schreckten die entschlossene Emma
nicht ab, einen neuen zu wagen; sie gab der dritten Rübe die Gestalt
einer Elster. «Schwanke hin, beredsamer Vogel,» sprach sie, «von Baum zu
Baum, bis du gelangest zu Ratibor, sag ihm an meine Gefangenschaft und
gib ihm Bescheid, daß er meiner harre mit Roß und Mann, den dritten Tag
von heute, an der Grenze des Gebirges im Maientale, bereit, den
Flüchtling aufzunehmen, der seine Ketten zu zerbrechen wagt und Schutz
von ihm begehrt.» Die Elster gehorchte, und die sorgsame Emma begleitete
ihren Flug, soweit das Auge reichte. Der harmlose Ratibor irrte noch
immer melancholisch in den Wäldern herum; die Rückkehr des Lenzes und
die wiederauflebende Natur hatten seinen Kummer nur gemehrt. Er saß
unter einer schattenreichen Eiche, dachte an seine Prinzessin und
seufzte laut: Emma! Alsbald gab das vielstimmige Echo ihm diesen
geliebten Namen schmeichelhaft zurück; aber zugleich rief auch eine
unbekannte Stimme den seinigen aus. Er horchte hoch auf, sah niemanden,
wähnte eine Täuschung und hörte den nämlichen Ruf wiederholen. Kurz
darauf erblickte er eine Elster, die auf den Zweigen hin und her flog
und ward inne, daß der gelehrige Vogel ihn beim Namen rief. «Armer
Schwätzer,» sprach er, «wer hat dich gelehrt, diesen Namen
auszusprechen, der einem Unglücklichen gehört, der wünscht, von der Erde
vertilgt zu sein wie sein Gedächtnis?» Hierauf faßte er einen Stein und
wollte ihn nach dem Vogel schleudern, als dieser den Namen Emma hören
ließ. Der Sprecher auf dem Baume begann mit der dem Elstergeschlecht
eigenen Beredsamkeit den Spruch, der ihm gelehrt war. Fürst Ratibor
vernahm kaum diese fröhliche Botschaft, so ward's hell in seiner Seele;
der tödliche Gram, der die Sinne umnebelt und die Federkraft der Nerven
erschlafft hatte, verschwand. Er forschte mit Fleiß von der
Glücksverkünderin nach den Schicksalen der holden Emma; aber die
gesprächige Elster konnte nichts als mechanisch ihre Lektion ohne
Aufhören wiederholen und flatterte davon. Schnellfüßig eilte der
auflebende Prinz zu seinem Hoflager zurück, rüstete eilig das Geschwader
der Reisigen, saß auf und zog mit ihnen hin ans Vorgebirge seiner guten
Hoffnung, das Abenteuer zu bestehen.
Fräulein Emma hatte unterdessen mit weiblicher Schlauheit alles
vorbereitet, ihr Vorhaben auszuführen. Sie ließ ab, den duldsamen Gnomen
mit Kaltsinn zu quälen, ihr Auge sprach Hoffnung, und ihr spröder Sinn
schien beugsamer zu werden. Der seufzende Liebhaber empfand gar bald
diese scheinbare Sinnesänderung der holden Spröden. Ein holdseliger
Blick, eine freundliche Miene, ein bedeutsames Lächeln setzten sein
entzündbares Wesen in volle Flammen. Er bat um Erhörung und wurde nicht
zurückgewiesen. Das Fräulein begehrte nur noch einen Tag Bedenkzeit, den
ihr der wonnetrunkene Gnom bereitwillig zugestand.
Den folgenden Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, trat die schöne
Emma geschmückt wie eine Braut hervor, mit allem Geschmeide belastet,
das sie in ihrem Schmuckkästlein gefunden hatte, und da ihr der harrende
Gnom auf der großen Terrasse im Lustgarten entgegenwandelte, bedeckte
sie züchtiglich mit dem Ende des Schleiers ihr Angesicht. «Himmlisches
Mädchen,» stammelt er ihr entgegen, «laß mich die Seligkeit der Liebe
aus deinen Augen trinken und weigere mir nicht länger den bejahenden
Blick, der mich zum glücklichsten Wesen macht, das jemals die rote
Morgensonne bestrahlt hat!» Hierauf wollte er ihr Antlitz enthüllen,
aber das Fräulein machte ihre Schleierwolke noch dichter um sich her und
antwortete gar bescheiden: «Vermag eine Sterbliche dir zu widerstehen,
Gebieter meines Herzens? Deine Standhaftigkeit hat obgesiegt. Nimm dies
Geständnis von meinen Lippen; aber laß mein Erröten und meine Zähren
diesen Schleier auffassen.» – «Warum Zähren, o Geliebte?» fiel der
beunruhigte Geist ein, «ich heische Lieb' um Liebe und will nicht
Aufopferung.» – «Ach,» erwiderte Emma, «warum mißdeutest du meine
Tränen? Mein Herz lohnt deine Zärtlichkeit; aber bange zerreißt meine
Seele. Das Weib hat nicht stets die Reize einer Geliebten; du alterst
nimmer; aber irdische Schönheit ist eine Blume, die bald dahinwelkt.
Woran soll ich erkennen, daß du der zärtliche, liebevolle, gefällige,
duldsame Gemahl sein werdest, wie du als Liebhaber warest?» Er
antwortete: «Fordere einen Beweis meiner Treue oder des Gehorsams in
Ausrichtung deiner Befehle, oder stelle meine Geduld auf die Probe und
urteile daraus von der Stärke meiner unwandelbaren Liebe.» – «Es sei
also!» beschloß die schlaue Emma «ich heische nur einen Beweis deiner
Gefälligkeit. Gehe hin und zähle die Rüben alle auf dem Acker; mein
Hochzeitstag soll nicht ohne Zeugen sein, ich will sie beleben, damit
sie mir zu Kränzeljungfrauen dienen; aber hüte dich, mich zu täuschen
und verzähle dich nicht um eine, denn das ist die Probe, woran ich deine
Treue prüfen will.»
So ungern sich der Gnom in diesen Augenblick von seiner reizenden
Braut trennte, so gehorchte er doch, machte sich rasch an seine
Geschäfte und hüpfte hurtig unter den Rüben herum. Er war durch diese
Geschäftigkeit mit seiner Aufgabe bald zustande; doch um der Sache recht
gewiß zu sein, wiederholte er sie nochmals und fand zu seinem Verdruß
eine andere Zahl, was ihn nötigte, zum drittenmal den Rübenpöbel
durchzumustern.
Die verschmitzte Emma hatte ihren Paladin kaum aus den Augen
verloren, als sie zur Flucht Anstalt machte. Sie hielt eine saftvolle
Rübe in Bereitschaft, die sie flugs in ein mutiges Roß mit Sattel und
Zeug metamorphosierte. Rasch schwang sie sich in den Sattel, flog über
die Heiden und Steppen des Gebirges dahin, und der flüchtige Pegasus
wiegte sie, ohne zu straucheln, auf seinem sanften Rücken hinab ins
Maiental, wo sie sich dem geliebten Ratibor, der der Kommenden ängstlich
entgegenharrte, fröhlich in die Arme warf.
Der geschäftige Gnom hatte sich indessen so in seine Zahlen
vertieft, daß er von dem, was um und neben ihm geschah, nichts wußte.
Nach langer Mühe und Anstrengung seiner Geisteskraft war ihm endlich
gelungen, die wahre Zahl aller Rüben auf dem Ackerfelde, klein und groß
mit eingerechnet, gefunden zu haben. Er eilte nun froh zurück, sie
seiner Herzensgebieterin gewissenhaft zu berechnen und durch die
pünktliche Erfüllung ihrer Befehle sie zu überzeugen, daß er der
gefälligste und unterwürfigste Gemahl sein werde. Mit
Selbstzufriedenheit trat er auf den Rasenplatz; aber da fand er nicht,
was er suchte; er lief durch die bedeckten Lauben und Gänge; auch da war
nicht, was er begehrte. Er kam in den Palast, durchspähte alle Winkel,
rief den holden Namen Emma aus, den ihm die einsamen Hallen
zurücktönten, begehrte einen Laut von dem geliebten Munde; doch da war
weder Stimme noch Rede. Das fiel ihm auf, er merkte Unrat; flugs warf er
das schwerfällige Phantom der Verkörperung ab, schwang sich hoch in die
Luft und sah den geliebten Flüchtling in der Ferne, als eben der rasche
Gaul über die Grenze setzte. Wütend ballte der ergrimmte Geist ein paar
friedlich vorüberziehende Wolken zusammen und schleuderte einen
kräftigen Blitz der Fliehenden nach, der eine tausendjährige Grenzeiche
zersplitterte. Aber jenseits dieser war des Gnomen Rache unkräftig, und
die Donnerwolke zerfloß in einen sanften Heiderauch.
Nachdem er die Luftregionen verzweiflungsvoll durchkreuzt hatte,
kehrte er trübselig in den Palast zurück, schlich durch alle Gemächer
und erfüllte sie mit Seufzen und Stöhnen. Die Sehnsucht erwachte wieder
an jedem Platze, wo sie vormals ging und stand, wo er trauliche
Unterredungen mit ihr gepflogen hatte. Alles das würgte und knotete ihn
so zusammen, daß er unter der Last seiner Gefühle in dumpfes Hinbrüten
versank. Bald danach brach sein Unmut in gräßliche Verwünschungen aus,
und er vermaß sich höchstlich, der Menschenkenntnis zu entsagen und von
diesem argen betrüglichen Geschlechte keine weitere Notiz zu nehmen. In
dieser Entschließung stampfte er dreimal auf die Erde, der ganze
Zauberpalast mit all seiner Herrlichkeit kehrte in sein ursprüngliches
Nichts zurück, und der Gnom fuhr hinab in die Tiefe bis an die
entgegengesetzte Grenze seines Gebietes, in den Mittelpunkt der Erde.
Während dieser Katastrophe im Gebirge führte Fürst Ratibor die
schöne Emma an den Hof ihres Vaters zurück, vollzog daselbst seine
Vermählung, teilte mit ihr den Thron seines Erbes und erbaute die Stadt
Ratibor, die noch seinen Namen trägt bis auf diesen Tag. Das sonderbare
Abenteuer der Prinzessin, das ihr auf dem Riesengebirge begegnet war,
ihre kühne Flucht und glückliche Entrinnung wurde das Märchen des
Landes, pflanzte sich von Geschlecht zu Geschlecht fort bis in die
entferntesten Zeiten. Und die Einwohner der umliegenden Gegenden, die
den Nachbar Berggeist bei seinem Geisternamen nicht zu nennen wußten,
legten ihm einen Spottnamen auf, riefen ihn Rübenzähler oder kurz
Rübezahl.
(Erzählung von 1783 um den Namen des Berggeistes)
ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1735-1787)
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