Donnerstag, 22. Mai 2014

Ernst Toller: Weißt Du, wie eine Schwalbe fliegt


Ich sah
Im Kriege Gefangene wandern
Durch klagende Täler zerschossener Dörfer.
Den Reihen der Gaffenden
Entkrümmte sich
Ein Weib.
Hände gekrampft lösten sich,
Stiegen steil in Äther schwärzlichen Himmels,
Stiegen! Stiegen!
Schwebten!
Jauchzten!
Und einer Stimme seraphischer Jubel:
André!!!
 
Aber es war nicht wie der Flug einer Schwalbe.
 
Ich sah
Im Gefängnis gefesselte Menschen
Schlafend ...
Träumend ...
O Antlitz sternenstrahlend!
Gefesselte Menschen
Träumend!
Du seliger Sieger Traum!!!
 
Aber es war nicht wie der Flug einer Schwalbe

Der Schwalbe Flug – wie Unnennbares nennen?
Der Schwalbe Flug – wie Unbildbares bilden?
Lebte ein Gott,
Sein Zorn:
Der Schwalbe schnellendes Pfeilen,
Sein Lächeln:
Der Schwalbe innigweises Spiel,
Seine Liebe:
Der Schwalbe trunknes Sichverschenken.
 
Europa preist seine Äroplane,
Ich aber, ich Nummer 44,
Will mit den schweigenden Akkorden meines Herzens
Den Flug der Schwalbe preisen.

(Gefängnisgedicht aus dem 'Schwalbenbuch' von 1923 – Quelle: lyrik-lesezeichen.de)

ZUM TODESTAG DES RÄTEREPUBLIKANERS

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