Sonntag, 25. Mai 2014

Jacob Burckhardt: Griechische Kulturgeschichte

Es scheint, als ob das Griechische die künftige Philosophie schon virtuell in sich enthielte: so unendlich ist seine Schmiegsamkeit an den Gedanken, dessen durchsichtigste Hülle es ist, vollends aber an den philosophischen Gedanken. Wir haben es mit einer vollständig von den Einzeldingen abgelösten Sprachwelt zu tun; mit einer Sprache, die, wie man richtig sagt, an sich schon eine praktische Dialektik und schon darum in philosophischen Bezeichnungen überaus schöpferisch ist. Der Annahme gegenüber, dass die größten und entscheidenden Ideen aus Ägypten möchten gekommen sein, dürfte schon die Erwägung berechtigt sein, ob das Altägyptische überhaupt eines unbildlichen Ausdruckes fähig gewesen sei, ob es einen freien Fluss abstrakter Gedanken gehabt habe. Auch die semitischen Sprachen stehen hinter dem Griechischen weit zurück. Den Aristoteles ins Hebräische zu übersetzen, würde gewiss unmöglich sein, und sogar die Araber hätten ohne die griechischen Vorbilder keine Philosophie bekommen; nur die Inder und Germanen hatten wohl außer den Griechen eine Sprache, die von Hause aus zur Philosophie taugte.

(Aus dem achten Abschnitt "Zur Philosophie, Wissenschaft und Redekunst" des postum von 1898 bis 1902 erschienenen Werks)

ZUM GEBURTSTAG DES HISTORIKERS

Über den Autor (1818-1897)

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