Mittwoch, 14. Mai 2014

Kurt Eisner: Reden als erster Ministerpräsident des Freistaates Bayern

Die revolutionäre Gesinnung in Deutschland ist nicht das feige Werk des Zusammenbruchs, sondern das Ergebnis einer im Stillen und Dunkeln unermüdlich vorwärts drängenden Arbeit, die gerade dann einsetzte, als Deutschland [im Weltkrieg 1914-18] militärisch scheinbar das Übergewicht hatte. Für unsere Revolution in Bayern verbürge ich mich dafür, daß es eine wirkliche Revolution war, eine die Massen im tiefsten erschütternde Revolution, geistig vorbereitet seit Jahr und Tag und dann zur Tat gebracht im rechten Augenblick. / Wir leben noch und wollen weiterleben, aber nicht als die Alten, sondern als die von Grund auf Neuen. Wir wollen nicht mehr paktieren mit den Leichnamen der Vergangenheit. Wenn unsere Revolution trotz ihres großen Erfolges so menschlich verlief, so geschah das aus der Erwägung heraus, dass wir die fluchwürdigen Methoden der alten Zeit nicht hineinschleppen wollen in unsere neue befreiende Zeit. Das Verbrechen, das die alten Machthaber begangen haben, war so über alles menschliche Maß groß, dass nicht einmal der Schrei der Vergeltung, der Rache sie erreicht. Das möchte ich auch Ihnen raten. Denken Sie, französische und englische Genossen, nicht an Rache, an Vergewaltigung, sondern lassen wir unsere eigenen Schuldigen irgendwo im Verborgenen weiterleben! Das ist eine viel schwerere Strafe für sie als irgendeine andere. Wir wollen uns gar nicht beflecken dadurch, dass wir diese Sünder richten. Wir sind zu stolz, selbst um ihre Richter zu sein. Selbst das muten wir uns nicht zu. Vielleicht ist gerade das [die] neue Denkart. Und nun helfen Sie uns! Wir sind heute das radikalste Reich der Welt. Wir sind eine Demokratie, die nicht nur formal besteht, sondern danach trachtet, das ganze Volk mit-tätig heranzuziehen: denn wir stehen an der Schwelle des sozialistischen Reiches. / Parteigenossen! Darin sind wir alle einig: Wir wollen unsere Schuld sühnen, indem wir auf dem Wege zum Sozialismus vorwärtsschreiten. Und nun reichen Sie uns die Hand! Verbünden wir uns gegen Ihre Feinde, die auch die unsern sind! / Parteigenossen, ich stehe nicht als reuiger Sünder vor Ihnen. Ich würde mich auch nach der Niederlage nicht beugen vor der Gewalt der andern. Wenn man uns Unwürdiges zumutet, dann sage ich: Lieber untergehen, als sich auf unabsehbare Zeit fremden Kapitalisten auszuliefern. Das ist mein Patriotismus, aber ich denke an das Wort [des 1914 erschossenen Jean] Jaurès, das er ausgesprochen hat: Wilhelm Liebknecht, der glückliche Vater des in der Revolution [am 15.1.1919] gemordeten Sohnes [Karl], sei so sehr ein Internationaler gewesen, daß er sich als Patriot aller Länder empfand. Das soll auch für uns Grundlage des neuen Völkerbundes sein: das Bestreben, Patrioten aller Länder zu sein

(Am 4.2.1919 auf der Arbeiter- und Sozialistenkonferenz in Bern, 17 Tage vor seiner Ermordung)

ZUM GEBURTSTAG DES NOVEMBERREVOLUTIONÄRS

Über den Autor (1867-1919)

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