Die revolutionäre Gesinnung in Deutschland ist nicht das feige Werk
des Zusammenbruchs, sondern das Ergebnis einer im Stillen und Dunkeln
unermüdlich vorwärts drängenden Arbeit, die gerade dann einsetzte, als
Deutschland [im Weltkrieg 1914-18] militärisch scheinbar das Übergewicht hatte. Für unsere Revolution in Bayern verbürge ich mich dafür, daß es eine wirkliche
Revolution war, eine die Massen im tiefsten erschütternde Revolution,
geistig vorbereitet seit Jahr und Tag und dann zur Tat gebracht im
rechten Augenblick. / Wir leben noch und wollen weiterleben, aber nicht als die Alten,
sondern als die von Grund auf Neuen. Wir wollen nicht mehr paktieren mit
den Leichnamen der Vergangenheit. Wenn unsere Revolution trotz ihres
großen Erfolges so menschlich verlief, so geschah das aus der Erwägung
heraus, dass wir die fluchwürdigen Methoden der alten Zeit nicht
hineinschleppen wollen in unsere neue befreiende Zeit. Das Verbrechen,
das die alten Machthaber begangen haben, war so über alles menschliche
Maß groß, dass nicht einmal der Schrei der Vergeltung, der Rache sie
erreicht. Das möchte ich auch Ihnen raten. Denken Sie, französische und
englische Genossen, nicht an Rache, an Vergewaltigung, sondern lassen
wir unsere eigenen Schuldigen irgendwo im Verborgenen weiterleben! Das
ist eine viel schwerere Strafe für sie als irgendeine andere. Wir wollen
uns gar nicht beflecken dadurch, dass wir diese Sünder richten. Wir sind
zu stolz, selbst um ihre Richter zu sein. Selbst das muten wir uns
nicht zu. Vielleicht ist gerade das [die] neue Denkart. Und nun helfen Sie
uns! Wir sind heute das radikalste Reich der Welt. Wir sind eine
Demokratie, die nicht nur formal besteht, sondern danach trachtet, das
ganze Volk mit-tätig heranzuziehen: denn wir stehen an der Schwelle des
sozialistischen Reiches. / Parteigenossen! Darin sind wir alle einig: Wir wollen unsere
Schuld sühnen, indem wir auf dem Wege zum Sozialismus vorwärtsschreiten.
Und nun reichen Sie uns die Hand! Verbünden wir uns gegen Ihre Feinde, die auch die unsern sind! / Parteigenossen, ich stehe nicht als reuiger Sünder vor Ihnen. Ich
würde mich auch nach der Niederlage nicht beugen vor der Gewalt der
andern. Wenn man uns Unwürdiges zumutet, dann sage ich: Lieber
untergehen, als sich auf unabsehbare Zeit fremden Kapitalisten
auszuliefern. Das ist mein Patriotismus, aber ich denke an das Wort
[des 1914 erschossenen Jean] Jaurès, das er ausgesprochen hat: Wilhelm Liebknecht, der glückliche
Vater des in der Revolution [am 15.1.1919] gemordeten Sohnes [Karl], sei so sehr ein
Internationaler gewesen, daß er sich als Patriot aller Länder empfand.
Das soll auch für uns Grundlage des neuen Völkerbundes sein: das
Bestreben, Patrioten aller Länder zu sein
(Am 4.2.1919 auf der Arbeiter- und Sozialistenkonferenz in Bern, 17 Tage vor seiner Ermordung)
ZUM GEBURTSTAG DES NOVEMBERREVOLUTIONÄRS
Über den Autor (1867-1919)
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