Freitag, 16. Mai 2014

Jakob van Hoddis: Stachlige Opuntien

Selbstverständlich wird ein geistig höher organisierter Mensch nur aus Versehen aktiv. Man kann ja geistig minder hoch organisiert und doch ein wertvoller Mensch sein. Wir sind aber keine Vereinigung wertvoller Menschen, sondern eine freie wissenschaftliche Vereinigung. Die FWV muss also ihre Mitglieder erziehen. / Im allgemeinen wird man bei uns nur bis zur Eintragung in das Anmeldebuch beachtet. Auch die Vorträge und Diskussionsabende werden mehr zu Keilzwecken als zu Nutz und Frommen der FWVer veranstaltet. / II. / Durch seinen Eintritt in die FWV gibt man zu, dass man einen wissenschaftlichen Verkehr für nützlich hält. Der Nutzen dieses Verkehrs kann unmöglich in der Sammlung von allerlei Kenntnissen bestehen, denn wenn es auf Kenntnisse ankäme, wäre ein Konversationslexikon weiser als Sokrates. Die Förderung durch die geistige Tätigkeit kann nur in der Förderung der geistigen Tätigkeit bestehen. Darauf kommt es an. Nicht darauf, dass man seine Phrasen spazieren führt und sie eine Weltanschauung benamst. Jede Ansicht ist beschränkt, nur wer immer strebend sich bemüht, kann sich aus Beschränkung und Beschränktheit erlösen. / III. / Die Beschäftigung mit künstlerischen Problemen. Auch da kann die Debatte nur den fördern, der sich selber fördert. Ich habe noch nie einen Bundesbruder im Museum oder in einer Gemäldeausstellung getroffen. / IV. / "Ich erlaube jedem Erfahrungsmanne, der doch immer, wenn was Tüchtiges aus ihm wird, ein 'philosophe sans le savoir' [= Unwissender] ist und bleibt gegen die Philosophie, besonders wie sie in unsern Tagen erscheint, eine Art Apprehension [= Widerwillen], die aber nicht in Abneigung auflösen, sondern sich in eine stille vorsichtige Neigung auflösen muss. Geschieht das nicht, so ist, ehe man sichs versieht, der Weg zur Philisterei betreten, auf dem ein guter Kopf sich nur desto schlimmer befindet, als er, auf eine ungeschickte Weise, die bessere Gesellschaft vermeidet, die ihm allein bei seinem Streben behilflich sein konnte." (Goethe an Fr. H. Jakobi, am 23.11.1801) / Auch die vorsichtigste Neigung fordert und erlaubt eine gewisse Beschäftigung mit ihrem Gegenstande. / V. / Ja, aber ...! Sehr richtig! Da alles in der Welt seine Ursachen hat, so hat es auch seine Ursachen, wenn man Banause ist. Man ist es darum aber doch, und doch ein schlechter FWVer. / VI. / Wehe dem Nicht-FWVer, der sagt: "Die FWV bietet bloß allerlei Brocken aus allen möglichen Gebieten des Wissens und Nichtwissens. Populärwissenschaft für Studierende." Und doch wird der wissenschaftliche Teil vom Vorstand mit Absicht zu einer geistigen Brockensammlung gemacht. Man wird ja auch nicht wegen seiner Intelligenz Vorstandsmitglied. / Daher bringen unsere Abende keinen zusammenhängenden, fortlaufenden Ideenaustausch und bieten nur selten und zufällig Förderndes. / VII. / Platos Akademie war die erste FWV! Wer über diesen Satz lacht, erklärt sich oder seine Bundesbrüder für inferior [= minderwertig]. Wir wollen unsere Sache endlich einmal ernst nehmen!

(Untertitel des postum, nach 1942, erschienenen Prosastücks: Leider fühlen sich die meisten nicht getroffen)

ZUM GEBURTSTAG DES EXPRESSIONISTISCHEN DICHTERS

Über den Autor (1887-1942)

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