Freitag, 8. August 2014

Immanuel Hermann Fichte: Über Gegensatz, Wendepunkt und Ziel heutiger Philosophie

Anhänger zählen nicht in der Fortgestaltung der Wissenschaft; höchstens können diese sie hindern, und erst seit es keine Kantianer mehr gibt, hat Kants Philosophie ihre zeitliche Bedeutung abgestreift und ihre ewige erhalten. – Und wer sagt euch denn ferner, dass eine Philosophie der breiten Ausspinnung und allseitigen Anwendung bedarf, um ihren Wert zu erhärten, dass sie überhaupt praktisch und umgestaltend sich ins Leben drängen müsse? Ihre geisterfrischende allgemeinpädagogische Wirkung bleibt ohnehin nicht aus, - ist sie selbst nur rechter Art, – die aber nichts damit gemein hat, ob man in ihren Wendungen spreche oder ihre zufälligen Schlagwörter sich angeeignet habe. Ebenso würde die heitere, milde, von den Banden der Zeit befreite Gesinnung, zu welcher ihr tieferes Studium von selber bildet, auch als still anregendes Beispiel weit besser wirken, wenn die Philosophen, gleich der Martha, sich nicht so viel unnötige Weltsorge machten, wobei sie sich zudem oft nicht am geschicktesten benehmen und, einmal hineingerissen in den Wirbel endlos sich verwickelnder Zeitbedingnisse, selbst nicht selten die Fassung eines klaren Darüberstehens verlieren. Fürs Umgestalten der Welt gibt es schon lange kräftigere und sicherere Hebel: zu dieser allfertigen Brauchbarkeit muss es dem Philosophen sogar an Muße gebrechen, und fürwahr, der klare, tiefgeborene Quell seines Innern ist zu edel, um das Mühlenwerk des äußeren Weltgetriebes zu bewegen. Hat man je wohl dem Dichter, dem Verwandtesten an Geistesrichtung, ähnliche Zumutungen gemacht, damit er das Recht der Existenz sich erwerbe? / So ist es nach rechter Beurteilung vielmehr sogar der höchste Gewinn für eine Philosophie, wenn sie äußerlich gleich unbeachtet von andringenden Bewunderern wie Gegnern ihre Bahn vollendet. Jenes Aufsehen kann daher der rechtgesinnte Forscher nie wünschen noch weniger suchen, der, eben weil er die Welt und ihre Meinung tiefer kennen muss als diese sich selbst, ihr am wenigstens seine höchste Angelegenheit wird preisgeben wollen. Wenn er selbst aber unumwunden verschmäht, sich auf ihren Schultern im Triumphe von dannen tragen zu lassen, so wird sie schon freiwillig abstehen von ihm, um anderen nachzuziehen, die es verdienen und lieben, ihr Götze zu sein.

(Aus der Einleitung des 1832 erschienenen Werkes)

ZUM TODESTAG DES PHILOSOPHEN

Über den Autor (1796-1879)

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