Montag, 18. August 2014

Richard Avenarius: Der menschliche Weltbegriff

Ich mit all meinen Gedanken und Gefühlen fand mich inmitten einer Umgebung. Diese Umgebung war aus mannigfaltigen Bestandteilen zusammengesetzt, welche untereinander in mannigfaltigen Verhältnissen der Abhängigkeit standen. Der Umgebung gehörten auch Mitmenschen an mit mannigfaltigen Aussagen; und was sie sagten, stand zumeist wieder in einem Abhängigkeitsverhältnis zur Umgebung. Im übrigen redeten und handelten die Mitmenschen wie ich: sie antworteten auf meine Fragen wie ich auf die ihren; sie suchten die verschiedenen Bestandteile der Umgebung auf oder vermieden sie, veränderten sie oder versuchten sie unverändert zu erhalten; und was sie taten oder unterließen, bezeichneten sie mit Worten und erklärten für Tat und Unterlassung ihre Gründe und Absichten. Alles, wie ich selbst auch: und so dachte ich nicht anders, als dass Mitmenschen Wesen seien wie ich - ich selbst ein Wesen wie sie. / Das war die Welt, wie ich sie am Anfang meines Philosophierens als ein Seiendes, Sicheres, Bekanntes, Vertrautes, Begriffenes vorfand – wie sie als Gedanke mit mir weiterlebte – wie sie mir als Tatsache stetsfort von neuem wiederkehrte und in allen Wiederholungen dieselbe blieb.

(Aus dem Kapitel 1 des 1891 erschienenen Werks)

ZUM TODESTAG DES PHILOSOPHEN

Über den Autor (1843-1896)

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