Der Name Menschenrechte kann ohne Menschenpflichten nicht genannt werden; beide beziehen sich aufeinander, und für beide suchen wir ein Wort. /So auch Menschenwürde und Menschenliebe. Das Menschengeschlecht, wie es jetzt ist und wahrscheinlich lange noch sein wird, hat seinem größten Teil nach keine Würde; man darf es eher bemitleiden als verehren. Es soll aber zum Charakter seines Geschlechts, mithin auch zu dessen Wert und Würde gebildet werden. Das schöne Wort Menschenliebe
ist so trivial geworden, dass man meistens die Menschen liebt, um keinen
unter den Menschen wirksam zu lieben. Alle diese Worte enthalten
Teilbegriffe unseres Zwecks, den wir gern mit einem Ausdruck bezeichnen möchten. / Also wollen wir bei dem Wort Humanität bleiben, an welches unter Alten und Neueren die besten Schriftsteller so würdige Begriffe geknüpft haben. Humanität ist der Charakter unseres Geschlechts;
er ist uns aber nur in Anlagen angeboren und muss uns eigentlich
angebildet werden. Wir bringen ihn nicht fertig auf die Welt mit; auf
der Welt aber soll er das Ziel unseres Bestrebens, die Summe unserer
Übungen, unser Wert sein; denn eine Angelität [Engelförmigkeit] im Menschen
kennen wir nicht, und wenn der Dämon, der uns regiert, kein humaner
Dämon ist, werden wir Plagegeister der Menschen. Das Göttliche in unserem Geschlecht ist also Bildung zur Humanität;
alle großen und guten Menschen, Gesetzgeber, Erfinder, Philosophen,
Dichter, Künstler, jeder edle Mensch in seinem Stande, bei der Erziehung
seiner Kinder, bei der Beobachtung seiner Pflichten, durch Beispiel,
Werk, Institut und Lehre hat dazu mitgeholfen. Humanität ist der Schatz
und die Ausbeute aller menschlichen Bemühungen, gleichsam die Kunst unseres Geschlechtes.
Die Bildung zu ihr ist ein Werk, das unablässig fortgesetzt werden muss,
oder wir sinken, höhere und niedere Stände, zur rohen Tierheit, zur Brutalität zurück. / Sollte das Wort Humanität also unsere Sprache
verunzieren? Alle gebildeten Nationen haben es in ihre Mundart
aufgenommen; und wenn unsere Briefe einem Fremden in die Hand kämen,
müssten sie ihm wenigstens unverfänglich scheinen; denn Briefe zur Beförderung der Brutalität wird doch kein ehrliebender Mensch wollen geschrieben haben.
(Aus dem 1794 erschienenen dritten Band des zehnbändigen, in Briefform gefassten Werks)
ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1744-1803)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen