Mittwoch, 13. August 2014

Nikolaus Lenau: Am Sarge eines Schwermütigen

Der sich selbst den Tod gegeben

Naturgeister singen:

Er ist von uns gewichen,
Er ist so früh verblichen,
Lasst uns in tiefste Schatten
Dies heiße Herz bestatten!

Wir singen manche Weisen,
Wenn wir die Erd umkreisen,
Die bängste aller bangen
Hat lauschend er empfangen.

Das Lied, das dumpf wir klagen,
Wenn wir den Wildbach jagen,
Und wenn wir Blitze flechten
In schwülen Sommernächten.

Im Rufe tönt's der Unken,
Von dunkler Schwermut trunken,
Und in den Widerhallen
Bewegter Nachtigallen.

"Fahr wohl!" Nachruft es leise
Dem Frühling auf die Reise;
Wir hauchen es gelinde
Durchs Haar dem toten Kinde.

Die Röslein all zerpflücken
Und zu die Äuglein drücken
Dem Lenz wir und dem Kleinen,
Und niemand sieht uns weinen.

Wenn Wolf im Eise suchen
Ihr Leben und verfluchen,
Und wenn das Käuzlein grelle
Aufstöhnt in seiner Zelle,

Wenn sich die Meereswellen
Auftürmen und zerschellen,
Im Sturm die Möwen zagen,
Erhebt das Lied sein Klagen.

O Möwenschrei und Schwanken!
O menschliche Gedanken
Vom Leben ewger Dauer,
Hört ihr des Liedes Trauer?! –

Doch sind die Stimmen alle
Nur abgebrochne Halle,
Ein ahnendes Besinnen
Kaum auf des Lieds Beginnen.

Bei seinem vollen Klange,
Ach, würde uns zu bange,
Wir stünden schmerzlich träumend,
Das Erdenwerk versäumend.

Dies Herz hat es vernommen
Und sang es fort beklommen;
Dies Herz hat ausgesungen
Das Lied und ist gesprungen.

(Gedicht vom 26. April 1841)

ZUM GEBURTSTAG DES DICHTERS
und IN MEMORIAM ROBIN WILLIAMS

Über den Autor (1802-1850)

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