Sonntag, 23. November 2014

Eduard Engel: Deutsche Stilkunst

Zwing all dein Fühlen und Denken in einen Punkt, in den deiner Federspitze, wie alle Strahlen der Sonne in den Brennpunkt des Hohlspiegels gesammelt werden, und sei gewiss, dir wird das rechte Wort zur rechten Sache im rechten Augenblick nicht mangeln. Ihr Höchstes leistet die Prosa gleich der Poesie nur aus dem ganz von einem Gefühl erfüllten Herzen. Du sitzest am Schreibtisch, starrst gegen die Wand, sinnst, schreibst, streichst aus, schreibst neu, streichst wieder aus: das erste Wort dünkt dich zu schwach, das zweite zu stumpf, das dritte zu verschwommen in den Umrissen, das vierte zu blass an Farbe. Stärke deine sachliche Bemeisterung des Gegenstandes, und dir wird das stärkere Wort auftönen; spitze dein Denken noch schärfer zu, und der schärfere Ausdruck ist plötzlich da; weise alles nicht streng zur Sache Gehörige weit von dir, und eine scharf umreißende Wendung steht da; sieh was du denkst, und das farbige Wort prangt leuchtend vor deinen Augen. 'Alle Blumen des Vortrages müssen aus der Sache selbst, an diesem Ort, an dieser Stelle, wie Blumen aus dem Schoße ihrer Mutter Erde hervorgehen' (Herder). Denke nicht an die Schreibstube, sondern ans Leben, begnüge dich also nicht mit der schwammigen 'Drehvorrichtung', sondern sage dir selbst: die Sprache ist keine Kanzleischreiberin, muss also ein Lebenswort dafür haben: Kurbel heißt es. Tu nicht gelehrt mit hydraulicher Energie, denn dies ist halb Eitelkeit, halb Unverständlichkeit; sondern schreibe in der Sprache deines Vaters und deiner Mutter: Wasserkraft. Hydrauliche Energie kann ja nur einem Menschen in die Feder kommen, der dabei weder das fließende Wasser sieht, noch dessen Donnerkraft hört, dem sich vielmehr alles grüngoldene Leben in graues Aktenpapier verwandelt. Ein bisschen spielerisch, aber doch ganz lustig rät Rückert:

Lass auf dich etwas rechten Eindruck machen,
So wirst du schnell den rechten Ausdruck finden;
Und kannst du nur den rechten Ausdruck finden,
So wirst du schnell den rechten Eindruck machen.

(Aus dem Abschnitt 'Die Macht des Wortes' des 1922 in dreißigster Auflage erschienenen Werks)

ZUM GEBURTSTAG DES PHILOLOGEN

Über den Autor (1851-1938)

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