Montag, 17. November 2014

Jakob Böhme: Aurora oder Morgenröte im Aufgang

Ich vergleiche die ganze Philosophiam, Astrologiam und Theologiam samt ihrer Mutter einem köstlichen Baum, der in einem schönen Lustgarten wächst.

Nun gibt die Erde, da der Baum inne stehet, dem Baum immer Saft, davon der Baum seine lebendige Qualität hat; der Baum aber in sich selbst wächst von dem Saft der Erden und wird groß und breitet sich aus mit seinen Asten.

Nun, gleichwie die Erde mit ihrer Kraft an dem Baum arbeitet, daß derselbe wachse und zunehme, also arbeitet der Baum stets mit seinen Ästen aus ganzem Vermögen, daß er möchte immer viel guter Früchte bringen.

Wenn aber der Baum wenig Früchte bringet, dazu ganz klein, madig und wurmstichig, so ist die Schuld nicht an des Baumes Willen, daß derselbe vorsätzlich begehre böse Früchte zu tragen, dieweil er ein köstlicher Baum guter Qualität ist, sondern die Schuld ist, daß oft große Kälte, Hitze, Mehltau, Rauben und Ungeziefer auf ihn fällt; denn die Qualität in der Tiefe, von den Sternen ausgeworfen, verderbet ihn, daß er wenig guter Früchte bringet.

Nun hat aber der Baum diese Art an sich, daß je größer und älter der Baum wird, je süßere Frucht träget er. In seiner Jugend träget er wenig Früchte, denn das macht die rauhe und wilde Art des Erdbodens und überlei Feuchte in dem Baum. Und ob er gleich schön blühet, so fallen doch im Gewächse seine Äpfel meistens ab, es sei denn Sache, daß er gar in einem gutem Acker stehet.

Nun hat der Baum auch eine gute, süße Qualität an sich, dagegen auch drei andere dem zuwider, als bitter, sauer und herbe. Nun, wie der Baum ist, also werden auch seine Früchte, bis sie die Sonne wirket und süße machet, daß sie einen lieblichen Geschmack bekommen, und müssen seine Früchte bestehen im Regen, Wind und Ungewitter.

Wenn aber der Baum alt wird, daß seine Aste verdorren, daß der Saft nicht mehr in die Höhe kann, so wachsen unten um den Stamm viel grüne Zweiglein aus, letztlich auch auf der Wurzel, und verklären den alten Baum, wie er auch ein schönes grünes Zweiglein und Bäumlein gewesen ist und nun gar alt worden. Denn die Natur oder der Saft wehret sich, bis der Stamm gar dürre wird. Dann wird er abgehauen und im Feuer verbrannt.

Nun merke, was ich mit diesem Gleichnis angedeutet habe: Der Garten dieses Baums bedeutet die Welt, der Acker die Natur, der Stamm des Baumes die Sterne, die Äste die Elementa, die Früchte, so auf diesem Baume wachsen, bedeuten die Menschen, der Saft in dem Baume bedeutet die klare Gottheit. Nun sind die Menschen aus der Natur, Sternen und Elementen gemacht worden. Gott der Schöpfer aber herrschet in allen, gleichwie der Saft in dem ganzen Baume.

Die Natur aber hat zwo Qualitäten in sich bis in das Gerichte Gottes, eine liebliche, himmlische und heilige, und eine grimmige, höllische und durstige.

Nun qualifizieret und arbeitet die gute immer mit ganzem Fleiß, daß sie gute Früchte bringe. Darinnen herrschet der Hl. Geist und gibt dazu Saft und Leben. Die böse quillet und treibet auch mit ganzem Fleiße, daß sie immer böse Früchte bringt. Dazu gibt ihr der Teufel Saft und höllische Loh.

Nun dieses beides ist in dem Baum der Natur, und die Menschen sind aus dem Baum gemacht und leben in dieser Welt, in diesem Garten zwischen beiden in großer Gefahr, und fällt auf sie bald Sonnenschein, bald Regen, Wind und Schnee.

Das ist, so der Mensch seinen Geist erhebt in die Gottheit, so quillet und qualifizieret in ihm der Heilige Geist und der höllische Saft.

Gleichwie der Apfel auf dem Baum madig und wurmstichig wird, wenn Frost, Hitze und Mehltau auf ihn fällt, und leicht abfällt und verdirbet, also auch der Mensch, wenn er läßt den Teufel mit seinem Gift in ihm herrschen.

Nun gleichwie in der Natur Gutes und Böses quillet, herrschet und ist, also auch im Menschen. Der Mensch aber ist Gottes Kind, den er aus dem besten Kern der Natur gemacht hat, zu herrschen in dem Guten und zu überwinden das Böse. Ob ihm gleich das Böse anhanget, gleichwie in der Natur das Böse am Guten hanget, so kann er doch das Böse überwinden. So er seinen Geist in Gott erhebet, so quillet in ihm der Heilige Geist und hilft ihm siegen.

Gleichwie die gute Qualität in der Natur mächtig ist zu siegen über die böse, denn sie ist und kommt aus Gott und der Heilige Geist ist Herrscher darinnen, also auch ist die grimme Qualität mächtig zu siegen in der boshaftigen Seelen; denn der Teufel ist ein mächtiger Herrscher in der Grimmigkeit und ist ein ewiger Fürst derselben.

Der Mensch aber hat sich selbst in die Grimmigkeit geworfen durch den Fall Adams und Hevas, daß ihm das Böse anhänget, sonst wäre sein Quell und Trieb allein in dem Guten. Nun aber ists in beiden und heißet nun, wie St. Paulus saget: Wisset ihr nicht welchem ihr euch begebet zu Knechten in Gehorsam, des Knecht seid ihr, dem ihr gehorsam seid, entweder der Sünde zum Tode oder dem Gehorsam Gottes zur Gerechtigkeit (Rom 6,16).

Weil aber der Mensch in beiden den Trieb hat, so mag er greifen, zu welchem er will; denn er lebet in dieser Welt zwischen beiden und sind beide Qualitäten Bös und Gut in ihm, in welches der Mensch wallet, damit wird er angetan in heilige oder höllische Kraft.

(Aus der Vorrede des 1612 entstandenen Werks

ZUM TODESTAG DES THEOLOGEN

Über den Autor (1575-1624) 

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