Die Begebenheiten, welche seit mehreren Jahren unser Staunen erregen und
unserem kurzsichtigen Auge als fürchterliche Übel erscheinen,
hängen mit dem großen Weltplan einer weisen Vorsehung zusammen. Nur
darin können wir Beruhigung finden. Wenngleich unserem Blick nicht
vergönnt ist, tief in diesen Plan einzudringen, so lässt sich doch der
Zweck dabei vermuten: das Schwache, Kraftlose, Veraltete überall
zu zerstören und nach dem Gange, den die Natur auch im Physischen nimmt,
neue Kräfte zu weiteren Fortschritten zur Vollkommenheit zu
beleben.
Der Staat, dem es glückt, den wahren Geist der Zeit zu fassen und sich
in jenen Weltplan durch die Weisheit seiner Regierung ruhig hinein zu
arbeiten, ohne dass es gewaltsamer Zuckungen bedürfe, hat unstreitig
große Vorzüge, und seine Glieder müssen die Sorgfalt segnen,
die für sie so wohltätig wirkt. Die Französische Revolution, wovon die
gegenwärtigen Kriege die Fortsetzung sind, gab den
Franzosen unter Blutvergießen und Stürmen einen ganz neuen Schwung. Alle
schlafenden Kräfte wurden geweckt, das Elende und Schwache,
veraltete Vorurteile und Gebrechen wurden – freilich zugleich mit
manchem Guten – zerstört. Die Benachbarten und Überwundenen wurden mit
dem Strome fortgerissen.
Unkräftig waren alle die Dämme, welche man diesem entgegensetzte, weil
Schwäche, egoistischer Eigennutz
und falsche Ansicht sie bald ohne Zusammenhang aufführte, bald diesen im
gefährlichen Irrtum unterbrach und dem verheerenden Strome
Eingang und Wirkung verschaffte. Der Wahn, dass man der Revolution am
sichersten durch Festhalten am Alten und durch strenge Verfolgung der
durch
solche geltend gemachten Grundsätze entgegenstreben könne, hat besonders
dazu beigetragen, die Revolution zu befördern und derselben
eine stets wachsende Ausdehnung zu geben. Die Gewalt dieser Grundsätze
ist so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, dass der
Staat, der sie nicht annimmt, entweder seinem Untergange oder der
erzwungenen Annahme derselben entgegensehen muss. Ja selbst die Raub- und
Ehr- und
Herrschsucht Napoleons und seiner begünstigten Gehilfen ist dieser
Gewalt untergeordnet und wird es gegen ihren Willen bleiben. Es lässt
sich auch nicht leugnen, dass unerachtet des eisernen Despotismus, womit
er regiert, er dennoch in vielen wesentlichen Dingen jene Grundsätze
befolgt, wenigstens ihnen dem Schein nach zu huldigen genötigt ist.
Also eine Revolution im guten Sinn, gerade hinführend zu dem großen
Zwecke der Veredelung der Menschheit, durch Weisheit der Regierung und
nicht durch gewaltsame Impulsion von innen oder außen, das ist unser
Ziel,
unser leitendes Prinzip. Demokratische Grundsätze in einer monarchischen
Regierung: dieses scheint mir die angemessene Form für den
gegenwärtigen Zeitgeist. Die reine Demokratie müssen wir noch dem Jahre
2440 überlassen,
wenn sie anders je für den Menschen
gemacht ist. Mit eben der Kraft und Konsequenz, womit Napoleon das
französische revolutionäre System verfolgt, müssen wir das unsrige
für alles Gute, Schöne, Moralische verfolgen, für dieses alles, was gut
und edel ist, zu verbinden trachten. Ein solcher Bund,
ähnlich dem der Jakobiner, nur nicht im Zweck und in der Anwendung
verbrecherischer Mittel, und Preußen an der Spitze könnte die größte
Wirkung hervorbringen und wäre für dieses die mächtigste Allianz. Dieser
Gedanke müsste mehr als ein politischer Traum sein,
wenn man zumal das Interesse der Bundesglieder auf mehrfache Art dabei
ins Spiel zöge, welches sehr möglich ist. Die Mittel würden
sich finden. Unter anderen, aber ähnlichen Umständen, jedoch bei einem
ganz verschiedenen Zeitgeist revolutionierte Kurfürst
Friedrich Wilhelm der Große nach der unglücklichen Epoche unter Georg
Wilhelm gleichfalls seinen Staat und legte den Grund zu seiner
nachherigen
Größe. War aber je ein Zeitpunkt günstig für solche Maßregeln, so ist es
unstreitig der gegenwärtige, wo der Staat eine so große
Veränderung erlitten hat und nach ganz neuen Grundsätzen handeln, einer
gänzlichen Wiedergeburt unterliegen muss.
(Aus der 'Rigaer Denkschrift' vom 12. September 1807)
ZUM TODESTAG DES POLITIKERS
Über den Autor (1750-1822)
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