Montag, 3. November 2014

Hanns Heinz Ewers: Alraune

Wie willst du leugnen, liebe Freundin, dass es Wesen gibt – keine Menschen, keine Tiere – seltsame Wesen, die aus der verruchten Lust absurder Gedanken entsprangen?

Gut, weißt du, meine sanfte Freundin, gut ist das Gesetz, gut ist alle Regel und alle strenge Norm. Gut ist der große Gott, der diese Normen schuf, diese Regeln und Gesetze. Und gut ist der Mensch, der sie wohl achtet, der seine Wege geht in Demut und Geduld und in der treuen Nachfolge seines guten Gottes.

Ein anderer aber ist der Fürst, der den Guten hasst. Er zerschlägt die Gesetze und Normen. Er schafft – merk es wohl – wider die Natur.

Er ist schlecht, ist böse. Und böse ist der Mensch, der so tut wie er. Er ist ein Kind des Satan.

Böse ist es, sehr böse, hineinzugreifen in die ewigen Gesetze, mit frecher Hand sie herauszureißen aus ihren ehernen Fugen.

Der Böse mag es wohl tun, weil ihm Satan hilft, der ein gewaltiger Herr ist; er mag schaffen nach seinem eigenen stolzen Wunsche und Willen. Mag Dinge tun, die alle Regeln zertrümmern, alle Natur umkehren und auf den Kopf stellen. Aber er hüte sich wohl: es ist Lüge nur und irres Blendwerk, was immer er schafft. Es ragt auf und wächst in alle Himmel – – aber es stürzt zusammen am letzten Ende und begräbt im Sturze den hochmütigen Narren, der es dachte –

* * *

Seine Exzellenz Jakob ten Brinken, Dr. med., Ord. Professor und Wirkl. Geh. Rat, schuf das seltsame Mädchen, schuf es – – wider alle Natur. Er schuf es, ganz allein, wenn auch der Gedanke einem andern gehörte. Und dieses Wesen, das sie taufen ließen und Alraune nannten, wuchs heran und lebte wie ein Menschenkind. Was es anfasste, das ward zu Gold, wo es hinblickte, da lachten die wilden Sinne. Wohin aber sein giftiger Atem trat, schrie alle Sünde, und aus dem Boden, den seine leichten Füße traten, wuchsen des Todes bleiche Blumen. Einer schlug es tot, der war es, der es einst dachte, Frank Braun, der neben dem Leben herlief.

(Auf dem 'Auftakt' zu dem 1911 erschienen Werk)

ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1871-1943)

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