Freitag, 21. November 2014

Friedrich Schleiermacher: Monologen

Lass Dir keine Ordnung gebieten, wann Du anschauen sollest oder begreifen, wann in Dich hineingehen oder aus Dir heraus! Fröhlich jedes fremde Gesetz verschmäht und den Gedanken verscheucht, der in toten Buchstaben verzeichnen will des Lebens freien Wechsel! Lass Dir nicht sagen, dies müsse erst vollendet sein, dann jenes! Gehe weiter, wie und wann es Dir gefällt, mit leichtem Schritt: lebt doch Alles in Dir und bleibt, was Du gehandelt hast, und findest es wieder, wenn Du zurückkommst. Lass Dir nicht bange machen, was wohl daraus werden möchte, wenn Du jetzt dies begönnest oder jenes! Immer wird nichts als Du; denn was Du wollen kannst, gehört auch in Dein Leben. Wolle ja nicht mäßig sein im Handeln! Lebe frisch immer fort; keine Kraft geht verloren, als die Du ungebraucht in Dich zurückdrängst. Wolle ja nicht dies jetzt, damit Du hernach wollen könnest jenes! Schäme Dich, freier Geist, wenn das Eine in Dir sollte dienen dem Andern; nichts darf Mittel sein in Dir, ist ja Eins so viel wert als das Andere; darum, was Du wirst, werde um seiner selbst willen! Törichter Betrug, dass Du wollen solltest, was Du nicht willst! Lass Dir nicht gebieten von der Welt, wann und was Du leisten sollest für sie! Verlache stolz die törichte Anmaßung und leide nicht den Druck! Alles ist Deine freie Gabe; denn in Deinem inneren Handeln muss aufgehen der Entschluss, ihr etwas zu tun; und tue nichts, als was so Dir in freier Liebe und Lust hervorgeht aus dem Innern des Gemütes! Lass Dir keine Grenzen setzen in Deiner Liebe, nicht Maß, nicht Art, nicht Dauer! Ist sie doch Dein Eigentum: wer kann sie fordern? Ist doch ihr Gesetz bloß in Dir: wer hat dort zu gebieten? Schäme Dich, fremder Meinung zu folgen in dem, was das Heiligste ist! Schäme Dich der falschen Scham, dass sie nicht verstehen möchten, wenn Du den Fragenden sagtest: darum liebe ich! Lass Dich nicht stören, was auch äußerlich geschehe, in des inneren Lebens Fülle und Freude! Wer wollte vermischen, was nicht zusammen gehört, und grämlich sein in sich selbst? Härme Dich nicht, wenn Du dies nicht sein kannst, und jenes nicht tun! Wer wollte mit leerem Verlangen nach der Unmöglichkeit hinsehen, und mit halbsüchtigem Auge nach fremdem Gut?

So frei und fröhlich bewegt sich mein inneres Leben! Wann und wie sollte wohl Zeit und Schicksal mich andere Weisheit lehren? Der Welt lasse ich ihr Recht: nach Ordnung und Weisheit, nach Besonnenheit und Maß strebe ich im äußeren Tun. Warum sollte ich auch verschmähen, was sich leicht und gern darbietet und willig hervorgeht aus meinem inneren Wesen und Handeln? Ohne Mühe gewinnt das Alles in reichem Maße, wer die Welt anschaut; aber durch das Anschauen seiner selbst gewinnt der Mensch, dass sich ihm nicht nähern darf Mutlosigkeit und Schwäche: denn dem Bewusstsein der inneren Freiheit und ihres Handelns entsprießt ewige Jugend und Freude. Dies habe ich ergriffen, und lasse es nimmer, und so sehe ich lächelnd schwinden der Augen Licht und keimen das weisse Haar zwischen den blonden Locken. Nichts, was geschehen kann, mag mir das Herz beklemmen: frisch bleibt der Puls des inneren Lebens bis an den Tod.

(Schluss des 1800 erschienenen Werks)

ZUM GEBURTSTAG DES THEOLOGEN

Über den Autor (1768-1834)

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