Lass Dir keine Ordnung gebieten, wann Du anschauen
sollest oder begreifen, wann in Dich hineingehen oder aus Dir heraus! Fröhlich jedes fremde Gesetz verschmäht und den Gedanken verscheucht,
der in toten Buchstaben verzeichnen will des Lebens freien Wechsel!
Lass Dir nicht sagen, dies müsse erst vollendet sein, dann jenes! Gehe
weiter, wie und wann es Dir gefällt, mit leichtem Schritt: lebt doch
Alles in Dir und bleibt, was Du gehandelt hast, und findest es wieder,
wenn Du zurückkommst. Lass Dir nicht bange machen, was wohl daraus
werden möchte, wenn Du jetzt dies begönnest oder jenes!
Immer wird
nichts als Du; denn was Du wollen kannst, gehört auch in Dein Leben.
Wolle ja nicht mäßig sein im Handeln! Lebe frisch immer fort; keine
Kraft geht verloren, als die Du ungebraucht in Dich zurückdrängst. Wolle
ja nicht dies jetzt, damit Du hernach wollen könnest jenes! Schäme
Dich, freier Geist, wenn das Eine in Dir sollte dienen dem Andern;
nichts darf Mittel sein in Dir, ist ja Eins so viel wert als das
Andere; darum, was Du wirst, werde um seiner selbst willen! Törichter
Betrug, dass Du wollen solltest, was Du nicht willst! Lass Dir nicht
gebieten von der Welt, wann und was
Du leisten sollest für sie! Verlache stolz die törichte Anmaßung und leide nicht den Druck! Alles ist Deine freie
Gabe; denn in Deinem inneren Handeln muss aufgehen der Entschluss, ihr
etwas zu tun; und tue nichts, als was so Dir in freier Liebe und Lust
hervorgeht aus dem Innern des Gemütes! Lass Dir keine Grenzen setzen in
Deiner Liebe, nicht Maß, nicht Art, nicht Dauer! Ist sie doch Dein
Eigentum: wer kann sie fordern? Ist doch ihr Gesetz bloß in Dir: wer
hat dort zu gebieten? Schäme Dich, fremder Meinung zu folgen in dem, was
das Heiligste ist! Schäme Dich der falschen Scham, dass sie nicht
verstehen möchten, wenn Du den Fragenden sagtest: darum liebe ich! Lass
Dich nicht stören, was auch äußerlich geschehe, in des inneren Lebens
Fülle und Freude! Wer wollte vermischen, was nicht zusammen gehört, und
grämlich sein in sich selbst? Härme Dich nicht, wenn Du dies nicht sein
kannst, und jenes nicht tun! Wer wollte mit leerem Verlangen nach der
Unmöglichkeit hinsehen, und mit halbsüchtigem Auge nach fremdem Gut?
So frei und fröhlich bewegt sich mein
inneres Leben! Wann und wie sollte wohl Zeit und Schicksal mich andere
Weisheit lehren? Der Welt lasse ich ihr Recht: nach Ordnung und
Weisheit, nach Besonnenheit und Maß strebe ich im äußeren Tun. Warum
sollte ich auch verschmähen, was sich leicht und gern darbietet und
willig hervorgeht aus meinem inneren Wesen und Handeln? Ohne Mühe
gewinnt das Alles in reichem Maße, wer die Welt anschaut; aber durch
das Anschauen seiner selbst gewinnt der Mensch, dass sich ihm nicht
nähern darf Mutlosigkeit und Schwäche: denn dem Bewusstsein der inneren
Freiheit und ihres Handelns entsprießt ewige Jugend und Freude. Dies
habe ich ergriffen, und lasse es nimmer, und so sehe ich lächelnd
schwinden der Augen Licht und keimen das weisse Haar zwischen den
blonden Locken. Nichts, was geschehen kann, mag mir das Herz beklemmen:
frisch bleibt der Puls des inneren Lebens bis an den Tod.
(
Schluss des 1800 erschienenen Werks)
ZUM GEBURTSTAG DES THEOLOGEN
Über den Autor (1768-1834)
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