Sonntag, 30. November 2014

Friederike Caroline Neuber: Ein Deutsches Vorspiel

Lieber Leser!

Hier hast du was zu lesen. Nicht etwan von einem grossen gelehrten Manne; Nein! nur von einer Frau, deren Namen du aussen wirst gefunden haben, und deren Stand du unter den geringsten Leuten suchen mußt: Denn sie ist nichts, als eine Comödiantin; von Geburt eine Deutsche. Sie kann von nichts, als von ihrer Kunst Rechenschaft geben: Wenn sie gleich so viel wissen sollte, daß sie einen jeden Künstler verstehen könnte; wenn er von seiner Kunst redet. Fragst du: Warum sie auch schreibt? So antwortet sie dir das, dem Frauenzimmer gewöhnliche, Darum! Fragt dich jemand: Wer ihr geholfen hat? So sprich: Ich weis es nicht; oder: Es könnte doch wohl seyn, daß sie es selbst gemacht hätte. Das Werk ist in Reimen abgefasset. Ob die Verse rein, und die Gedanken richtig sind; werden diejenigen wissen, die es verstehen. Was die Sache betrifft: So gehören theils bekannte Geschichte, theils unbekannte Gedichte darzu. Alles zu erklären schickt sich nicht vor sie. Alles zu verschweigen ist hier nicht nöthig. Genung, daß sie sonst wohl schweigen kann. Diejenigen; die von ihren Umständen etwas wissen, werden dieses leicht glauben können; wer aber nichts von ihr weis, dem wird auch dieses nichts schaden: Wenn er es gleich nicht glauben kann. Sie hat zwar niemalen durch Schriften bekannt seyn; sondern nur, als eine Comödiantin anderer Leute Leidenschaften bescheiden, vorsichtig, aufrichtig und natürlich vorstellen wollen: Itzt aber, da sie ihre eigene Rolle auf, und vor der ganzen Welt zu spielen genöthiget wird; so schämet sie sich auch nicht, ihren ersten sichtbaren Auftritt in diesen Blättern gedruckt zu geben. Hat sie wo gefehlet; so wird sie die Fehler nicht entschuldigen: Denn dadurch werden sie nicht besser. Sie wird um Verzeihung bitten, und ein andermal so wenig fehlen, als es ihr nur möglich ist. Im übrigen überläßt sie sich mit Freuden dem Urtheile dererjenigen, die da richtig denken, zu rechter Zeit reden, und behutsam schweigen. Die übrigen werden denken, was sie wollen; reden, wenn sie können; und schweigen, wenn sie müssen. Sie bleibet beydes, der guten und bösen Welt verpflichtet: Der guten; weil sie es würdig ist, der bösen; weil sie an ihrer Besserung nicht zweifelt. 


(Vorrede zu dem 1734 erschienenen Drama)


ZUM TODESTAG DER SCHAUSPIELERIN


Über die Autorin (1697-1760)

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