Donnerstag, 4. September 2014

Anton Bruckner: Hochlöbliches Professoren-Collegium der philosofischen Fakultät der kk. Universität!

Der Gefertigte erlaubt sich, seine ergebenste Bitte dahin zu berichtigen, daß, da er weder Universitätsstudien, noch das Doctor-Diplom besitzt, er nicht um eine Professur sondern nur um eine Lehrstelle an der kk. Universität für Theorie der Musik (Harmonielehre etc.) will unterthänigst gebeten haben. Derselbe wurde von Studirenden der kk. Universität schon vielfach angegangen, dießfalls Schritte zu thun; und da wirklich oft bedeutende Talente wegen Mangel an Zeit und Vermögen das Conservatorium nicht besuchen können, dürfte ein solcher Unterricht ein ganz vorzügliches Bildungsmittel, besonders auch als Vorbereitung für die Geschichte der Musik außerordentlich von Nutzen sein. An Mittelschulen unterkommen zu können, ist (von competenter Stelle dem Gefertigten erklärt worden) für den Bittsteller unmöglich; da das Gesetz nur für obligate Gegenstände eine Anstellung gestatte, welche Anstellung H Weinwurm erhalten hat. (Nur Gesang an Lehrerbildungsanstalten ist obligat; Clavier hingegen wurde unobligat u auf ein Minimum beschränkt, und dürfte nach erhaltenen Versicherungen ganz aufhören.) Die einzige Zufluchtsstätte bleibt für den Gefertigten daher die kk. Universität. Fände er da gnädige Aufnahme, so gewänne er Zeit zur Composition und eine bleibende Stellung in Wien. Indem der Gefertigte nochmals seine innigste Bitte um gnädige Verleihung einer Lehrstelle an der kk. Universität zu wiederholen wagt, baut er getrost seine Hoffnung auf die Erfahrung, daß die wahre und höchste Wissenschaft die Kunst nie verläßt, sondern stets unterstützt.

(Bewerbungsbrief des 49-Jährigen an die Wiener Universität vom 10. Mai 1874; zitiert in "Die Symphonien Bruckners", hg. von Renate Ulm, Bärenreiter 1998, S. 125)

ZUM GEBURTSTAG DES KOMPONISTEN

Über den Autor (1824-1896)

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