Im Schönbrunner Park kann man wieder die Tiere sehen.
In den Käfigen sind nur noch sehr wenige. Der Wolf läuft rasend
das Gitter entlang, auf und ab, verzweifelt, daß er kein Stückchen Brot
hat, um es den hungrigen Leuten zuzuwerfen, die ihn besichtigen.
Der Bär, ein sehr gemütlicher Mensch mit schwarzpolierten
Fingernägeln, trägt trotz Sonnenschein und Himmelbläue noch seinen Pelz
und macht sich nichts daraus. Er sitzt mit Pose und
Bitte-recht-freundlich-Miene. Er hält den Käfig für ein photographisches
Atelier. Augenblicklich beschäftigt er sich damit, einen Leckerbissen,
der außerhalb des Käfigs liegt, in sein Bereich zu kriegen. Plötzlich
senkt er rasch entschlossen den Kopf und zieht den Brocken mit der
langen, schlüpfrigen, sehr beweglichen Zunge herein.
Ein räudiges Kamel sieht aus, als hätte es seine Garderobe zum
Hofschneider gegeben und liefe vorderhand in sehr blamablem Negligé
herum. Ein anderes trägt seine Buckel mit hochwichtigem Ernst und ist
krampfhaft bemüht, seinen Kopf recht hoch zu behalten. Manchmal bleibt
es stehen, denkt ein wenig nach und sagt: langweiliges Leben.
Der Bison ist gutmütig, hat eine Schnauze wie ein preußischer
Wachtmeister, fühlt sich aber sehr wohl in der Republik und macht einen
durchaus demokratischen Eindruck. Nur manchmal rollt er ein
blutunterlaufenes Auge nach rechts, wo ein weißgekleideter Knabe steht.
Der Bison möchte ein bisschen Kinder zerfleischen.
Das Affenhaus ist geschlossen. »Kein Eintritt« steht darauf. Parlamentsferien ...
Die meisten Käfige sind leer. Die Herrschaften haben die
Monarchie nicht überleben wollen und mit einer aristokratischen Geste
ihre Behausungen Staatssekretären freigegeben. Ihre hochvornehmen
lateinischen Visitenkarten haben sie mitgenommen.
Die Beuteltiere wissen noch immer nichts von dem Systemwechsel.
Sie haben immer noch Beutel für eventuelle Nachkommenschaft bereit,
obwohl sie eigentlich wissen müssten, dass eine Republik etwas auf
Kinderheime und dergleichen gibt.
Die Beuteltiere sind sehr lustig. Sie hüpfen auf den
Hinterbeinen und gebrauchen den Schwanz wie einen Spazierstock, der an
ihrer rückwärtigen Hosennaht befestigt ist. Ihre Vorderpfötchen führen
sie von Zeit zu Zeit zum Munde, um sich die Nägel mit den Zähnen zu
maniküren.
Der Strauß hat lange nicht so schöne Federn wie jene Dame, der ich beim Eingang begegnet bin. Ich bin enttäuscht, Herr Strauß!
Der Schwan sieht aus, als ob er soeben aus der
»Lohengrin«-Vorstellung käme, und schwimmt leicht im Teich umher,
glücklich, dass er den Schmedes [dänischer Tenor] losgeworden ist.
Der Oberlehrer hat ein Geiergesicht. Er geht hier studienhalber herum. Sein Fach ist Naturlehre.
Ein Menschenpaar in mittlerem Lebensalter hat sich auf einer
Bank niedergelassen. Es trägt seine Jungen nicht in Beuteln, sondern
lässt sie mit Kieselsteinen nach den Schwänen werfen.
Gouvernantenpapageien führen kleine Säugetiere mit Spitzenhäubchen in grünlackierten Kinderwagerln spazieren.
Eine Ameisenbärfamilie mit Uhrketten, Spazierstöcken,
Regenschirmen begibt sich ins Kaffeehaus im Vollgefühl ihrer durch den
zoologischen Besuch erheblich gesteigerten Menschenwürde.
Ein herabgekommener Habicht mit grünem Plüschhütchen, kariertem
Kragen und sonstigem Polizeiagentenzivilfell späht nach Beutemenschen.
Sonst sind keine Tiere in Schönbrunn zu sehen.
(Reportage in "Der neue Tag" vom 7.3.1920)
ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1894-1939)
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