Mittwoch, 3. September 2014

Johann Wilhelm von Archenholz: Minerva

Die Leser dieses Journals werden sich eine Abänderung des ursprünglichen Plans gefallen lassen. Die Absicht war, Beiträge zur Geschichte der vornehmsten europäischen Reiche hier zu liefern. Für jetzt aber muss dieser Entwurf notwendig eingeschränkt werden; denn wäre es nicht ungereimt, auf Vorfälle und Begebenheiten in entlegenen Ländern sein Augenmerk zu richten, die wenig interessant oder in Rücksicht auf Zeiterfordernis zu den Sendungen, zur Bearbeitung, und zum Druck schon zuvor in Deutschland bekannt sein würden, und darüber das unter meinen Augen Vorgehende aus der Acht zu lassen, das so manchem deutschen Biedermann dienen kann, seine Ideen zu berichtigen; Vorfälle und Szenen, die so merkwürdig, zum Teil so originell sind, und die den reichhaltigsten Stoff darbieten, den ein historischer Beobachter nur je sich wünschen kann. Hierzu kommt, dass selbst bei dem besten Willen, bei Anstrengung von Kräften, bei Entsagung von Erholungen und bei der genauesten Einteilung aller Stunden mein Zeitmaß zumal in einer so ungeheuern Stadt wie Paris sehr begrenzt ist. Will ich mehr als Zeitungsnachrichten liefern, so muss ich ganze Tage hören, sehen, lesen und prüfen, ehe ich die Feder in die Hand nehmen und einige Stunden der Arbeit widmen kann, wahrhaft historische Beiträge niederzuschreiben. Ich bin daher notgedrungen, mich, mit Ausnahme von besondern unbekannten und unausstößigen Staatsschriften oder Staatsszenen anderer Reiche, für jetzt fast allein auf Frankreich einzuschränken, dessen für alle Nationen unterrichtendes Schicksal, wie auch immer die nahen großen Begebenheiten ausschlagen mögen, in Ansehung zahlloser wichtiger Gegenstände noch lange, lange unentschieden bleiben wird. / Die Sittenveränderung der neuen Franzosen ist nicht minder erstaunungswürdig als ihre politische Revolution. Es ist durchaus nicht mehr dasselbe Volk. Ich habe schon davon eine Menge außerordentlicher Züge und Handlungen aufgezeichnet, die ich sorgfältig vermehren, ordnen und sodann nach Verlauf einiger Monate in dieser Minerva in einem großen Sittengemälde aufstellen werde.

(Editorial zum 1792 erschienenen zweiten Band des historisch-politischen Journals)

ZUM GEBURTSTAG DES PUBLIZISTEN

Über den Autor (1741-1812)

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