Mein Müller spielte mir gestern einen recht artigen Streich, indem er
zu mir ins Zimmer kam und sagte: »Es müssen vier Stück metallene Nüsse in die Poller und Pollerstücke gegen die Kruke gemacht werden, auch haben alle Scheiben, Büchsen, Bolten und Splinten eine Verbesserung nötig, der eine eiserne Pfahlhake mit der Hinterfeder ist nicht mehr zu gebrauchen, und das Kreitau
–« – »So spreche Er doch deutsch, mein Freund! ich höre wohl, dass von
Seiner Windmühle die Rede ist, aber ich bin kein Mühlenbaumeister, der
die tausend Kleinigkeiten, so zu einer Mühle gehören, mit Namen kennet.«
Hier fing der Schalk an zu lachen und sagte mit einer recht witzigen
Gebärde: »Machte es doch unser Herr Pfarrer am Sonntage ebenso, er
redete in lauter Kunstwörtern, wobei uns armen Leuten Hören und Sehen
verging; ich dächte, er täte besser, wenn er wie ich seiner Gemeine
gutes Mehl lieferte und die Kunstwörter für die Bauverständigen sparte.«
»Wie, mein Freund!« fing der Pfarrer lächelnd an, der, ohne dass ihn
der Müller gesehen hatte, im Fenster stand, – aber dieser machte sich
geschwind aus dem Staube – und so ging die Rede unter uns beiden an,
worin der Pfarrer, welcher ein sehr vernünftiger Mann war, dem Müller
würklich recht gab, ob er gleich dafür hielt, dass er selbst gegen die
von demselben angegebene Regel nicht gefehlt und seiner Gemeine etwas
vorgetragen hätte, was ihren Begriffen nicht angemessen wäre. Wie aber
ein Wort so das andre holte: so kamen wir endlich auf die jetzt
allgemein herrschende Verfeinerung der Begriffe und auf die Frage: ob
solche nicht in ihrer Art ein eben solches Übel als die weiland beliebte
Empfindsamkeit werden würde? »Und Sie wollten es nicht billigen«, hob
der Pfarrer an, »wenn unsre Philosophen in das Innerste der Natur
dringen, jeden Begriff bis in seine Quelle verfolgen, hier die würkenden
Kräfte aufsuchen, solche mit Namen bezeichnen und das Unsichtbare der
Natur gleichsam zum Anschauen bringen? Sie wollten es nicht gut finden,
dass unsre Physiognomisten in unendlichen bisher unbemerkten Zügen die
Abdrücke unsers Charakters finden und damit unser Erkenntnis bereichern,
dass unsre Psychologisten alle Töne und Kräfte der Seele unterscheiden
und den Maßstab ans Unendliche legen und dass endlich unsre Sittenlehrer
die unzähligen Wendungen des menschlichen Herzens in Klassen ordnen und
die chaotische Masse der dunklen Begriffe zu lauter deutlichen erheben?«
»Das kann ich freilich wohl nicht missbilligen«, war meine Antwort,
»solange solches für Bauverständige und nicht für solche geschieht, die
nun endlich das Mehl erwarten, ohne sich um die Nüsse, Poller und Splinten
zu bekümmern. Aber mich dünkt, die wenigsten unter den Schriftstellern,
welche jetzt für das Publikum schreiben, beweisen diese Mäßigung. Auch
die besten unter ihnen schreiben nicht mehr vor das gemeine Auge, ihre
Worte sind nach ihrer zu scharfen Einsicht gestimmt, ihre Begriffe sind
zu tief aus der Sache geschöpft, sie beziehen sich auf Verhältnisse, die
nur den Baumeistern bekannt sind, und es kömmt mir oft so vor, als wenn
sie durch ein Vergrößerungsglas arbeiteten und die Dinge in einem ganz
andern Lichte, in einem so außerordentlichen Verhältnisse sähen, worin
sie sonst niemand erblickt. Man kann doch, wenn man sich unterrichten,
erbauen oder vergnügen will, nicht immer auch sein Vergrößerungsglas vor
sich haben oder, wenn man krank ist, den feinen Zergliederer dem
nützlichen Arzte vorziehen. Die natürliche Folge jenes Verfahrens ist,
daß sie auch ihre Empfindungen erhöhen und da jauchzen oder heulen, wo
ein andrer ehrlicher Mann, der das nicht siehet, was sie sehen, ganz
gleichgültig bleibt. Ja, ich kenne ihrer viele, die durch die
neuentdeckten Ähnlichkeiten und Verhältnisse in dem Unendlichen der
Natur in eine für den gemeinen Leser ganz unbegreifliche Schwärmerei
versetzet werden. Die Wissenschaft sollte meiner Meinung nach für den
Meister und die Frucht derselben für das allgemeine Beste sein. Mir ist
das Resultat einer großen Geistesarbeit und zum Beispiel der Gedanke,
das Einweihungsfest der neuen katholischen Kirche in Berlin mit dem
Gesange: Wir glauben alle an einen Gott etc. anzufangen, lieber
und lehrreicher, auch in seiner Stelle schöner und besser als die
feinste Zergliederung einer menschlichen Tugend.«
»Wenn aber«, fiel hier der Pfarrer ein, »die feinsten Wahrheiten
populär gemacht werden können!« – »Oh«, sagte ich, »wo das geschehn
kann, da höret mein Widerspruch auf; aber es ist gegen die Natur der
Sache, unendlich kleinen Teilgen und unendlich feinen Unterscheiden
Größe und Farbe zu geben, dass sie ein jeder sehen und empfinden kann.
Außer dem engen Kreise der Wissenschaften verwirret man nur damit den
gesunden Menschenverstand. Die ganze Behandlung einer Sache und die zu
deren Vortrag gewidmete Sprache wird dadurch entweder zu scharf bestimmt
oder zu mannigfaltig, um sie zu seinen ordentlichen Bedürfnissen zu
gebrauchen. Es geht derselben wie unsern fünf Sinnen, wenn sie schärfer
empfinden, als es für unsre Gesundheit und Bequemlichkeit gut ist. Das
ganze Reich des Unendlichen, was vor unsre Sinnen versteckt liegt, ist
überdem das Feld der Spekulation und Systeme. Jeder legt hier sein
Eignes an, bestimmt darnach seine Worte oder erfindet für seine
Hypothese besondre Zeichen, und wann die gemeine Menschensprache damit
überladen wird: so entsteht daraus, eben wie aus einer Menge zu
vielerlei Münzen, Beschwerde und Verwirrung; man unterscheidet, wo man
nicht unterscheiden sollte, und wird spitzfindig, anstatt brauchbar zu
werden; oder ein Mensch versteht den andern nicht mehr; und unsrer
jetzigen Sprache wird es wie der ehemaligen scholastischen ergehn, die
durch ihre Feinheit verunglückt ist, oder sie wird der gotischen
Schnitzelei ähnlich werden, welche den Mangel der Größe ersetzen sollte.
Sehe ich nun weiter auf die Menge derjenigen, die in Raffaels Manier
arbeiten, ohne Raffaels Geist zu haben –«
»Oh! der Müller soll recht haben«, schloss mein Freund, »das Kreitau
soll für die Kunstverständigen bleiben, wir wollen uns an sein Mehl
halten.«
(Aus dem 1778 erschienenen Dritten Teil der 'Patriotischen Phantasien')
ZUM GEBURTSTAG DES JURISTEN
Über den Autor (1720-1794)
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