Dienstag, 16. Dezember 2014

Karl Gutzkow: Vom Baum der Erkenntnis. Denksprüche

Bilde dir die Befähigung aus, alles, was du erstrebst und erlebst, dir gegenständlich zu machen und unterzuordnen einem einzigen großen Gedanken, dem leitenden deines ganzen Lebens. Besitzest du dann freilich nicht den Mut, diese Richtschnur deiner Handlungen frei und offen auch mit den Lippen zu bekennen, nun, so kann es an sich den Wert deines Daseins nicht verringern, wenn dessen edleres Wollen auch nur unausgesprochen in ihm treibt, drängt, wirkt, verborgen wie die Blüte der Religion duftet, Gebet, Selbstbetrachtung, die sich nur unter dem Auge Gottes weiß. Besitzest du ihn aber, diesen Mut, der seinen Handlungen und Unterlassungen, seiner Liebe, seinem Hass, auch äußerlich den Stempel eines weihevollen Ursprungs, das Gepräge bewussten Wollens vor der Welt aufzudrücken wagt, so führst du, wie der Dichter sagt, »ein Schauspiel für Götter« auf, vorausgesetzt, dass Inhalt und Form deines Lebensgedichts immer unter den Gesetzen der Schönheit und Wahrheit zugleich stehen.

(Aus der 1869 erschienenen Aphorismensammlung)

ZUM TODESTAG DES SCHRIFTSTELLERS

Über den Autor (1811-1878)

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