Häuser? Aber, um genau zu sein, es waren Häuser, die nicht mehr da
waren. Häuser, die man abgebrochen hatte von oben bis unten. Was da war,
das waren die anderen Häuser, die danebengestanden hatten, hohe
Nachbarhäuser. Offenbar waren sie in Gefahr, umzufallen, seit man
nebenan alles weggenommen hatte; denn ein ganzes Gerüst von langen,
geteerten Mastbäumen war schräg zwischen den Grund des Schuttplatzes und
die bloßgelegte Mauer gerammt. Ich weiß nicht, ob ich schon gesagt
habe, daß ich diese Mauer meine. Aber es war sozusagen nicht die erste
Mauer der vorhandenen Häuser (was man doch hätte annehmen müssen),
sondern die letzte der früheren. Man sah ihre Innenseite. Man sah in den
verschiedenen Stockwerken Zimmerwände, an denen noch die Tapeten
klebten, da und dort den Ansatz des Fußbodens oder der Decke. Neben den
Zimmerwänden blieb die ganze Mauer entlang noch ein schmutzigweißer
Raum, und durch diesen kroch in unsäglich widerlichen, wurmweichen,
gleichsam verdauenden Bewegungen die offene, rostfleckige Rinne der
Abortröhre. Von den Wegen, die das Leuchtgas gegangen war, waren graue,
staubige Spuren am Rande der Decken geblieben, und sie bogen da und
dort, ganz unerwartet, rund um und kamen in die farbige Wand
hineingelaufen und in ein Loch hinein, das schwarz und rücksichtslos
ausgerissen war. Am unvergeßlichsten aber waren die Wände selbst. Das
zähe Leben dieser Zimmer hatte sich nicht zertreten lassen. Es war noch
da, es hielt sich an den Nägeln, die geblieben waren, es stand auf dem
handbreiten Rest der Fußböden, es war unter den Ansätzen der Ecken, wo
es noch ein klein wenig Innenraum gab, zusammengekrochen. Man konnte
sehen, daß es in der Farbe war, die es langsam, Jahr um Jahr, verwandelt
hatte: Blau in schimmliges Grün, Grün in Grau und Gelb in ein altes,
abgestandenes Weiß, das fault. Aber es war auch in den frischeren
Stellen, die sich hinter Spiegeln, Bildern und
Schränken erhalten hatten; denn es hatte ihre Umrisse gezogen und
nachgezogen und war mit Spinnen und Staub auch auf diesen versteckten
Plätzen gewesen, die jetzt bloßlagen. Es war in jedem Streifen, der
abgeschunden war, es war in den feuchten Blasen am unteren Rande der
Tapeten, es schwankte in den abgerissenen Fetzen, und aus den garstigen
Flecken, die vor langer Zeit entstanden waren, schwitzte es aus. Und aus
diesen blau, grün und gelb gewesenen Wänden, die eingerahmt waren von
den Bruchbahnen der zerstörten Zwischenmauern, stand die Luft dieser
Leben heraus, die zähe, träge, stockige Luft, die kein Wind noch
zerstreut hatte. Da standen die Mittage und die Krankheiten und das
Ausgeatmete und der jahrealte Rauch und der Schweiß, der unter den
Schultern ausbricht und die Kleider schwer macht, und das Fade aus den
Munden und der Fuselgeruch gärender Füße. Da stand das Scharfe vom Urin
und das Brennen vom Ruß und grauer Kartoffeldunst und der schwere,
glatte Gestank von alterndem Schmalze. Der süße, lange Geruch von
vernachlässigten Säuglingen war da und der Angstgeruch der Kinder, die
in die Schule gehen, und das Schwüle aus den Betten mannbarer Knaben.
Und vieles hatte sich dazugesellt, was von unten gekommen war, aus dem
Abgrund der Gasse, die verdunstete, und anderes war von oben
herabgesickert mit dem Regen, der über den Städten nicht rein ist. Und
manches hatten die schwachen, zahm gewordenen Hauswinde, die immer in
derselben Straße bleiben, zugetragen, und es war noch vieles da, wovon
man den Ursprung nicht wußte. Ich habe doch gesagt, daß man alle Mauern
abgebrochen hatte bis auf die letzte –? Nun, von dieser Mauer spreche
ich fortwährend. Man wird sagen, ich hätte lange davorgestanden; aber
ich will einen Eid geben dafür, daß ich zu laufen begann, sobald ich die
Mauer erkannt hatte. Denn das ist das Schreckliche, daß ich sie erkannt
habe. Ich erkenne das alles hier, und darum geht es so ohne weiteres in
mich ein: es ist zu Hause in mir.
(Aus dem 1910 erschienenen Pariser Tagebuchroman)
ZUM GEBURTSTAG DES DICHTERS
Über den Autor (1875-1926)
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