Wir wollen annehmen, dass wir einem Unbekannten ein Kartenspiel anböten. Wenn dieser uns antwortete: Ich spiele nicht, so würden wir dies entweder auslegen müssen, dass er das Spiel nicht
verstünde, oder eine Abneigung dagegen hätte, die in ökonomischen,
sittlichen oder andern Gründen liegen mag. Gesetzt aber, ein ehrlicher
Mann, von dem man wüsste, dass er alle mögliche Stärke im Spiel besäße
und in den Regeln so wohl als verbotenen Künsten desselben bewandert
wäre, der ein Spiel aber niemals anders als auf den Fuß eines
unschuldigen Zeitvertreibes lieben und treiben könnte, würde in einer
Gesellschaft von feinen Betrügern, die für gute Spieler gelten und
denen er von beiden Seiten gewachsen wäre, zu einer Partie mit ihnen
aufgefordert. Wenn dieser sagte: Ich spiele nicht, so würden wir mit ihm den Leuten ins Gesicht sehen müssen, mit denen er redet, und seine Worte also ergänzen können: » Ich spiele nicht,
nämlich mit solchen, als ihr seid, welche die Gesetze des Spiels
brechen und das Glück desselben stehlen. Wenn ihr ein Spiel anbietet,
so ist unser gegenseitiger Vergleich, den Eigensinn des Zufalls für
unsern Meister zu erkennen, und ihr nennt die Wissenschaft eurer
geschwinden Finger Zufall, und ich muss ihn dafür annehmen, wenn
ich will, oder die Gefahr wagen, euch zu beleidigen, oder die Schande
wählen, euch nachzuahmen. Hättet ihr mir den Antrag getan, miteinander
zu versuchen, wer der beste Taschenspieler von uns in Karten wäre, so
hätte ich anders antworten und vielleicht mitspielen wollen, um euch zu
zeigen, dass ihr so schlecht gelernt habt Karten machen, als ihr
versteht, die euch gegeben werden, nach der Kunst zu werfen.« In diese
rauhen Töne lässt sich die Meinung des Sokrates auflösen, wenn er den
Sophisten, den Gelehrten seiner Zeit, sagte: Ich weiß nichts. Daher kam
es, dass dies Wort ein Dorn in ihren Augen und eine Geißel auf ihren
Rücken war. Alle Einfälle des Sokrates, die nichts als Auswürfe und Absonderungen seiner Unwissenheit waren, schienen ihnen so fürchterlich als die Haare an dem Haupte Medusens, dem Nabel der Ägide.
(Aus dem Zweiten Abschnitt der 1759 erschienenen Schrift)
ZUM TODESTAG DES PHILOSOPHEN
Über den Autor (1730-1788)
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