Gestern begegnete ich einem Gedanken. / Ich war gerade spazieren und wollte wieder zurück, weil ich
anfing, hungrig zu werden, und außerdem dachte ich, jetzt wirds bald
regnen, denn der Himmel hatte sich bezogen. / Da traf ich, wie gesagt, einen Gedanken. Ich weiß noch genau
die Stelle, wo es war. Dort, wo der Wald aufhört, beginnt aufzuhören. / Ich bemerkte den Gedanken nicht sogleich, erst als er an mir
vorbeiging und mich ansah – da hielt ich unwillkürlich, ich hatte so
etwas schönes noch nie gesehen! / Ich konnt mich zuerst gar nicht rühren vor Überraschung. Und
dann war der Gedanke an mir vorbei. Ich lief ihm nach und fand ihn
nirgends – er war weg. / Zu dumm! / Ich ärgerte mich, wie kann man nur so blöd sein und so einen schönen Gedanken vergessen! / Und ich strengte mich an, dass er mir einfallen möge wieder,
aber er blieb aus. Er kam nicht wieder. Ich lief ihm nach an vielen
platten Gedanken vorbei, hübschen und nicht hübschen, hässlichen, es
kamen mir inzwischen auch neue Gedanken, ich traf auch neue, fremde
wurden mir vorgestellt. Aber der Gedanke, den ich suchte, blieb mir
fern. Und ich wusste, ich brauche ihn, auf diesen Gedanken habe ich immer
schon gewartet. / Aber es sollte nicht sein! / Ich gab die Hoffnung schon auf und unterhielt mich mit anderen
Gedanken. Gedanken, die aus dem Schnaps kommen, aus Wein und Bier, aus
einem guten Braten, aus einer hohen Kirche, vom Markt – kurz allerhand
Kraut und Rüben. / Aber ganz heimlich in mir blieb die Sehnsucht wach nach dem einen großen Gedanken – / Ob ich ihn jemals wiedersehen werde? / Manchmal
dachte ich schon, ich hätte ihn wieder, aber das war alles Täuschung.
Vielleicht war eine gewisse Ähnlichkeit vorhanden, aber er war es nicht. / Und ich wurde immer trauriger über den schönen Gedanken. Ich
wusste, wenn ich ihn wiederhabe, dann darf mich die ganze Welt gern
haben. / Dann pfeif ich auf alles. / Und dann kam ein Gedanke, es war ein sehr gescheiter belesener
Gedanke, der sagte: Hör mal, ich glaub, das war gar kein Gedanke, mir
scheint, das war eher ein Gefühl – / Ein Gefühl? Dass ich nicht lache! / Lacht nicht! Man kann das oft nicht so genau unterscheiden – es
gibt Grenzen, man meint, man hat ein Gefühl, und derweil denkt man nur,
und einen Gedanken, und derweil ist das alles nur Gefühl! / Ich verbitte mir das! Ich werde wohl noch einen Gedanken von einem Gefühl unterscheiden können! / Abwarten! Was bin zum Beispiel ich?
Es gibt keinen ganz reinen Gedanken, immer ist auch irgendwo
versteckt ein paar Prozent Gefühl und umgekehrt! Aber den Gedanken, den
ich traf und vergessen habe, das war der reinste Gedanke! Und drum sehn
ich mich auch so mit ganzem Herzen nach ihm. // Er starb. Und als der Engel des Todes kam, sagte er: Ach, du bist ja mein Gedanke – / Ja, sagte er, ich bin mal an dir vorbei und hab mir gedacht,
soll dich jetzt der Schlag treffen oder nicht? Dann hab ichs mir
überlegt. Ich bin weder ein Gedanke, noch ein Gefühl, ich bin der
Friede! Friede auf Erden den Menschen, die unter der Erde liegen! Komm,
ich bin das Nichts. Drum hast du mich auch vergessen. Denn ein Nichts
kann man nicht behalten.
(Postum erschienener Prosatext)
ZUM TODESTAG DES ÖSTERREICH-UNGARISCHEN SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1901-1938)
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