Wenn jemand eine Reise tut, / So kann er was erzählen / sagt
Herr Urian, und ich füge hinzu: er kann’s nicht bloß, er will’s meist
auch. Das Erzählen in langen und breiten Briefen aber, wie und es hier
verübt habe, ist im allgemeinen aus der Mode gekommen. Erstens wohl,
weil das Reisen nichts weiter besonderes mehr ist, dann, weil man heute
überhaupt nicht mehr gerne lange Briefe schreibt, und schließlich, weil
es überall Ansichtspostkarten gibt. Wenn ich trotzdem diese Briefe
geschrieben und mich sozusagen in einen gewissen Gegensatz zu meinen
Zeitgenossen gebracht habe, so ist dies nicht lediglich aus der bösen
Lust am Andersmachen zu erklären, sondern, vielleicht, zu entschuldigen
durch folgende drei Umstände. Erstens: Meine Reise war etwas Besonderes.
Zweitens: Ich schreibe gerne lange Briefe. Drittens: Auf den
Ansichtspostkarten ist so schrecklich wenig Platz, dass sie meinem
Mitteilungsbedürfnis nicht genügen. / Der Hauptgrund ist natürlich
der erste. Es wird zwar, wie ich glaube, nicht mehr lange dauern, und
das Reisen im Automobil ist etwas Gewöhnliches; vor der Hand aber
gehören längere Reisen dieser Art noch zu den Seltenheiten. Die
vorliegende Schilderung eines solchen Unternehmens ist, soviel ich weiß,
die erste, die in Deutschland als Buch veröffentlicht wird. Nur in
Sportszeitungen bin ich kürzeren Beschreibungen längerer Touren
begegnet, und bei ihnen handelte es sich fast ausschließlich um
Äußerungen rein sportlichen Interesses. Meine Reise aber hat mit dem
Automobilsport als solchem nicht viel zu tun, – sonst hätte ich sie
nicht als eine empfindsame Reise bezeichnen können, denn was ein
richtiger „Automobilist“ ist, der kennt die Empfindsamkeit nicht. Ich
meine das Wort natürlich in seiner alten Bedeutung und nicht in dem
Sinne von Sentimentalität, den es jetzt angenommen hat. Empfindsamkeit
heißt mit der Zustand und die Gabe stets bereiter Empfänglichkeit für
alles, was auf die Empfindung wirkt, die Fähigkeit und Bereitschaft,
neue Eindrücke frisch und stark aufzunehmen. Mit offenen, wachen, allen
Erscheinungen des Lebens, der Natur zugewandten Sinnen reisen nenne ich
empfindsam reisen, und dieses Reisen allein erscheint mir als das
wirkliche Reisen, wert und dazu angetan, zur Kunst erhoben zu werden.
Doch darüber wird man in diesen Briefen meine Meinung öfter vernehmen,
und ich hoffe, dass dieses Buch meine Leser davon überzeugen wird, dass
wir jetzt im Automobil das Mittel an der Hand haben, die Kunst des
Reisens aufs neue zu pflegen und noch weiter zu führen, als es ihr in
der Zeit der Reisekutschen beschieden gewesen ist, denen unsre Vorfahren
Genüssen zu verdanken gehabt haben, wie sie der Eisenbahnreisende nicht
einmal ahnt. Der gewöhnliche „Automobilist“ allerdings auch nicht; der
ist dazu zu sehr Sportsman. Erst, wenn der Automobilismus aufhört,
ausschließlich ein Sport zu sein, wird er für die Kunst des Reisens das
bedeuten, was seine eigentliche Bestimmung ist. / Ich möchte nicht
missverstanden werden: Ich unterschätze die Bedeutung des Automobilsports
für die Entwickelung der Sache keineswegs, schlage sie vielmehr hoch an
und lasse mich darin auch durch die Auswüchse des Rennwagenwesens nicht
irre machen. Dieses wird für die Motorwagenindustrie immer die
Bedeutung haben, die der Rennpferdesport für die Pferdezucht hat. Aber
das Eigentliche dieser großen neuen Erscheinung, die den Rang eines
starken Kulturfaktors hat, liegt nicht im Sport. Der hat nur
Experimentalwert. In der Ausnutzung seiner Resultate für das allgemeine,
in seiner Übersetzung ins praktische Leben liegt die Zukunft des
Automobilismus. / Meine Reise war der Versuch einer praktischen
Probe auf das Exempel des Sports, und ich bringe ihre Schilderung vor
die Öffentlichkeit, weil sie gelungen ist, und zwar gelungen nicht mit
einem der Millionärsvehikel, die nur Portemonnaiegranden erschwinglich
sind, sondern mit einem leichten, billigen Wagen. – Für mich wäre er
freilich immer noch zu teuer gewesen, und so will ich, um mich keiner
Vorspiegelung falscher Tatsachen schuldig zu machen, und um gleichzeitig
gebührenden Dank auszusprechen, zum Schlusse nicht verhehlen, dass ich
die Möglichkeit, diesen angenehmen Versuch zu machen, nicht meinen
Einkünften als deutscher Dichter, sondern der Freundlichkeit des Verlags
August Scherl G. m. b. H. verdanke, der mir den Wagen für die Dauer der
Reise zur Verfügung gestellt hat.
(Vorwort zum 1903 erschienenen Brieftagebuch)
ZUM GEBURTSTAG DES SCHRIFTSTELLERS
Über den Autor (1865-1910)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen