Es ist eine goldne Regel, eine Haupterfahrung, die uns bei allen
unsern Erwägungen der Redekunst an keiner Stelle verlassen darf, daß
nämlich das Gemüt des vollständigen und gesunden Menschen beständig in
kriegerischer Disposition und zum Widerspruche geneigt ist. Wollen wir
also mit den Waffen der Rede oder des Arms verteidigen, so müssen wir
anzuklagen und anzugreifen wissen, was verteidigt werden soll. Der
Sachverwalter eines Verbrechers muß die stärkste Anklage gegen ihn
führen, um ihn mit wahrem Erfolge verteidigen zu können: der Sachwalter
der Tugend muß alle Ränke kennen, die seinen Gegenstand verunglimpfen
können, ebenso wie der wahre Gottesgelehrte ohne gründliche Erkenntnis
des Teufels nicht zu denken ist. Dies ist die erhabene Kunst, welche
unter den Lobrednern des letzten Jahrhunderts den großen Bossuet so weit
über den
Thomas, und die unter den gerichtlichen Sachwaltern den britischen
Redner Erskine weit über alle seine Standesgenossen erhebt. Dies ist die
zierliche Kunst, welche die Frauen mit dem sichersten und glücklichsten
Erfolge üben, ja das ganze Geheimnis ihrer weltlichen Herrschaft: sie
klagen an, was sie verteidigen, raten ab von dem, was sie erreichen
wollen: sie verdecken Falten und Eigenheiten der Seele, die sie zeigen
wollen, sie scheinen auszuweichen dem, was sie wünschen: kurz dies
Geschlecht versetzt alles in die Disposition, es zu verteidigen.
Auf gleiche Weise kann man sicher glauben, daß überhaupt die
Anhänglichkeit an einen geliebten Gegenstand noch nicht weit bei uns
gediehen, so lange unser Lob noch unbegrenzt ist: aber wenn wir
bescheiden werden, im Namen des geliebten Gegenstandes, wenn wir ihn mit
Rückhalt, mit Einschränkung und Ausnahmen zu loben anfangen, so etwa,
wie ein Bruder von der Schönheit seiner Schwester spricht, dann
beschäftigt er uns ganz. Kurz, wo wir aus Liebe ungerecht werden könnten
gegen die Welt, und ausschweifend und abgöttisch werden könnten im
Lobe, da hat uns die Natur schon wieder sanft in die Bahn der
Gerechtigkeit eingelenkt.
Was aber sagt diese ganze Regel: »Wisse anzuklagen, wo du verteidigen willst«.
(Aus dem Vorwort der 1816 erschienenen Schrift)
ZUM TODESTAG DES POLITIKERS
Über den Autor (1779-1829)
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