Donnerstag, 8. Januar 2015

Samuel von Pufendorf: Einleitung zu der Historie der vornehmsten Reiche und Staaten ...

Es kan ein jeder sich dieses leichtlich einbilden / daß nicht alsobald bey Anfang des Menschlichen Geschlechts sothane [= solche] Staaten / als itzo sind / gewesen / sondern es hat in ersten Zeiten der Welt ein jeder Haußvater frey für sich selbst / und ausser Gewalt eines höhern gelebet und sein Weib / Kinder und Gesinde gleichsam als souverain regieret. Ja es kommt mir sehr glaublich vor / daß es die gantze Zeit über biß an die Sündfluth keinen Staat / so mit hoher bürgerlicher Herrschafft und Ordnung verfasset / gegeben; sondern daß keine andere Regierung als der Haußvater gewesen. Angesehen nicht glaublich scheinet / daß eine sothane abscheuliche Unordnung hätte können einreissen / wenn die Menschen der bürgerlichen Herrschafft und Gesetzen wären unterworffen gewesen. Wie denn nach eingerichteten Republiquen die Menschen niemals widerum durchgehends in ein solches wüstes Wesen verfallen / daß GOtt demselben nicht anders als mit einer allgemeinen äussersten Straffe steuren können / ungeachtet die innerliche Wurtzel des Bösen sowol nach / als vor der Sündflut sich kräfftig befunden. Es scheinet auch / daß geraume Zeit nach der Sündfluth dieser Stand der abgesonderten und einzelen Haußväter gedauret habe.

Daß aber die Haußväter diesen Stand verlassen / und sich in grosse Gesellschafften zusammen gefüget / scheinet Anlaß gegeben zu haben / weil unter denen nahe wohnenden allerhand Irrungen entstunden / welche nachdem sie durch das Faustrecht ausgeführet wurden / grosse Ungelegenheiten verursachten. Und demnach hielte man Ruhe und Friede zu erhalten dienlich / die Entscheidung sothaner Irrungen dem Klügsten und Ansehnlichsten auß der Nachbarschafft auffzutragen. Man verspürete auch bey Vermehrung der Menschen etzlicher bösen Buben Muthwillen und Eintrang und sahe dabey / wie leicht es wäre / einen einzelen Mann mit seinem Weib und Kindern zu unterdrücken / wenn nur einige wenige Bösewichter sich zusammen rotteten. Wider diese nun Sicherheit zu haben / vereinigten sich die Nachbarn und die so leichtl. einander zu hülffe kommen kunten / umb einander beyzustehen. Und solches desto besser ins Werck zu stellen / trug man die Regierung der Gesellschafft demjenigen auf / so an Verstand und Tapfferkeit die andern zu übertreffen schiene. Es ist auch sehr glaublich / daß wenn eine Parthey Leute sich vereiniget neue Wohnstädte zu suchen / sie einen Anführer erwehlet / der bey ihrer Reyse / und Einrichtung der neuen Landschafften die Direction führete. Und dieser Richter / Obristen und Anführer Ampt ist allgemach eine solche Art der Regierung erwachsen / die Aristoteles ein Heroisch Reich genennet / so nichts anders ist / als eine Democratie mit einem sothanen vornehmen Bürger / der mehr Ansehen etwas zu rathen / als Macht nach seinem Belieben zu befehlen hatte. Und scheinet dieses die ältiste Art von Republiquen zu sein; angesehen die Haußvater nicht so stracks ihre natürliche Freyheit vergessen können / daß sie ja zum wenigsten nicht wolten ihre Meinung und Beyfall geben zu den Schlüssen / so im Namen der gantzen Gesellschafft solten gefasset werden.

(Aus dem ersten Kapitel der 1695 erschienenen Schrift)

ZUM GEBURTSTAG DES GELEHRTEN

Über den Autor (1632-1694)

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