Wenn von Beziehungen zwischen Licht und Elektrizität die Rede
ist, denkt der Laie zunächst an das elektrische Licht. Mit diesem
Gegenstand hat indessen unser heutiger Vortrag nichts zu tun. Dem
Physiker fallen dabei eine Reihe zarter Wechselwirkungen zwischen beiden
Kräften ein, etwa die Drehung der Polarisationsebene durch den Strom
oder die Änderung von Leitungswiderständen durch das Licht. In diesen
treffen indes Licht und Elektrizität nicht unmittelbar zusammen,
zwischen beide große Kräfte tritt als Vermittler ein Drittes, die
ponderable Materie. Auch mit dieser Gruppe von Erscheinungen wollen wir
uns nicht befassen. Es gibt andere Beziehungen zwischen beiden Kräften,
inniger, enger als die bisher erwähnten. Die Behauptung, welche ich vor
Ihnen vertreten möchte, sagt geradezu aus: Das Licht
ist eine elektrische Erscheinung, das Licht an sich,
alles Licht, das Licht der Sonne, das Licht einer Kerze, das Licht eines
Glühwurms. Nehmt aus der Welt die Elektrizität, und das Licht
verschwindet; nehmt aus der Welt den lichttragenden Äther, und die
elektrischen und magnetischen Kräfte können nicht mehr den Raum
überschreiten. Dies ist unsere Behauptung. Sie ist nicht von heute und
gestern, sie hat schon eine längere Geschichte hinter sich. Ihre
Geschichte gibt ihre Begründung. Eigene Versuche von mir,
welche
sich auf diesen Gegenstand beziehen, bilden nur ein Glied in einer
längeren Kette. Und von der Kette, nicht allein von dem einzelnen
Gliede, möchte ich Ihnen erzählen. Nicht leicht ist es freilich, von
diesen Dingen zugleich verständlich und völlig zutreffend zu reden. Die
Vorgänge, von welchen wir handeln, haben ihren Tummelplatz im leeren
Raum, im freien Äther. Diese Vorgänge sind an sich unfaßbar für die
Hand, unhörbar für das Ohr, unsichtbar für das Auge; der inneren
Anschauung, der begrifflichen Verknüpfung sind sie zugänglich, aber nur
schwer der sinnlichen Beschreibung. Soviel wie möglich wollen wir daher
versuchen, an die Anschauungen und Vorstellungen anzuknüpfen, welche wir
schon besitzen. Rufen wir uns also zurück, was wir vom Licht und der
Elektrizität Sicheres wissen, ehe wir versuchen, beide miteinander in
Verbindung zu setzen.
Was ist denn das Licht? Seit den Zeiten
Youngs und
Fresnels wissen wir, daß es eine Wellenbewegung ist. Wir
kennen die Geschwindigkeit der Wellen, wir kennen ihre Länge, wir
wissen, daß es Transversalwellen sind; wir kennen mit einem Wort die
geometrischen Verhältnisse der Bewegung vollkommen. An diesen Dingen ist
ein Zweifel nicht mehr möglich, eine Widerlegung dieser Anschauung ist
für den Physiker undenkbar. Die Wellentheorie des Lichts ist, menschlich
gesprochen, Gewißheit; was aus derselben mit Notwendigkeit folgt, ist
ebenfalls Gewißheit. Es ist also auch gewiß, daß aller Raum, von dem wir
Kunde haben, nicht leer ist, sondern erfüllt mit einem Stoff, welcher
fähig ist, Wellen zu schlagen, dem Äther. Aber so bestimmt auch unsere
Kenntnisse von den geometrischen Verhältnissen der Vorgänge in diesem
Stoff sind, so unklar sind noch unsere Vorstellungen von der
physikalischen Natur dieser Vorgänge, so widerspruchsvoll zum Teil
unsere Annahmen über die Eigenschaften des Stoffes selbst. Naiv und
unbefangen hatte man von vornherein die Wellen des Lichts, sie mit denen
des Schalles vergleichend, als elastische Wellen angesehen und
behandelt. Nun sind aber elastische Wellen in Flüssigkeiten nur in der
Form von Longitudinalwellen bekannt. Elastische Transversalwellen in
Flüssigkeiten und Gasen sind nicht bekannt, sie sind nicht einmal
möglich, sie widersprechen der Natur des flüssigen Zustandes. Also war
man zu der Behauptung gezwungen,
der
raumerfüllende Äther verhalte sich wie ein fester Körper. Betrachtete
man dann aber den ungestörten Lauf der Gestirne und suchte sich
Rechenschaft von der Möglichkeit desselben zu geben, so war wiederum die
Behauptung nicht zu umgehen, der Äther verhalte sich wie eine
vollkommene Flüssigkeit. Nebeneinander bildeten beide Behauptungen einen
für den Verstand schmerzhaften Widerspruch, welcher die schön
entwickelte Optik entstellte. Suchen wir denselben nicht zu bemänteln;
wenden wir uns vielmehr der Elektrizität zu, vielleicht daß ihre
Erforschung uns zur Hebung auch dieser Schwierigkeit verhilft.
Was ist denn die Elektrizität? Das ist allerdings eine große
Frage. Sie erregt Interesse weit über die Grenzen der engeren
Wissenschaft hinaus. Die meisten, welche sie stellen, zweifeln dabei
nicht an der Elektrizität an sich, sie erwarten eine Beschreibung, eine
Aufzählung der Eigenschaften und Kräfte dieses wunderbaren Stoffes. Für
den Fachmann hat die Frage zunächst die andere Form: Gibt es denn
überhaupt Elektrizitäten? Lassen sich die elektrischen Erscheinungen
nicht wie alle anderen Erscheinungen allein auf die Eigenschaften des
Äthers und der ponderablen Materie zurückführen? Wir sind weit davon
entfernt, darüber entschieden zu haben, diese Frage bejahen zu können.
In unserer Vorstellung spielt sicherlich die stofflich gedachte
Elektrizität eine große Rolle. Und in der Redeweise vollends herrschen
heutzutage noch unumschränkt die althergebrachten, allen geläufigen, uns
gewissermaßen liebgewordenen Vorstellungen von den beiden sich
anziehenden und abstoßenden Elektrizitäten, welche mit ihren
Fernwirkungen wie mit geistigen Eigenschaften begabt sind. Die Zeit, in
welcher man diese Vorstellungen ausbildete, war die Zeit, in welcher das
Newtonsche Gravitationsgesetz seine schönsten Triumphe am
Himmel feierte; die Vorstellung von unvermittelten Fernwirkungen war
den Geistern geläufig. Die elektrischen und magnetischen Anziehungen
folgten dem gleichen Gesetz wie die Wirkung der Gravitation; was Wunder,
wenn man glaubte, durch Annahme einer ähnlichen Fernwirkung die
Erscheinungen in einfachster Weise erklärt, dieselben auf den letzten
erkennbaren Grund zurückgeführt zu haben. Freilich wurde das anders, als
im gegenwärtigen Jahrhundert die Wechselwirkungen zwischen elektrischen
Strömen
und Magneten hinzukamen, welche unendlich viel mannigfaltiger sind, in
welchen die Bewegung, die Zeit eine so große Rolle spielt. Man wurde
gezwungen, die Zahl der Fernwirkungen zu vermehren, an ihrer Form
herumzubessern. Dabei ging die Einfachheit, die physikalische
Wahrscheinlichkeit mehr und mehr verloren. Durch das Aufsuchen
umfassender einfacher Formen, sogenannter Elementargesetze, suchte man
diese wiederzuerlangen. Das berühmte
Webersche Gesetz ist der wichtigste Versuch dieser Art.
Man mag über die Richtigkeit desselben denken, wie man will, die
Gesamtheit dieser Bestrebungen bildete ein in sich geschlossenes System
voll wissenschaftlichen Reizes; wer einmal in den Zauberkreis desselben
hineingeraten war, blieb in demselben gefangen. War der eingeschlagene
Weg gleichwohl eine falsche Fährte, so konnte Warnung nur kommen von
einem Geist von großer Frische, der wie von neuem unbefangen den
Erscheinungen entgegentrat, der wieder ausging von dem, was er sah,
nicht von dem, was er gehört, gelernt, gelesen hatte. Ein solcher Geist
war
Faraday.
Faraday hörte zwar sagen, daß bei der Elektrisierung eines Körpers man etwas
in ihn hineinbringe, aber er sah, daß die eintretenden Änderungen nur außerhalb sich bemerkbar machten, durchaus nicht im Innern.
Faraday wurde gelehrt, daß die Kräfte den Raum einfach
übersprängen, aber er sah, daß es von größtem Einfluß auf die Kräfte
war, mit welchem Stoff der angeblich übersprungene Raum erfüllt war.
Faraday las, daß es Elektrizitäten sicher gebe, daß man
aber über ihre Kräfte sich streite, und doch sah er, wie diese Kräfte
ihre Wirkungen greifbar entfalteten, während er von den Elektrizitäten
selbst nichts wahrzunehmen vermochte. So kehrte sich in seiner
Vorstellung die Sache um. Die elektrischen und magnetischen Kräfte
selber wurden ihm das Vorhandene, das Wirkliche, das Greifbare; die
Elektrizität, der Magnetismus wurden ihm Dinge, über deren Vorhandensein
man streiten kann. Die Kraftlinien, wie er die selbständig gedachten
Kräfte nannte, standen vor seinem geistigen Auge im Raum als Zustände
desselben, als Spannungen, als Wirbel, als Strömungen, als was auch
immer – das vermochte er selbst nicht anzugeben –, aber
da standen sie, beeinflußten einander, schoben und drängten die Körper hin und
her und
breiteten sich aus, von Punkt zu Punkt einander die Erregung mitteilend.
Auf den Einwand, wie denn im leeren Raum andere Zustände als
vollkommene Ruhe möglich seien, konnte er antworten: Ist denn der Raum
leer? Zwingt uns nicht schon das Licht, ihn als erfüllt zu denken?
Könnte nicht der Äther, welcher die Wellen des Lichtes leitet, auch
fähig sein, Änderungen aufzunehmen, welche wir als elektrische und
magnetische Kräfte bezeichnen? Wäre nicht sogar ein Zusammenhang
zwischen diesen Änderungen und jenen Wellen denkbar? Könnten nicht die
Wellen des Lichtes etwas wie Erzitterung solcher Kraftlinien sein?
So weit etwa kam
Faraday in seinen Anschauungen, seinen Vermutungen.
Beweisen konnte er dieselben nicht. Eifrig suchte er nach Beweisen.
Untersuchungen über den Zusammenhang von Licht, Magnetismus,
Elektrizität waren Lieblingsgegenstände seiner Arbeit. Der schöne
Zusammenhang, welchen er fand, war nicht derjenige, welchen er suchte.
Auch suchte er weiter, und nur sein höchstes Alter machte diesen
Bestrebungen ein Ende. Unter den vielen Fragen, welche er beständig
aufwarf, kehrte immer wieder die Frage, ob die elektrischen und
magnetischen Kräfte Zeit zu ihrer Ausbreitung nötig hätten. Wenn wir
einen Magneten plötzlich durch den Strom erregen, wird seine Wirkung
sofort bis zu den größten Entfernungen verspürt? Oder trifft sie
zunächst die benachbarten Nadeln, dann die folgenden, endlich die ganz
entfernten? Wenn wir einen Körper in schneller Abwechslung
umelektrisieren, schwankt dann die Kraft in allen Entfernungen
gleichzeitig? Oder treffen die Schwankungen um so später ein, je mehr
wir uns von dem Körper entfernen? In letzterem Falle würde sich die
Wirkung der Schwankung als eine Welle in den Raum ausbreiten. Gibt es
solche Wellen?
Faraday erhielt keine Antwort mehr auf diese Fragen. Und
doch ist ihre Beantwortung aufs engste mit seinen Grundvorstellungen
verknüpft. Wenn es Wellen elektrischer Kraft gibt, die unbekümmert um
ihren Ursprung im Raum forteilen, so beweisen sie uns aufs deutlichste
den selbständigen Bestand der Kräfte, welche sie bilden. Daß diese
Kräfte den Raum nicht überspringen, sondern von Punkt zu Punkt
fortschreiten, können wir nicht besser beweisen, als indem wir ihren
Fortschritt von Augenblick
zu
Augenblick tatsächlich verfolgen. Auch sind die aufgeworfenen Fragen der
Beantwortung nicht unzugänglich, es lassen sich wirklich diese Dinge
durch sehr einfache Versuche angreifen. Wäre es
Faraday vergönnt gewesen, den Weg zu diesen Versuchen
aufzuspüren, so hätten seine Anschauungen sogleich die Herrschaft
davongetragen. Der Zusammenhang von Licht und Elektrizität wäre dann von
Anfang an so hell hervorgetreten, daß er selbst weniger scharfsichtigen
Augen, als den seinen, nicht hätte entgehen können.
Indessen ein so leichter und schneller Weg war der Wissenschaft
nicht beschieden. Die Versuche gaben einstweilen keine Auskunft, und
auch der Theorie lag ein Eingehen in
Faradays Gedankenkreis zunächst fern. Die Behauptung, daß
elektrische Kräfte unabhängig von ihren Elektrizitäten bestehen
könnten, widersprach geradeswegs den herrschenden elektrischen Theorien.
Ebenso wies die herrschende Optik entschieden den Gedanken ab, es
könnten Wellen des Lichtes auch wohl anderer als elastischer Natur sein.
Der Versuch, die eine oder die andere dieser Behauptungen eingehender
zu behandeln, mußte fast als müßige Spekulation erscheinen. Wie sehr
müssen wir also den glücklichen Geist eines Mannes bewundern, welcher
zwei Vermutungen, die jede für sich so fern lagen, so miteinander zu
verknüpfen wußte, daß sie sich gegenseitig stützten, und daß das
Ergebnis eine Theorie war, welcher man die innere Wahrscheinlichkeit von
vornherein nicht absprechen konnte. Der Mann, von welchem ich rede, war
der Engländer
Maxwell. Man kennt seine im Jahre 1865 veröffentlichte
Arbeit unter dem Namen der elektromagnetischen Lichttheorie. Man kann
diese wunderbare Theorie nicht studieren, ohne bisweilen die Empfindung
zu haben, als wohne den mathematischen Formeln selbständiges Leben und
eigener Verstand inne, als seien dieselben klüger als wir, klüger sogar
als ihr Erfinder, als gäben sie uns mehr heraus, als seinerzeit in sie
hineingelegt wurde. Es ist dies auch nicht geradezu unmöglich; es kann
eintreten, wenn nämlich die Formeln richtig sind über das Maß dessen
hinaus, was der Erfinder sicher wissen konnte. Freilich lassen sich
solche umfassenden und richtigen Formeln nicht finden, ohne daß mit dem
schärfsten Blick jede leise Andeutung der Wahrheit aufgefaßt
wird, welche die Natur durchscheinen läßt. Es liegt für den Kundigen auf der Hand, welcher Andeutung hauptsächlich
Maxwell folgte. War dieselbe doch auch andern Forschern aufgefallen und hatte diese,
Riemann und
Lorenz, zu verwandten, wenn auch nicht ebenso glücklichen
Spekulationen angeregt. Es war der folgende Umstand. Bewegte
Elektrizität übt magnetische Kräfte, bewegter Magnetismus löst
elektrische Kräfte aus, welche Wirkungen indessen nur bei sehr großen
Geschwindigkeiten merklich werden. In den Wechselbeziehungen zwischen
Elektrizität und Magnetismus treten also Geschwindigkeiten ein, und die
Konstante, welche diese Beziehungen beherrscht und in denselben
beständig wiederkehrt, ist selber eine Geschwindigkeit von ungeheurer
Größe. Sie war auf verschiedenen Wegen, zuerst durch
Kohlrausch und
Weber, aus rein elektrischen Versuchen bestimmt worden
und hatte sich, soweit es überhaupt die schwierigen Versuche erkennen
ließen, gleich gezeigt einer andern wichtigen Geschwindigkeit des
Lichtes. Es mochte das Zufall sein, aber einem Jünger
Faradays konnte es nicht so erscheinen. Im [?] mußte es eine
Folge davon sein, daß derselbe Äther die elektrischen Kräfte und das
Licht übermittelt. Die beiden fast gleichzeitig gefundenen
Geschwindigkeiten mußten in Wahrheit genau gleich sein. Dann aber fand
sich die wichtigste optische Konstante in den elektrischen Formeln
bereits vor. Dies war das Band, welches
Maxwell zu verstärken suchte. Er erweiterte die
elektrischen Formeln in der Weise, daß sie alle bekannten Erscheinungen,
aber neben denselben auch eine unbekannte Klasse von Erscheinungen
enthielten, elektrische Wellen. Diese Wellen wurden dann
Transversalwellen, deren Wellenlänge jeden Wert haben konnte, welche
sich aber im Äther stets mit gleicher Geschwindigkeit, der
Lichtgeschwindigkeit, fortpflanzten. Und nun konnte
Maxwell darauf hinweisen, daß es Wellen von eben solchen
geometrischen Eigenschaften in der Natur ja wirklich gäbe, wenn wir auch
nicht gewöhnt sind, sie als elektrische Erscheinungen zu betrachten,
sondern sie mit einem besonderen Namen, als Licht, bezeichnen. Leugnete
man freilich
Maxwells elektrische Theorie, so fiel jeder Grund fort, seinen Ansichten in betreff des Lichtes beizutreten. Oder hielt man fest
daran, daß
das Licht eine Erscheinung elastischer Natur sei, so verlor seine
elektrische Theorie den Boden unter sich. Trat man aber, unbekümmert um
bestehende Anschauungen, an das Gebäude heran, so sah man einen Teil den
andern stützen wie die Steine eines Gewölbes, und das Ganze schien über
einem tiefen Abgrund des Unbekannten hinweg das Bekannte zu verbinden.
Die Schwierigkeit der Theorie erlaubte freilich nicht sogleich, daß die
Zahl ihrer Jünger sehr groß wurde. Wer aber einmal sie durchdacht hatte,
wurde ihr Anhänger und suchte eifrig fortan, ihre ersten
Voraussetzungen, ihre letzten Folgerungen zu prüfen. Die Prüfung durch
den Versuch mußte sich freilich lange Zeit auf einzelne Behauptungen,
auf das Außenwerk der Theorie beschränken. Ich verglich soeben die
Maxwellsche Theorie mit einem Gewölbe, welches eine Kluft
unbekannter Dinge überspannt. Darf ich in diesem Bilde noch fortfahren,
so würde ich sagen, daß alles, was man lange Zeit zur Kräftigung dieses
Gewölbes zu tun vermochte, darin bestand, daß man die beiden Widerlager
verstärkte. Das Gewölbe ward dadurch in den Stand gesetzt, sich selber
dauernd zu tragen, aber es hatte doch eine zu große Spannweite, als daß
man es hätte wagen dürfen, auf ihm als sicherer Grundlage nun weiter in
die Höhe zu bauen. Hierzu waren besondere Hauptpfeiler notwendig,
welche, vom festen Boden aufgemauert, die Mitte des Gewölbes faßten.
Einem solchen Pfeiler wäre der Nachweis zu vergleichen
gewesen, daß wir aus dem Licht unmittelbar elektrische oder magnetische
Wirkungen erhalten können. Dieser Pfeiler hätte unmittelbar dem
optischen, mittelbar dem elektrischen Teil des Gebäudes Sicherheit
verliehen. Ein
anderer Pfeiler wäre der Nachweis gewesen, daß es Wellen
elektrischer oder magnetischer Kraft gibt, welche sich nach Art der
Lichtwellen ausbreiten können. Dieser Pfeiler hätte umgekehrt
unmittelbar den elektrischen, mittelbar den optischen Teil gestützt.
Eine harmonische Vollendung des Gebäudes wird den Aufbau beider Pfeiler
erfordern, für das erste Bedürfnis aber genügt einer von ihnen. Der
erstgenannte hat noch nicht in Angriff genommen werden können; für den
letztgenannten aber ist es nach langem Suchen endlich geglückt, einen
sicheren Stützpunkt zu finden; das Fundament ist in genügender Breite
gelegt; ein
Teil des
Pfeilers steht aufgemauert da, und unter der Arbeit vieler hilfreicher
Hände wird er bald die Decke des Gewölbes erreichen und demselben die
Last des nun weiter zu errichtenden Gebäudes abnehmen. An dieser Stelle
war ich so glücklich, an der Arbeit Anteil nehmen zu können. Diesem
Umstand verdanke ich die Ehre, daß ich heute zu Ihnen reden darf; er
wird mich also auch entschuldigen, wenn ich nunmehr Ihre Aufmerksamkeit
ganz auf diesen einen Teil des Gebäudes hinzulenken versuche. Freilich
zwingt mich alsdann die Kürze dieser Stunde, entgegen der Gerechtigkeit,
die Arbeiten vieler Forscher kurzweg zu überspringen; ich kann Ihnen
nicht zeigen, in wie mannigfaltiger Weise meine Versuche vorbereitet
waren, wie nahe einzelne Forscher der Ausführung derselben bereits
gekommen sind.
War es denn wirklich so schwer nachzuweisen, daß elektrische
und magnetische Kräfte Zeit zu ihrer Ausbreitung brauchen? Konnte man
nicht eine Leidener Flasche entladen und direkt beobachten, ob die
Zuckung eines entfernten Elektroskops etwas später erfolgte? Genügte es
nicht, in gleicher Absicht auf eine Magnetnadel zu achten, während man
in einiger Entfernung plötzlich einen Elektromagneten erregte? In der
Tat hat man diese oder ähnliche Versuche früher auch wohl angestellt,
ohne indessen einen Zeitunterschied zwischen Ursache und Wirkung
wahrzunehmen. Einem Anhänger der
Maxwellschen Theorie muß das freilich als das notwendige
Ergebnis erscheinen, bedingt durch die ungeheure Geschwindigkeit der
Ausbreitung. Die Ladung einer Leidener Flasche, die Kraft eines Magneten
können wir schließlich nur auf mäßige Entfernungen wahrnehmen, sagen
wir, auf zehn Meter. Einen solchen Raum durchfliegt das Licht, also nach
der Theorie auch die elektrische Kraft, in dem dreißigmillionten Teil
der Sekunde. Ein derartiges Zeitteilchen können wir nicht unmittelbar
messen, nicht wahrnehmen. Aber, schlimmer als das, es stehen uns nicht
einmal Zeichen zu Gebote, welche fähig wären, eine solche Zeit mit
hinreichender Schärfe zu begrenzen. Wenn wir eine Länge bis auf den
zehnten Teil eines Millimeters genau messen wollen, dürfen wir den
Anfang nicht durch einen breiten Kreidestrich bezeichnen. Wenn wir eine
Zeit auf den tausendsten Teil der Sekunde genau bestimmen wollen, so ist
es widersinnig, ihren Beginn durch
den Schlag
einer großen Glocke anzeigen zu wollen. Die Entladungszeit einer
Leidener Flasche ist nun allerdings für unsere gewöhnlichen Begriffe
verschwindend kurz. Aber das ist sie sicherlich schon, wenn sie etwa den
dreißigtausendsten Teil der Sekunde füllt. Und doch wäre sie alsdann
für unseren gegenwärtigen Zweck noch mehr als tausendmal zu lang. Doch
legt uns hier die Natur ein feineres Mittel nahe. Wir wissen seit lange,
daß der Entladungsschlag einer Leidener Flasche kein gleichförmig
ablaufender Vorgang ist, daß er sich, ähnlich dem Schlag einer Glocke,
zusammensetzt aus einer großen Zahl von Schwingungen, von hin und her
gehenden Entladungen, welche sich in genau gleichen Perioden folgen. Die
Elektrizität ist imstande elastische Erscheinungen nachzuahmen. Die
Dauer jeder einzelnen Schwingung ist viel kleiner als die der
Gesamtladung; man kann auf den Gedanken kommen, die einzelne Schwingung
als Zeichen zu benützen. Aber leider füllten die kürzesten beobachteten
Schwingungen immer noch das volle Milliontel der Sekunde. Während eine
solche Schwingung verlief, breitete sich ihre Wirkung schon über
dreihundert Meter aus, in dem bescheidenen Raum eines Zimmers mußte sie
als gleichzeitig mit der Schwingung empfunden werden. So konnte aus
Bekanntem Hilfe nicht gewonnen werden, eine neue Erkenntnis mußte
hinzukommen. Was hinzukam, war die Erfahrung, daß nicht allein die
Entladung der Flaschen, daß vielmehr unter besonderen geeigneten
Umständen die Entladung jedes beliebigen Leiters zu Schwingungen Anlaß
gibt. Diese Schwingungen können viel kürzer sein als die der Flaschen.
Wenn Sie den Konduktor einer Elektrisiermaschine entladen, erregen Sie
Schwingungen, deren Dauer zwischen dem hundertmillionsten und dem
tausendmillionsten Teil der Sekunde liegt. Freilich folgen sich diese
Schwingungen nicht in lang anhaltender Reihe, es sind wenige, schnell
verlöschende Zuckungen. Es wäre besser für unsere Versuche, wenn dies
anders wäre. Aber die Möglichkeit des Erfolges ist uns schon gewährt,
wenn wir auch nur zwei oder drei solcher scharfen Zeichen erhalten. Auch
im Gebiete der Akustik können wir mit klappernden Hölzern eine dürftige
Musik erzeugen, wenn uns die gedehnten Töne der Pfeifen und Saiten
versagt sind.
Wir haben jetzt Zeichen, für welche der dreißigmillionste Teil
der Sekunde nicht mehr kurz ist. Aber dieselben würden uns noch wenig
nützen, wenn wir nicht imstande wären, ihre Wirkung bis in die
beabsichtigte Entfernung von etwa zehn Metern auch wirklich
wahrzunehmen. Es gibt hierfür ein sehr einfaches Mittel. Dorthin, wo wir
die Kraft wahrnehmen wollen, bringen wir einen Leiter, etwa einen
geraden Draht, welcher durch eine feine Funkenstrecke unterbrochen ist.
Die rasch wechselnde Kraft setzt die Elektrizität des Leiters in
Bewegung und läßt einen Funken in demselben auftreten. Auch dies Mittel
mußte durch die Erfahrung selbst an die Hand gegeben werden, die
Überlegung konnte es nicht wohl voraussehen. Denn die Funken sind
mikroskopisch kurz, kaum ein hundertstel Millimeter lang; ihre Dauer
beträgt noch nicht den millionsten Teil der Sekunde. Es erscheint
unmöglich, fast widersinnig, daß sie sollten sichtbar sein, aber im
völlig dunkeln Zimmer für das geschonte Auge
sind sie sichtbar. An diesem dünnen Faden hängt das
Gelingen unseres Unternehmens. Zunächst drängt sich uns eine Fülle von
Fragen entgegen. Unter welchen Umständen werden unsere Schwingungen am
stärksten? Sorgfältig müssen wir diese Umstände aussuchen und ausnützen.
Welche Form geben wir am besten dem empfangenden Leiter? Wir können
gerade, wir können kreisförmige Drähte, wir können Leiter anderer Form
wählen, die Erscheinungen werden immer etwas anders ausfallen. Haben wir
die Form festgesetzt, welche Größe wählen wir? Schnell zeigt sich, daß
dieselbe nicht gleichgültig ist, daß wir nicht jede Schwingung mit
demselben Leiter untersuchen können, daß Beziehungen zwischen beiden
bestehen, welche an die Resonanzerscheinungen der Akustik erinnern. Und
schließlich, in wieviel verschiedenen Lagen können wir nicht einen und
denselben Leiter in die Schwingungen halten! Bald sehen wir dann die
Funken stärker ausfallen, bald schwächer werden, bald ganz verschwinden.
Ich darf es nicht wagen, Sie von diesen Einzelheiten unterhalten zu
wollen, im großen Zusammenhang sind es Nebensachen. Aber es sind nicht
Nebensachen für den Arbeiter auf diesem Gebiete. Es sind die
Eigentümlichkeiten seines Werkzeuges. Wie sehr der Arbeiter sein
Werkzeug kennt, davon hängt ab, was er mit demselben ausrichtet. Das
Studium des
Werkzeuges,
das Eingehen in die erwähnten Fragen bildete denn auch den Hauptteil
der zu bewältigenden Arbeit. Nachdem dieser Teil erledigt war, bot sich
der Angriff auf die Hauptfrage von selber dar. Geben Sie einem Physiker
eine Anzahl Stimmgabeln, eine Anzahl Resonatoren, und fordern Sie ihn
auf, Ihnen die zeitliche Ausbreitung des Schalles nachzuweisen, er wird
selbst in dem beschränkten Raum eines Zimmers keine Schwierigkeiten
finden. Er stellt eine Stimmgabel beliebig im Zimmer auf, er horcht mit
dem Resonator an den verschiedenen Stellen des Raumes herum und achtet
auf die Schallstärke. Er zeigt, wie dieselbe in einzelnen Punkten sehr
klein wird; er zeigt, wie dies daher rührt, daß hier jede Schwingung
aufgehoben wird durch eine andere, später abgegangene, welche auf einem
kürzeren Wege zum gleichen Ziel gelangt ist. Wenn ein kürzerer Weg
weniger Zeit erfordert als ein längerer, so ist die Ausbreitung eine
zeitliche. Die gestellte Aufgabe ist gelöst. Aber unser Akustiker zeigt
uns nun weiter, wie die stillen Stellen periodisch in gleichen Abständen
sich folgen; er mißt daraus die Wellenlänge, und wenn er die
Schwingungsdauer der Gabel kennt, erhält er daraus auch die
Geschwindigkeit des Schalles. Nicht anders, sondern genau so verfahren
wir mit unseren elektrischen Schwingungen. An die Stelle der Stimmgabel
setzen wir den schwingenden Leiter. Anstatt des Resonators ergreifen wir
unseren unterbrochenen Draht, den wir aber auch als elektrischen
Resonator bezeichnen. Wir bemerken, wie derselbe in einzelnen Stellen
des Raumes Funken enthält, in anderen funkenfrei ist; wir sehen, wie
sich die toten Stellen nach festen Gesetzmäßigkeiten periodisch
folgen – die zeitliche Ausbreitung ist erwiesen, die Wellenlänge meßbar
geworden. Man wirft die Frage auf, ob die gefundenen Wellen
Longitudinal- oder Transversalwellen seien. Wir halten unsern Draht in
zwei verschiedenen Lagen in dieselbe Stelle der Welle; das eine Mal
spricht er an, das andere Mal nicht. Mehr bedarf es nicht; die Frage ist
entschieden. Es sind Transversalwellen. Man fragt nach ihrer
Geschwindigkeit. Wir multiplizieren die gemessene Wellenlänge mit der
berechneten Schwingungsdauer und finden eine Geschwindigkeit, welche der
des Lichtes verwandt ist. Bezweifelt man die Zuverlässigkeit der
Berechnung, so bleibt uns noch ein
anderer
Weg. Die Geschwindigkeit elektrischer Wellen in Drähten ist ebenfalls
ungeheuer groß, mit dieser können wir die Geschwindigkeit unserer Wellen
in der Luft unmittelbar vergleichen. Aber die Geschwindigkeit
elektrischer Wellen in Drähten ist seit langer Zeit direkt gemessen. Es
war dies eher möglich, weil sich diese Wellen auf viele Kilometer hin
verfolgen lassen. So erhalten wir indirekt eine rein experimentelle
Messung auch unserer Geschwindigkeit, und wenn das Resultat auch nur roh
ausfällt, so widerspricht es doch nicht dem bereits erhaltenen.
Alle diese Versuche sind im Grunde sehr einfach, aber sie
führen doch die wichtigsten Folgerungen mit sich. Sie sind vernichtend
für jede Theorie, welche die elektrischen Kräfte als zeitlos den Raum
überspringend ansieht. Sie bedeuten einen glänzenden Sieg der Theorie
Maxwells. Nicht mehr verbindet dieselbe unvermittelt weit
entlegene Erscheinungen der Natur. Wem ihre Anschauung über das Wesen
des Lichtes vorher nur die mindeste Wahrscheinlichkeit zu haben schien,
dem ist es jetzt schwer, sich dieser Anschauung zu erwehren. Insoweit
sind wir am Ziel. Aber vielleicht läßt sich hier die Vermittlung der
Theorie sogar entbehren. Unsere Versuche bewegten sich schon hart an der
Höhe des Passes, welcher nach der Theorie das Gebiet des Lichtes mit
dem der Elektrizität verbindet. Es liegt nahe, einige Schritte weiter zu
gehen und den Abstieg in das Gebiet der bekannten Optik zu versuchen.
Es wird nicht überflüssig sein, die Theorie auszuschalten. Es gibt viele
Freunde der Natur, welche sich für das Wesen des Lichtes interessieren,
welche dem Verständnis einfacher Versuche nicht unzugänglich sind, und
welchen gleichwohl die Theorie
Maxwells ein Buch mit sieben Siegeln ist. Aber auch die
Ökonomie der Wissenschaft fordert, daß Umwege vermieden werden, wo ein
gerader Weg möglich ist. Können wir mit Hilfe elektrischer Wellen
unmittelbar die Erscheinungen des Lichtes herstellen, so bedürfen wir
keiner Theorie als Vermittlerin; die Verwandtschaft tritt aus den
Versuchen selbst hervor. Solche Versuche sind in der Tat möglich. Wir
bringen den Leiter, welcher die Schwingungen erregt, in der Brennlinie
eines sehr großen Hohlspiegels an. Es werden dadurch die Wellen
zusammengehalten und treten als kräftig dahineilender Strahl aus dem
Hohlspiegel aus. Freilich
können wir
diesen Strahl nicht unmittelbar sehen noch fühlen; seine Wirkung äußert
sich dadurch, daß er Funken in den Leitern erregt, auf welche er
trifft. Er wird für unser Auge erst sichtbar, wenn sich dasselbe mit
einem unserer Resonatoren bewaffnet. Im übrigen ist er ein wahrer
Lichtstrahl. Wir können ihn durch Drehung des Spiegels in verschiedene
Richtungen senden, wir können durch Aufsuchung des Weges, welchen er
nimmt, seine geradlinige Ausbreitung erweisen. Bringen wir leitende
Körper in seinen Weg, so lassen dieselben den Strahl nicht hindurch, sie
werfen Schatten. Dabei vernichten sie den Strahl aber nicht, sie werfen
ihn zurück; wir können den reflektierten Strahl verfolgen und uns
überzeugen, daß die Gesetze der Reflexion die der Reflexion des Lichtes
sind. Auch brechen können wir den Strahl, in gleicher Weise wie das
Licht. Um einen Lichtstrahl zu brechen, leiten wir ihn durch ein Prisma,
er wird dadurch von seinem geraden Wege abgelenkt. Ebenso verfahren wir
hier und mit dem gleichen Erfolg. Nur müssen wir hier entsprechend den
Dimensionen der Wellen und des Strahles ein sehr großes Prisma nehmen;
wir stellen dasselbe also aus einem billigen Stoff her, etwa Pech oder
Asphalt. Endlich aber können wir sogar diejenigen Erscheinungen an
unserem Strahl verfolgen, welche man bisher einzig und allein am Licht
beobachtet hat, die Polarisationserscheinungen. Durch Einschiebung eines
Drahtgitters von geeigneter Struktur in den Weg des Strahles lassen wir
die Funken in unserem Resonator aufleuchten oder verlöschen, genau nach
den gleichen geometrischen Gesetzmäßigkeiten, nach welchen wir das
Gesichtsfeld eines Polarisationsapparates durch Einschieben einer
Kristallplatte verdunkeln oder erhellen.
So weit die Versuche. Bei Anstellung derselben stehen wir schon
ganz und voll im Gebiet der Lehre vom Licht. Indem wir die Versuche
planen, indem wir sie beschreiben, denken wir schon nicht mehr
elektrisch, wir denken optisch. Wir sehen nicht mehr in den Leitern
Ströme fließen, Elektrizitäten sich ansammeln; wir sehen nur noch die
Wellen in der Luft, wie sie sich kreuzen, wie sie zerfallen, sich
vereinigen, sich stärken und schwächen. Von dem Gebiet rein elektrischer
Erscheinungen ausgehend, sind wir Schritt vor Schritt zu rein optischen
Erscheinungen gelangt. Die
Paßhöhe
ist überschritten; der Weg senkt, ebnet sich wieder. Die Verbindung
zwischen Licht und Elektrizität, welche die Theorie ahnte, vermutete,
voraussah, ist hergestellt, den Sinnen faßlich, dem natürlichen Geist
verständlich. Von dem höchsten Punkt, den wir erreicht haben, von der
Paßhöhe selbst, eröffnet sich uns ein weiter Einblick in beide Gebiete.
Sie erscheinen uns größer, als wir sie bisher gekannt. Die Herrschaft
der Optik beschränkt sich nicht mehr auf Ätherwellen, welche kleine
Bruchteile des Millimeters messen, sie gewinnt Wellen, deren Länge nach
Dezimetern, Metern, Kilometern rechnen. Und trotz dieser Vergrößerung
erscheint sie uns von hier gesehen nur als ein kleines Anhängsel am
Gebiet der Elektrizität. Dieses letztere gewinnt am meisten. Wir
erblicken Elektrizität an tausend Orten, wo wir bisher von ihrem
Vorhandensein keine sichere Kunde hatten. In jeder Flamme, in jedem
leuchtenden Atom sehen wir einen elektrischen Prozeß. Auch wenn ein
Körper nicht leuchtet, so lange er nur noch Wärme strahlt, ist er der
Sitz elektrischer Erregungen. So verbreitet sich das Gebiet der
Elektrizität über die ganze Natur. Es rückt auch uns selbst näher; wir
erfahren, daß wir in Wahrheit ein elektrisches Organ haben, das Auge.
Dies ist der Ausblick nach unten, zum besonderen. Nicht minder lohnend
erscheint von unserm Standpunkt der Ausblick nach oben, zu den hohen
Gipfeln, den allgemeinen Zielen. Da liegt nahe vor uns die Frage nach
den unvermittelten Fernwirkungen überhaupt. Gibt es solche? Von vielen,
welche wir zu besitzen glaubten, bleibt uns nur eine, die Gravitation.
Täuscht uns auch diese? Das Gesetz, nach welchem sie wirkt, macht sie
schon verdächtig. In anderer Richtung liegt nicht ferne die Frage nach
dem Wesen der Elektrizität. Von hier gesehen verbirgt sie sich hinter
der bestimmteren Frage nach dem Wesen der elektrischen und magnetischen
Kräfte im Raum. Und unmittelbar an diese anschließend erhebt sich die
gewaltige Hauptfrage nach dem Wesen, nach den Eigenschaften des
raumerfüllenden Mittels, des Äthers, nach seiner Struktur, seiner Ruhe
oder Bewegung, seiner Unendlichkeit oder Begrenztheit. Immer mehr
gewinnt es den Anschein, als überrage
diese Frage alle übrigen, als müsse die Kenntnis des Äthers uns nicht allein das Wesen der ehemaligen Imponderabilien offenbaren,
sondern
auch das Wesen der alten Materie selbst und ihrer innersten
Eigenschaften, der Schwere und der Trägheit. Die Quintessenz uralter
physikalischer Lehrgebäude ist uns in den Worten aufbewahrt, daß alles,
was ist, aus dem Wasser, aus dem Feuer geschaffen sei. Der heutigen
Physik liegt die Frage nicht mehr fern, ob nicht etwa alles, was ist,
aus dem Äther geschaffen sei? Diese Dinge sind die äußersten Ziele
unserer Wissenschaft, der Physik. Es sind, um in unserm Bilde zu
verharren, die letzten, vereisten Gipfel ihres Hochgebirges. Wird es uns
vergönnt sein, jemals auf einen dieser Gipfel den Fuß zu setzen? Wird
dies spät geschehen? Kann es bald sein? Wir wissen es nicht. Aber wir
haben einen Stützpunkt für weitere Unternehmungen gewonnen, welcher eine
Stufe höher liegt als die bisher benützten; der Weg schneidet hier
nicht ab an einer glatten Felswand, sondern wenigstens der nächste
absehbare Teil des Anstiegs erscheint noch von mäßiger Neigung, und
zwischen den Steinen finden wir Pfade, die nach oben führen; der
eifrigen und geübten Forscher sind viele – wie könnten wir da anders als
hoffnungsvoll den Erfolgen zukünftiger Unternehmungen entgegensehen?
(Vortrag von 1889 bei der 62. Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Heidelberg)
ZUM TODESTAG DES PHYSIKERS
Über den Autor (1857-1894)
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