Die Gedankenwelt des Plastischen ist an die
solidesten Begriffe des Materials, des Steins, des Metalls, des Holzes,
fester Stoffe gebunden. Das Gebirge, der Baum, haben die Gefühlswelten
in sich, die herausgearbeitet werden können. Die absolute Bestimmtheit,
die Umgrenztheit des Gefühls sind ihr Reich, das in Ruhe und Majestät
Himmelsstürmerische, der Trotz der Titanen, die Schroffheit,
Weltabgeschiedenheit des innigstvertieften Weltgefühls. Keine Wolke,
kein Wind, kein Licht und kein Dämmer geben ihm Nahrung. Es gestattet
kein Schwanken und kein Schillern, kein Zittern und kein fürchtendes
Hoffen. Es will. Im Plastischen findet die Menschenseele den Ausdruck
ihrer Urgestalt, wie sie das Gebirge dem Denkenden darbietet. Die
Möglichkeit, das Letzte herauszustoßen. Das schlechthin Erhabene der
Überzeugung zu predigen, das Bewußtsein des absoluten Ichs zu entblößen,
nicht zu verhüllen.
Aus
dem Charakter des Steins, der Bronze heraus ist die Formgebung des
Bildhauers abzuleiten. Material-Begriffe werden zu Anschauungs-Normen;
nach den Maßen von Erz und Stein wird die darstellbare Welt gemessen,
auf Eigenschaften, die Stein und Erz entsprechen, geprüft. Die
bildhauerische Anschauung reißt wie ein Sturm alle krause Sinnlichkeit und alles Zufallsspiel, allen Überfluß und Ornamentluxus vom
Knochenbau der Welt.
Nicht leicht wird der plastische Blick zum freudigen Schauen. Den
meisten erscheint es ernüchternd, und mir will erscheinen, als ob es
gerade diejenigen wären, die vor den Werken der Plastik nicht ihre
Echtheit, sondern ihre Unechtheit bewundern. In die nicht durch das
Mittel des Kunstwerks der innere Ernst von Stein und Erz hineinschauert
wie eine kühle, klare, tröstliche Offenbarung, wie beruhigende
Absolutheit.
Der plastische Blick sieht, auf die Natur gerichtet, Zeit und
Ewigkeit zugleich; er sieht im Boden den Knochenbau der Erde eher als
die vielen Härchen, die über ihre Haut gesät sind und ihre Klarheit
verwischen, er sieht in der Luft den Atem aus der Brust des großen Raums
und erst später oder gar nicht die vielen Spielwirbel von tausenderlei
Farben und Tönen, sieht in Baum und Strauch individuelle Gestalten als
Kinder der Rasse des Bodens anstatt wie die Kamera tausend Allerlei, was
auch da ist wie der Schaum auf den Wellen.
Wie der Bildhauer mit der Faust, räumen wir mit dem Gefühl den
Schutt wichtigtuerischer Nichtigkeiten vom Lebensbilde hinweg, das wir
für unser Inneres schöpferisch umgestalten; nicht die Welt sehen, wie
sie scheint, sondern wie sie ist – vor unsern naiv zutappenden, aber
immer nach dem Knochenbau und dem Muskelwerk tastenden Fingern. Die
Federn der Erscheinungsvögel mögen einstweilen stieben, bis wir ihren
Bau architektonisch begriffen und den Umkreis ihrer Flugkraft
ausgemessen haben. Daß ihr Gefieder
dann prächtig in der Sonne blitzt, wenn sie sich aufschwingen und als
lebendige Spiele köstlicher Formen den Himmel beleben, soll uns dann so
freuen, wie wir bei den Werken der Plastik die zarten Ziselierungen der
Oberfläche oder die mattglänzende Hautfläche des Marmors mitgenießen.
Wie der Dramatiker am absoluten Maßstab mißt und nun, mit dem
Bewußtsein dieses Maßstabs in der Brust, gestaltet und erhöht,
schlichtet und klärt, so lebt in der Seele des Plastikers das Bewußtsein
einer fordernden Notwendigkeit, die ihn zwingt, seine Absicht mit den
Plänen einer heldenhaften Großzügigkeit, einer Freude am Unkleinen, am
Überwinden des Peinlichen und Gestalten des Unfreien zum
Selbstverständlichen zu tränken. Die Gesetze, denen er gehorcht, sind
nicht mehr die kleinlichen der Vernünftigkeit, sondern die großen der
willkürlichen Vernunft, die andere Gesetze hat als jene.
Ich kenne einen Bildhauer, der seine Anregungen nicht am Modell,
nicht am Leben der Menschen, sondern in der Natur sucht; er gewinnt da
Begriffe höherer Personen als es ihm das Leben liefert. Ein Schauen von
Mythen. Das Sausen des Sturms, das Drängen und Überstürzen der Wellen
sind Charaktere, zu denen er die entsprechenden Personen schaffen muß.
Mit der Forderung des Sehens hat man die des Schauens
unterdrückt. Das Schaffen in Visionen ist göttliche Kunst, Kunst in
höherem und also besserem Sinne als die Wirklichkeits-Kunst, die sich
vom bloßen Können ableitet. Visionen haben ist Fähigkeit des sinnlichen
Blicks. Sollte dieses »Fest des Schauens« nicht ein höheres Sakrament
sein als das andere? Sind Visionen unwirklich? Sie unterliegen ebenso
dem Begriff »Selbstverständlichkeit« und »Richtigkeit« wie körperliche
Gegenständlichkeit.
Die gewissenhaftesten Studien können als unwahr empfunden werden wie die kühnste Vision als wahr.
Wenn der Künstler zeigt, wie mystisch alles ist, so ist das
aussichtslos, es sagt dem Publikum bloß, daß es im Trüben verharren muß.
Wenn der Künstler das Mystische so sinnlich gestaltet, daß es vertraute
Welt wird, so hat er erhoben: durch das Gewöhnliche zum Unendlichen.
Und hat gezeigt: sieh, die ganze Welt ist großartig, überall, denn der
mystische Gehalt geht vollauf im Gewöhnlichen auf.
Was unter mythologischer Anschauung zu verstehen ist: natürlich keine
Götterlehre, sondern der Prozeß, der zur Götterlehre geführt hat. Keine
Wagnertümeleien. Kein Dichten und kein romantisches Ausdeuten und
Beleben der Landschaft mit Gestalten. Sondern das Gestalten selbst, in
dem Sinn, der vormals zur Mythenbildung führte. Jeder Gegenstand kann
mythisch angesehen werden; man kann es auch anders nennen: Ausschöpfen
der Ewigkeitszüge, deren Stimmung lebendig ist (Persönlichkeit
darstellt), die zu der Menschenseele redet. Bei der es nicht heißt: so
kann es sein, sondern: so kennen wirs, so kennen wir uns wieder.
Und da die Menschenseele des Ästhetischen doch bloß als Schmuck
bedarf, so werden ihre andern Forderungen: die Erhebung zum Weltgefühl,
des Gottesgefühls, der Wunder-Gegenwart (wozu ja das Wunder des Lichts
nicht allein gehört), die Erinnerung an die ersten grundlegenden
Ausbrüche des Schauens vorwiegend aus der Natur herausdemonstriert
werden, sagt ruhig: hineingelegt, aber so wie man einen lebendigen Keim
in den Boden pflanzt, der auch nichts vom Boden hat, im Ansehn, aber
ganz aus ihm besteht.
Noch andere Arten des mythischen Kunstschaffens: das Sehen des
Architektonischen, die Form des Bodens, der sich bäumt, wellt, jagt mit
dem Gefühl eines zur Form gewordenen gewaltigen Tuns, der endliche
Prozeß unendlicher Versuche,
Experimente, Tragödien, die seit tausenden von Jahrtausenden
gleichgebliebene Sprache, der man immer deutlicher ihre Worte abfangen
möchte und sie darum von der Hülle der Wettervorgänge befreit. Man reißt
den Schleier vom Gesicht einer geheimnisvollen Person.
Im Ganzen des Architektonischen ist der Ausdruck des Strebens
nach Wahrheit, dessen, was man wirklich wissen kann, und wenn ichs
übertreibe, so ists keine Willkür, sondern der Ausdruck des Suchens
meiner Persönlichkeit nach unzweifelhaften Bestimmtheiten.
Die Vereinfachung und Monumentalisierung, die gibt mir den
Begriff der ewigen Ideen. Das Stück vom Angesicht der Natur wird seiner
Runzeln, Härchen usw. entkleidet, und ich versuche mir zu zeigen, wie es
eigentlich aussieht. Der Prozeß bedeutet eine Erhebung der
Persönlichkeit zu gleicher Größe, Person zu Person.
(Aus einem Taschenbuch, 1906)
ZUM TODESTAG DES KÜNSTLERS
Über den Autor (1870-1938)
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