Freitag, 16. Januar 2015

Franz Brentano: Zur Lehre von der Evidenz

Unsere Urteile sind teils wahr, teils falsch. Auch die wahren sind aber oft unberechtigt. Berechtigt sind sie nur dann, wenn sie uns einleuchten.

Wann aber sind sie einleuchtend? Manche behaupteten nur im Fall, in welchem sie als wahr erwiesen seien. Allein jeder Beweis geht von gewissen Voraussetzungen aus und von der Überzeugung, daß, wenn der Schlußsatz, auch die Voraussetzungen unrichtig sein müßten. Wenn nun die Voraussetzungen nicht selbst einleuchtend sind, so kann auch der Schlußsatz nicht einleuchtend sein, und wenn die Voraussetzungen selbst erwiesen sein müssen, um einleuchtend zu sein, so werden Voraussetzungen für die Voraussetzungen verlangt werden, die ebenfalls einleuchten usf. ins Unendliche.

So muß es denn, wenn überhaupt eine einleuchtende Wahrheit, auch eine ohne Beweis und unmittelbar einleuchtende geben. Was ist nun das, was sie als einleuchtende von allen sogenannten blinden Urteilen unterscheidet?

(Beginn des Gedankengangs vom 8. Juli 1915; aus dem von Oskar Kraus 1930 herausgegebenen Werkauswahlband 'Wahrheit und Evidenz')

ZUM GEBURTSTAG DES PHILOSOPHEN

Über den Autor (1838-1917)

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