Freitag, 25. Juli 2014

Charlotte von Kalb: Verehrter Herr Geheimrat

Ich wünsche, dass diese Zeilen Euch in Wohlbefinden und ersprießlichen Gesinnungen finden mögen. So war ehemals der Anfang bei traulichen Briefen; auch ist es ohne solche Hoffnung nicht möglich, den Fernen ein gemütliches Wort zu sagen. In Gedanken war ich oft bei Ihnen, aber diese zaubern mir Ihre Antwort nicht zurück. Doch will ich die Hemmung lösen und Ihnen endlich einmal mit flüchtigen Worten begegnen. Leicht ist es auch, von meiner Existenz Kunde zu geben, denn zwar in Abgeschiedenheit, kann ich dennoch sagen: den Mangel äußerer Erregungen, die andre Ehre und Freude nennen, vermisse ich nicht, denn nur in schweigsamer Stille lösen sich die Bande der Verworrenheit und Mischmasch. O möchte mir die friedsame Ruhe bleiben und die befreitere Seele nicht nach dem Hades zurückblicken. Die Sehnsucht aller ist ja das Verlangen nach Erlösung, und dies ist ja die Aufgabe der geistigen Macht. Was Sie dafür gewirkt, höre ich jetzt mit beseligterem Erwägen. Ich bescheide mich wohl, dass kunstreiche Fertigkeit, diese dädalischen Wunder mir Erstaunen erregen, aber dass ich die sinnigen Fügungen nicht zu unterscheiden vermag.

Durch die gänzliche Schwäche meiner Augen entbehre ich die Unterhaltung, die mir das Selbstlesen verschaffen könnte, doch kann ich die Genüsse der Literatur und Selbsttätigkeit des Geistes mir nicht versagen wollen. Diese allein bestimmt die Gegenwart und schenkt sie uns gleichsam. Aus dem eignen Ich schöpfend kann ich leider nicht geben, aber ich habe Schriften gefunden, deren Bewahrung in unserer Sprache eine besondre Erwägung und Sichtung verdient. Ich nenne hier nur St. Martin, der in seinen oeuvres postumes uns angibt, was in seinen Schriften innere Gesinnung und was überflüssige Zugabe ist. So habe ich von einigen die Verdeutschung begonnen, nicht in der Meinung, dass es mir besonders gelingen könnte, sondern in dem Bewusstsein, dass es zur Heilung und Beseligung dient und ich so den nagenden Schmerz, der auf so traurigen Erinnerungen haftet, lindre. So will ich fortfahren, mich in diese geistige Wesenheit zu denken, und in Geduld harren der Anschauungen, die sie mir gewähren könnten. So isoliert ich mich auch damit beschäftige, so bedurfte es doch mancher Bitte und Nachfrage, allein es ist sonderbar, wie weit seit der ersten Nennung St. Martins bis jetzt [.?.] dies Geschäft begleiten, von denen einige noch nicht verklungen sind, und so begegnen uns Misslaune oder dämonische Subtilität – nein, nicht diese, sondern Starrheit, diese Sucht erregt mir mehr Scheu als eine andre Epidemie.

Durch einen Traum verleitet, habe ich schon vor mehreren Wochen diese Zeilen niedergelegt, ich sah Sie, was ich wachend nicht mehr vermöchte, in der grünen Hof-Uniform. Aber das entschwundene Bild hat mir dennoch das Zeichen gelassen, die Frage: wenn du leichter Mitteilung noch fähig, warum wolltest du nicht schriftlich meiner gedenken. Auch sagte ich mir, dass die Zahl der älteren Bekannten sich so vermindert habe und Sie die Äußerungen eines noch lebenden Gemüts traulich aufnehmen werden. So lausch ich noch des Traumes, wie wir gern dem Geflüster der Lüfte lauschen durch weiches Laub.


ZUM GEBURTSTAG DER SCHRIFTSTELLERIN

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