Als normales Produkt unsres staatlichen Unterrichts verließ ich Ostern 1832 die Schule
als Pantheist, und wenn nicht als Republikaner, doch mit der Überzeugung, dass die Republik die vernünftigste Staatsform sei, und mit
Nachdenken über die Ursachen, welche Millionen von Menschen bestimmen
könnten, Einem dauernd zu gehorchen, während ich von Erwachsenen
manche bittre oder geringschätzige Kritik über die Herrscher hören
konnte. Dazu hatte ich von der turnerischen Vorschule mit Jahn'schen
Traditionen (Plamann), in der ich vom sechsten bis zum zwölften Jahre
gelebt, deutsch-nationale Eindrücke mitgebracht. Diese blieben im
Stadium theoretischer Betrachtungen und waren nicht stark genug, um
angeborne preußisch-monarchische Gefühle auszutilgen. Meine
geschichtlichen Sympathien blieben auf Seiten der Autorität. Harmodius
und Aristogiton sowohl wie Brutus waren für mein kindliches Rechtsgefühl
Verbrecher und Tell ein Rebell und Mörder. Jeder deutsche Fürst, der
vor dem 30jährigen Kriege dem Kaiser widerstrebte, ärgerte mich; vom
Großen Kurfürsten an aber war ich parteiisch genug, antikaiserlich zu
urteilen und natürlich zu finden, dass der siebenjährige Krieg sich
vorbereitete. Doch blieb mein deutsches Nationalgefühl so stark, dass ich
im Anfang der Universitätszeit zunächst zur Burschenschaft in Beziehung
geriet, welche die
Pflege des nationalen Gefühls als ihren Zweck bezeichnete. Aber bei
persönlicher Bekanntschaft mit ihren Mitgliedern missfielen mir ihre
Weigerung, Satisfaktion zu geben, und ihr Mangel an äußerlicher
Erziehung und an Formen der guten Gesellschaft, bei näherer
Bekanntschaft auch die Extravaganz ihrer politischen Auffassungen, die
auf einem Mangel an Bildung und an Kenntnis der vorhandnen, historisch
gewordnen Lebensverhältnisse beruhte, von denen ich bei meinen siebzehn
Jahren mehr zu beobachten Gelegenheit gehabt hatte als die meisten jener
durchschnittlich ältern Studenten. Ich hatte den Eindruck einer
Verbindung von Utopie und Mangel an Erziehung. Gleichwohl bewahrte ich
innerlich meine nationalen Empfindungen und den Glauben, dass die
Entwicklung der nächsten Zukunft uns zur deutschen Einheit führen werde;
ich ging mit meinem amerikanischen Freunde Coffin die Wette darauf ein,
dass dieses Ziel in zwanzig Jahren erreicht sein werde.
(Beginn der 1890/91 entstandenen Autobiographie)
ZUM TODESTAG DES POLITIKERS
Über den Autor (1815-1898)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen