Mittwoch, 9. Juli 2014

Johanna Schopenhauer: Ausflug an den Niederrhein und nach Belgien im Jahr 1828

Die Luft mit ihren Stürmen ungerechnet, mit Wasser und Feuer zugleich es aufnehmen? Mit den beiden in ihrer Zerstörungskraft furchtbarsten Elementen? Nimmermehr! Das wäre ein Wagstück ohne Not, während die schönste Chaussee in Deutschland auf die sicherste und angenehmste Art mich zum Ziel meiner Reise bringen kann. So sprach ich oft, und die mehresten meiner Freunde, die, wie ich eben auch, noch kein Dampfschiff gesehen, stimmten mit mir ein. / Sind doch alle Augenblicke die Zeitungen mit Nachrichten von Unglücksfällen angefüllt, die bei der Dampfschifffahrt sich zugetragen. Ja, wäre es noch die alte ehrliche Wasserdiligence [Postkutsche! LA] von Mainz, die freilich ein wenig langsam geht; aber sie ist jetzt aus der Mode gekommen, von der Neuheit verdrängt, wie vieles an und für sich gute Alte. Sie setzt zwar ihren gewohnten Lauf noch immer rüstig genug fort, doch die Gesellschaft, die man auf ihr antrifft, ist jetzt anderer Art als wohl früher; auch soll sie, wenigstens im Äußern, etwas gebrechlich geworden sein. / So sprach ich vor dem Antritt meiner Reise und nahm mir fest vor, bei dem Entschluss, mich nicht frevelhaft der neuen gefährlichen Erfindung anzuvertrauen, zu beharren und zu Lande nach Godesberg zu gehen. In Frankfurt kam es aber niemand in den Sinn, dass man anders als mit dem Dampfschiff den Rhein hinunterreisen wollen könne, und es fehlte nicht viel, so hätten meine dortigen Freunde über meine von der Zerstörungskraft der beiden mächtigsten Elemente hergenommenen Gründe gegen diese Art zu reisen geradezu gelacht. Auslachen ist eine der kräftigsten Waffen gegen Vorurteil, und Beispiel übt über Jung und Alt eine unwiderstehliche Gewalt. Täglich sah ich Freunde und Bekannte, die mehreremale bloß zum Vergnügen das große Wagnis, mit dem Dampfschiffe zu gehen, ganz ungefährdet überstanden hatten; kommen so viele glücklich davon, dachte ich endlich, nun so werde ich allein doch nicht bestimmt sein, mit der Geschichte meines traurigen Unterganges einen Zeitungsartikel füllen helfen zu müssen.

(Aus dem 1831 erschienenen Reisebuch)

ZUM GEBURTSTAG DER SCHRIFTSTELLERIN UND SALONNIÈRE

Über die Autorin (1766-1838)

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