Dienstag, 8. Juli 2014

Walter Hasenclever: Christus

Zu viele Christen sind gestorben.
Kein Christus stieg von des Kreuzes Not,
ging durch Felder, von Pestluft verdorben,
lebte und siegte über den Tod.
Sie starben im Dunkel, das sie geboren
aus dem verhassten Schoße der Lust:
Entfesselte Brut der bewusstlosen Toren,
rückwärts gebohrt in die eigene Brust.
Der rächende Engel von Sodoms Stätte
zuckte auf ihrem Sündenfall
dumpfes Geschütz in der Bürger Bette.
Sie fuhren nieder zur Hölle all.
Zweitausend Jahre nach seinem Namen:
Die Gemeinschaft der Heiligen ist verdammt.
Giftige Frucht aus der Feindschaft Samen
hat die Mäuler der Irren entflammt.
In Mord und Hunger, Gewalt und Lüge,
bekränzt mit dem Glorienschein des Rechts:
Kein Heiland, der die Augen aufschlüge,
Sohn Gottes, Erlöser des falschen Geschlechts.
Kein Heiland, der in der Schlacht als Seher,
wo dreier Jahre Sonne noch scheint,
ein Korn des Guten der Menschheit näher,
eine Träne Schmerz und Hoffnung geweint.
Christus am Kreuz ist mit ihnen gefallen.
Sein Reich ist verloren. Sein Name entweiht.
Propheten Zions! Trompeten erschallen.
Sei, Mensch, zur Hilfe der Menschen bereit!

(Gedicht aus dem Jahre 1913; Quelle: Lyrik des expressionistischen Jahrzehnts, dtv 1962)

ZUM GEBURTSTAG DES DICHTERS

Über den Autor (1890-1940)

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